Ramirez brach im Jahr 1996 mit Ortega, nachdem sein Versuch scheiterte, Wähler für eine alternative, eher sozialdemokratische Option zur FSLN zu begeistern. Seither schlüpft Ramirez in die Rolle eines Chronisten des nicaraguanischen Niedergangs. Mitte Mai wird sein neuestes Buch "Tongolele no sabia bailar" (Tongolele konnte nicht tanzen) auf dem deutschsprachigen Markt erscheinen: im Züricher Verlag edition 8, übersetzt von Lutz Kliche, dem Ex-Berater Ernesto Cardenals und Mitarbeiter im Tübinger "Grupo Sal Kulturbüro", das einst mit Dietmar Schönherr Aufbauhilfe leistete.
Im Zentrum der Handlung stehen die Proteste und Unruhen gegen die Herrschaft der Ortegas im Frühjahr 2018, die von dem einstigen Guerillero mit brutaler Gewalt niedergeschlagen wurden. 350 Menschen kamen bei der "Schlacht um den Frieden" - so Ortegas Originalton - ums Leben.
Schriftsteller Ramirez, der 2017 den angesehenen spanischen Cervantes-Literaturpreis erhielt, greift auf das Mittel des Krimis zurück. In diesem Genre könne man die Wirklichkeit "mit dem nötigen Abstand beschreiben", begründet er den Griff zur "Novela Policiaca". Die Hauptfigur ist der ehemalige Polizeiinspektor Dolores Morales, der wegen seiner professionellen Gründlichkeit aus dem Staatsdienst gefeuert wird. Er verliert während der Revolution von 1979 als sandinistischer Freiheitskämpfer ein Bein und humpelt seither - wie das ganze Land - am Stock. Sein Gegenspieler ist der gefürchtete Geheimdienstchef Tongolele.
"Ein Besenstiel tanzt besser" mokiert sich Morales über den allmächtigen Schergen. Gemeint ist: Tongolele versteht Nicaraguas Volksseele ebenso wenig, wie er in der Lage ist, seine Hüften zur Salsamusik kreisen zu lassen. So ist das Buch voller witziger Dialoge und doppeldeutiger Anspielungen, die in Nicaragua jeder versteht. Dass es eine knallharte Abrechnung mit dem System Ortega-Murillo ist, begreifen aber auch diejenigen, die sich nur flüchtig mit dem kleinen mittelamerikanischen Land beschäftigt haben.
Auch alte Weggefährten bangen um ihr Leben
Autor Ramirez brauchte nach der Veröffentlichung der spanischen Fassung nicht lange auf die Quittung zu warten. Im September vergangenen Jahres erfuhr er vom Plan des Regimes, ein Verfahren wegen Geldwäsche sowie "Provokation, unsittlichen Angeboten und Verschwörung" gegen ihn einzuleiten. Auf Druck seiner weitsichtigen Ehefrau packte er die Koffer und floh nach Madrid. "Zum ersten Mal in meinem Leben lebe ich im erzwungenen Exil", erzählt der knapp 80-jährige Ex-Revolutionär, der mir Ende der 1980er-Jahre noch von der rosigen Zukunft seines Landes vorgeschwärmt hatte.
Heute muss, wer sich dem Diktator widersetzt, nicht nur um seine Freiheit bangen, sondern auch um sein Leben. Mitte Februar starb der frühere Brigadegeneral und FSLN-Untergrundkämpfer Hugo Torres im Alter von 73 Jahren nach monatelanger Haft im berüchtigten Knast El Chipote. Er hatte im vergangenen Jahr kein Blatt vor den Mund genommen und erklärt: "Ich glaube, Ortega hat den früheren Diktator Somoza übertroffen. Er hat sich den ganzen Machtapparat zum Untertanen gemacht. Somoza hat das nie geschafft. Ortegas Unterdrückungsapparat ist größer als alles, was Somoza einmal hatte." Torres’ Tod unter immer noch nicht ganz geklärten Umständen rief selbst den ansonsten schweigsamen Humberto Ortega auf den Plan. Er verlangte von seinem Bruder und dessen Ehefrau Murillo die sofortige Freilassung aller 179 politischer Gefangenen. Dora Maria Tellez, die 1974 in einem gewagten Kommando-Unternehmen in Managua die Freilassung von Daniel Ortega aus der Gewalt der Somoza-Diktatur erpresste, wurde im Februar ebenfalls zu 15 Jahren Haft verurteilt.
Schriftsteller Ramirez hegt wenig Hoffnung auf ein baldiges Ende der Tyrannei. "Niemand kann ewig gegen die eigene Bevölkerung regieren", sagt er, "aber es ist unmöglich vorherzusagen, wann das Herrscherduo gestürzt wird."
Willi Germund (67) arbeitete ab 1980 als Korrespondent in Managua, angezogen von der Idee des "Dritten Wegs". Nach der Wahlniederlage der Sandinisten wechselte er 1990 ins südliche Afrika, es folgten Indien und Thailand, wo er sich heute am Strand erholt.
3 Kommentare verfügbar
Die Lerche
am 07.05.2022https://blog.lerchenflug.de/putin-vielleicht-bleibt-nur-die-poesie-als-rettungsanker/