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Nabelschau statt Horizont

Nabelschau statt Horizont
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Wenn es mit der Pressekonzentration so weiter geht, reicht eine Lokalredaktion. Den Rest der Welt erledigen Unternehmen wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) in Hannover. 50 Zeitungen, sagt der Verlag, sind bereits dabei. Die Kollateralschäden auch.

Willi Germund ist old school. Er hat Daniel Ortega in Nicaragua erlebt, Nelson Mandela in Südafrika, die Taliban in Afghanistan, den Tsunami in Thailand und die Tötung Osama bin Ladens in Pakistan. Will sagen: Der heute 64-Jährige weiß, worüber er schreibt. Er weiß aber auch, dass er ein Auslaufmodell ist. Nicht, weil solche Journalisten wie er ausgedient hätten. Nein, sie passen nicht mehr ins System. Ins hurtige Häppchen, das billig in den Newsroom geflogen kommt, kompatibel ist für alle Kanäle und die Kundschaft nicht verschreckt. Das geht heute anders.

Nämlich so: Eine Zeitung braucht heute nur noch eine Lokalredaktion. Was weiter weg ist in Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport liefert das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Und zwar "qualitativ hochstehend", wie der Hannoveraner Medienkonzern Madsack verspricht. Ihm gehört das RND, das nicht nur die hauseigenen Blätter ("Hannoversche Allgemeine", "Leipziger Volkszeitung", "Lübecker Nachrichten", "Kieler Nachrichten") versorgt, sondern Dutzende von kleineren Zeitungen bis hin zur "Heilbronner Stimme". Erstellt wird der "maßgeschneiderte" Inhalt, der auch Rätselseiten und Horoskope, den Wetterbericht sowie Ratgeber für "Körper & Seele" umfasst, in Hannover, wo Expertinnen und Experten arbeiten, die "tiefer einsteigen, gründlicher recherchieren" können als es eine einzelne Zeitung leisten könnte. Soweit die Eigenwerbung.

Köln wird nicht der letzte Tatort sein

Der Kollateralschaden ist in Köln zu besichtigen. Dort hat der Dumont-Verlag, ein einst stolzes Pressehaus, beschlossen, seine Zeitungen ("Kölner Stadt-Anzeiger", "Berliner Zeitung") vom RND beliefern zu lassen – und seine eigenen Korrespondenten zu kündigen. In London, Peking, Moskau, Madrid, in Frankreich, Südafrika, der Türkei und Thailand, wo Willi Germund sitzt und sagt, der Stadt-Anzeiger sei mal eine richtig gute Zeitung gewesen. Einer ihrer Chefs war sogar mal sein Hochzeitsgast. Nicht zu vergessen die 17 Mitarbeitenden in der Berliner Dumont-Hauptstadtredaktion, die seit Ende Juli wissen, dass sie ihre Stelle verlieren. Und Köln wird nicht der letzte Tatort sein.

Für die betroffenen Auslandskorrespondenten ist die Lage besonders prekär. Viele von ihnen haben über die Dumont-Pauschalen bis zu 50 Prozent ihres Einkommens finanziert. Jetzt sollen sie, wie ihre Mails untereinander belegen, für RND-Zeilengeld arbeiten, wenn sie überhaupt ein Angebot aus Hannover erhalten. "Immer noch billiger", laute die Devise bei Madsack, klagt der eine, sie behandeln uns "wie frühkapitalistische Industriebarone ihre Weber" der andere. Einerseits sollen sie, was journalistisch richtig ist, am Ort des Geschehens sein, also reisen, andererseits die Kosten selber tragen. Sollte es so weit kommen, schreibt ein Kollege, "wäre meine Existenz ruiniert". Die Medienjournalistin Ulrike Simon assistiert auf "Spiegel online": "Ein Auslandskorrespondent, der zum Leben kein Geld und zum Arbeiten keine Anbindung an eine Redaktion hat, ist verloren". Und sie fragt: Was wäre aus Deniz Yücel im türkischen Knast geworden?

Die taz, die ein vergleichsweise armer Laden ist, steckt am meisten Geld in ihre Auslandsberichterstattung, wohl wissend, dass ihre Leute reisen müssen, "um herauszufinden, was wirklich passiert". Sie braucht kein RND, sie braucht Fördermitglieder für ihren "Recherchefonds Ausland e. V." und findet sie auch. Zum Beispiel in Günter Wallraff und Carolin Emcke, die beide darauf verweisen, dass eine Welt, die zusammenrücken soll, viel mehr voneinander wissen sollte. Das aber geht nur mit internationaler Berichterstattung.

Die Hälfte der Welt findet in deutschen Medien kaum statt

Die Realität ist weit davon entfernt. Beim Fernsehen ist die Quote der entscheidende Parameter, bei der Presse die Klickzahl, und beide seien, so heißt es, abhängig vom direkten Bezug zum Heimatland. So findet die Hälfte der Welt in den deutschsprachigen Medien kaum statt, so werden die Trumpschen Strafzölle zur Hauptnachricht, weil sie große Gefahren für die Firma Daimler bringen, so wird der Brexit zum Dauerthema, weil er dem schwäbischen Mittelstand Probleme macht. Bürgerkriege in Afrika, Weltklimakrise, Not und Flucht, die daraus entstehen, sind schwieriger zu reportieren. Was aber wäre passiert, wenn früher darüber berichtet worden wäre? Als Frühwarnsystem für Politik und Gesellschaft?

Man könnte es auch Reduktion von Komplexität nennen, was da unter Auslandsberichterstattung firmiert, oder Willi Germund folgend, eine Nabelschau statt Horizont. Im Verlagsdeutsch heißt das Fokussierung auf das Lokale und Regionale, was auch Madsack in Hannover ganz wichtig ist. Deshalb darf man gespannt sein, wie der Internationalismus von RND-Chief Manager Wolfgang Büchner aussehen wird. Auf Anfrage von Kontext lässt er wissen, dass er sich "mitten in Gesprächen" mit den Kolleginnen und Kollegen befinde, über Inhalte aber nichts sagen könne – "da bitte ich um Verständnis".

Presse im Umbruch

Print geht, digital kommt. Die meisten Verleger haben das zu spät bemerkt. Statt zu investieren, sparen sie den Journalismus kaputt. Aber es gibt auch positive Beispiele.

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1 Kommentar verfügbar

  • Philippe Ressing
    am 28.10.2018
    Antworten
    Die Stuttgaert-Zeitung ist mittlerweile zu einem Anzeigenblatt mit redaktionell gestalteten Seiten degeneriert. Sonderbeilagen füllen die Ausgaben, die auf den ersten Blick als journalistische Produkte daherkommen. Gleichezitig konzentrieren die Konzerne ihre Redaktionen - einst belieferte der…
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