Der Barbier am Stadtrand der pakistanischen Garnisonsstadt Abbottabad wetzt sein Rasiermesser und freut sich über seinen persönlichen Feldzug. "Ich erzähle jedem Reporter eine andere Geschichte", sagt der junge Mann und grinst über das ganze Gesicht, als er die Klinge über meinem Adamsapfel zur Rasur ansetzt.
Er hat viel zu erzählen: Ein paar Tage zuvor, Anfang Mai des Jahres 2011, hat ein US-Spezialkommando ein von hohen Mauern umgebenes Gehöft gestürmt, zwei- bis dreihundert Meter von seinem Laden entfernt. Gesucht, gefunden und getötet wurde Osama bin Laden, der Gründer der Terrorbewegung Al-Kaida und Kopf hinter den verheerenden Attentaten in den USA am 11. September 2001. Zurück blieben die Reste eines Tarnkappen-Hubschraubers, eine bloßgestellte pakistanische Regierung, eine Vielzahl von Fragen – und eine Heerschar von Berichterstattern aus aller Welt.
Mein Friseur wird exklusiver Augenzeuge nach Osamas Tötung
Sie horchen nicht nur den Barbier von Abbottabad aus. Jeder Kunde im nahegelegenen Tante-Emma-Läden wird ausgequetscht, und es grenzt fast an ein Wunder, dass keiner der herumstreunenden Hunde vor eine Kamera gezerrt wird. Mein Friseur taucht, wie ich Tage später im Internet entdecke, hie und da als Exklusiv-Augenzeuge auf. Ein Blatt in Großbritannien behauptet, den Hauslieferanten des Osama-Gehöfts gefunden zu haben. Andere Medien legen Baupläne des ziemlich einfach gehaltenen Anwesens vor, die – wie es der Zufall so will – ziemlich genau den Skizzen entsprechen, die nach der Kommandoaktion von den USA vorgelegt werden.
Andere Medien behaupten, unter Berufung auf angeblich gut informierte Militär-Quellen, Pakistan habe von Osamas Versteck gewusst. Und der Mann, der etwas hätte müssen, spielt am Morgen des Osama-Todes den Ahnungslosen gegenüber einer deutschen Delegation. Ahmed Shuja Pasha, damals Chef des mächtigen Geheimdienstes ISI, erklärt den Berliner Politikern im Brustton der Überzeugung: "Ich versichere ihnen, wir wussten von nichts."
2 Kommentare verfügbar
Andromeda Müller
am 12.01.2019"Die illusionsmaschienerie"
https://www.rubikon.news/artikel/die-illusions-maschinerie
Nach den Journalisten Barbara Baerns in "Öffentlichkeitsarbeit oder Journalismus.Zum Einfluß im Mediensystem" und Rene Grossenbacher in…