Die Berichterstattung über Japans dreifache Katastrophe mit dem verheerenden Erdbeben, dem gewaltigen Tsunami und dem nuklearen Desaster machte dies besonders deutlich. Ursachen und Folgen in Japan interessierten in der öffentlichen Diskussion kaum noch. Die Medien begnügten sich im Großen und Ganzen mit der Überzeugung, dass ein Tsunami zwischen Rhein und Oder ziemlich unwahrscheinlich ist, und wandten sich konsequent der Frage zu, welche Folgen ein Flugzeugabsturz auf einen deutschen Atommeiler haben würde.
Die ökonomischen Zusammenhänge in der weltweit operierenden Nuklearindustrie wurden auf die simple Frage reduziert, wie gut oder schlecht Reaktoren sind, die mit deutscher Beteiligung entstehen. Vergebens suchte man nach einer Erörterung der Frage, wie die Verbreitung von Atomwaffen und die zunehmende zivile Nutzung von Nuklearindustrie zusammenhängen. Schließlich verfügen heute viele Länder dank der Meiler über die Plutoniumvorräte, die für den Bau der Bombe unerlässlich sind.
Blick auf den eigenen Schrebergarten
Die geistige Verengung auf den eigenen Schrebergarten mutet umso seltsamer an, als die Bundesrepublik – und gerade Baden-Württemberg – wie kaum eine andere Gegend von weltweiten Exporten lebt. Aber nicht einmal die Politik scheint noch Interesse an der Darstellung von globalen Zusammenhängen zu besitzen.
Das wird in der Afghanistan-Frage deutlich. Den Anfang machte einst der damalige Verteidigungsminister Peter Struck mit seiner unseligen Einsatzbegründung: "Deutschlands Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt." Denn schließlich ging und geht es um sehr viel mehr: Der Auslandseinsatz in Afghanistan war Teil einer gemeinsamen internationalen Reaktion auf die weltweit agierenden Terrorgruppen. Er beendete auch die Herrschaft der radikalislamischen Talibanmilizen, die zuletzt im Verein mit militanten Extremisten die leidgeprüften Afghanen heftig geknechtet hatten.
Das internationale Engagement war, so unpopulär das heute klingen mag, auch eine längst überfällige und richtige Reaktion nach dem schmachvollen Desinteresse, mit dem die Welt und der Westen beispielsweise dem brutalen Völkermord in Ruanda Mitte der 90er-Jahre tatenlos zugesehen hatten.
Inzwischen ist Strucks Verteidigung der Sicherheit Deutschlands zur Verteidigung der Bundeswehr und ihrer Ziele in Afghanistan verkümmert. Berlins Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel strich seit seinem Amtsantritt die meisten Gelder an Hilfsorganisationen, die Projekte außerhalb des von der Bundeswehr geführten Regionalkommandos Nord betrieben. Geld gibt es nur noch für Hilfsprojekte, die sich nahtlos in die Vorbereitung des geplanten Abzugs der Bundeswehr einfügen.
Bundeswehr spielt bei den Taliban keine Sonderrolle
Und die Medien spielen folgsam mit bei dieser Reduzierung auf deutsche Aspekte. Redaktionen zeigen heutzutage fast nur noch Interesse an Berichterstattung über die zunehmend komplexe und komplizierte Entwicklung in Afghanistan, wenn die Bundeswehr betroffen ist. Liebend gerne vergessen sie dabei regionale Faktoren wie den Einfluss aller Nachbarstaaten vom Iran bis zu Indien, von Russland über China bis zu Pakistan und Saudi-Arabien.
Wer sich auf die Afghanistan-Berichterstattung deutscher Medien verlassen würde, käme dagegen bald zu dem Ergebnis, dass die radikalislamischen Talibanmilizen eine eigene Abteilung für den Kampf gegen Deutschland eingerichtet hätten, die sich nur mit einem Aspekt befasst: Wie kann man die Bundeswehr schwächen. Mit der Wirklichkeit hat diese Einschätzung nichts zu tun. Im Gegenteil: für die Talibanmilizen ist die Bundeswehr Teil der feindlichen Nato-Allianz und genießt keineswegs eine Sonderrolle.
Auch innerhalb der von dem Militärbündnis geführten "Internationalen Schutztruppe" ist die Bedeutung der Berliner Präsenz in dem Maß geschrumpft, in dem die heimischen Medien die deutsche Rolle überschätzen. Das zeigen schon einfache Zahlen. Die USA pumpen mittlerweile monatlich zehn Milliarden US-Dollar nach Afghanistan, etwa so viel, wie Berlin seit 2001 am Hindukusch ausgegeben hat. Selbst im Norden Afghanistans haben die USA mittlerweile mehr Soldaten stationiert als die Bundeswehr.
Doch solche Fakten scheinen nicht in das Weltbild deutscher Medien zu passen. Nachdem Daud Daud, ein zum Polizeichef des Nordens avancierter früherer Drogenboss, bei einem Anschlag getötet wurde, verliebten sich die Medien in der Bundesrepublik in die ziemlich überflüssige Frage, ob die Taliban den Bundeswehrgeneral Markus Kneip dabei versehentlich oder absichtlich verletzt hätten. Die Realität: den Talibanmilizen ist der Tod eines jeden Nato-Generals sehr willkommen, gleichgültig, ob er Inhaber eines deutschen, italienischen oder britischen Passes ist.
Willi Germund ist seit 30 Jahren Auslandskorresponent deutscher, Schweizer und österreichischer Medien in Lateinamerika, Afrika und Asien. Zuletzt veröffentlichte er das Buch "Allahs Missionare. Ein Bericht aus der Schule des Heiligen Kriegs". Germund arbeitet zurzeit in Bangkok.
Klarstellung der Redaktion: Eine erste Version dieses Textes begann mit einem Beispiel über die dpa-Berichterstattung aus Afghanistan. Dieser jetzt gekürzte Textteil war in seinen Aussagen zur Berichterstattung der dpa falsch. Die Deutsche Presse Agentur hatte – anders als vom Autor dargestellt – über einen Zwischenfall in Afghanistan insgesamt ausgewogen berichtet und alle journalistischen Standards gewahrt. Wir bedauern diesen Fehler.
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!