In der RND-Selbstdarstellung hört sich dieses Drücker-Modell freilich so an: "Das RND besetzt derzeit alle strategisch und wirtschaftlich interessanten Regionen durch Korrespondenten. Experten aus aller Welt, die vor Ort über sehr gute Netzwerke verfügen und detailliertes Wissen über weitreichende Zusammenhänge in der jeweiligen Region haben, gehören zu einem ganzheitlichen journalistischen Angebot". So zitiert es zumindest das Onlineportal "Übermedien".
Lassen wir mal die rosa Prosa beiseite, und nur die Zahlen sprechen. Das RND beliefert mehr als 50 Tageszeitungen mit einer Auflage von rund 2,3 Millionen Exemplaren und einer Reichweite von rund sechs Millionen Lesern täglich. Für Kenner der Szene, wie den "Horizont"-Chefredakteur Uwe Vorkötter, der sowohl mit der SWMH als auch mit Dumont bestens vertraut ist, schwingt sich Madsack/RND zur "wichtigsten deutschen Zeitungsgruppe" auf.
Die Nabelschau ist wichtiger als der Horizont
Für uns Auslandskorrespondenten, die wir schon immer gegen die geballte Macht der Innenpolitik antreten mussten, wird es dadurch noch schwerer. Die eigene Nabelschau ist heute noch wichtiger als der Blick über den Tellerrand. Der neu erwachte, blühende Nationalismus mit seinen rechtsradikalen Tendenzen gehört zu den dramatischsten Folgen dieser Selbstbezogenheit. Komplexe Sachverhalte wie der Zusammenhang von Weltklima-Krise und der weltweiten Flüchtlingsbewegung verschwinden auf Nimmerwiedersehen aus den Zeitungsseiten. Auslandsberichterstattung bedeutet heute in der Regel Beschränkung auf Naturkatastrophen und reißerische, unterhaltsame und selbst öde Anekdoten aus der Welt von US-Präsident Donald Trump.
Der Madsack-Verlag, an dem die SPD beteiligt ist, verstärkt nun mit seinem "Publizistik Light"-Prinzip den Prozess der Banalisierung und Boulevardisierung. Er geht einher mit den sogenannten Layout-Reformen, mit denen aufgrund größerer Buchstaben und Zeilenabständen während der vergangenen Jahre locker bis zu 30 Prozent an Textmengen verschwunden sind. Und er ist verbunden mit immer höheren Abogebühren für weniger Inhalt. Kein Wunder, dass viele LeserInnen Zeitungen den Rücken kehren und sich stattdessen lieber Gratis-Angebote gönnen.
Dazu erleben wir Korrespondenten eine Abnahme der Fachkompetenz in den Redaktionen. Ein Beispiel: Angesichts der Massenmorde an angeblichen Drogenhändlern und Kleinkriminellen auf den Philippinen, verübt von Polizei und Killerkommandos, angeordnet von Präsident Rodrigo Duterte, wünschte sich eine Tageszeitung eine Reportage über das Thema: Wie schützen deutsche Eltern ihre Kinder vor dem Blutbad in Manila? Der Einwand, die Massaker würden in Elendsviertel verübt, in denen Kinder ausländischer Eltern nie auftauchen, verhallte ungehört in der Heimatredaktion.
Alles gleichzeitig: Fotos, Videos und Text
Junge Nachwuchsjournalisten wiederum, die in diesen Jahren den Schritt ins Ausland wagen, sind häufig besser ausgebildet als alte Haudegen meiner Generation. Doch sie können ökonomisch nur überleben, wenn sie auf drei Klavieren gleichzeitig spielen. Sie müssen Videos drehen, Fotos machen und auch schreiben können. Es lässt sich trefflich darüber streiten, ob auf dieser Grundlage auch nur eine der drei Varianten gut gelingen kann.
Aber die plötzliche Beliebtheit von Podcasts, die auch lange Formate einschließt, zeigt, wie groß der Hunger nach solider Berichterstattung ist. Vielleicht gehört dieser, manchmal auch selbstverlegten Berichterstattung die Zukunft. RND habe ich mitgeteilt, sie könnten gegen ein Zeilenhonorar von 2,50 bis drei Euro gerne Reportagen bei mir bestellen. Ich erwarte keine Antwort.
Willi Germund, geboren 1954, berichtete aus Nicaragua (1980 bis 1990), Südafrika (1990 bis 1995) und Indien (1996 bis 2000). Seit 2001 lebt er in Bangkok, wo er als Buchautor und freier Südostasienkorrespondent für diverse Tageszeitungen und Radiostationen arbeitet. Darunter ist auch die "Stuttgarter Zeitung". <link https: www.kontextwochenzeitung.de ueberm-kesselrand bauchnabel-1392.html external-link-new-window>Zum Thema Auslandsberichterstattung hat er erstmals vor sieben Jahren in Kontext geschrieben.
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Philippe Ressing
am 28.10.2018