Lorenz, bis zu seinem Lebensende überzeugter Nationalsozialist, hat mit dieser Schrift, aber auch mit vielen anderen Publikationen, die sozialdarwinistische Lehre Ernst Haeckels (1834–1919) aufgegriffen und weiterentwickelt. Für den Sozialdarwinismus ist die Definition von Ökologie, die Haeckel 1866 gegeben hat, grundlegend. Die Ökologie behandele danach die Beziehungen des Organismus zur ihn umgebenden Außenwelt, bestimme so die Existenzbedingungen des Organismus, an die er sich anzupassen habe. Der Sozialdarwinismus ist dann die Anwendung und Konkretisierung dieser allgemeinen Bestimmung auf den Menschen, dessen Existenzbedingungen und die von ihm zu erbringenden Anpassungsleistungen. Über Friedrich Ratzel (1844–1904), Alfred Ploetz (1860–1940) und andere wurde der in diesem Sinn ökologisch fundierte Sozialdarwinismus eine einflussreiche soziologische Lehre.
Erst nach einer äußerst heftigen Intervention Max Webers auf dem ersten Soziologentag 1910 wurden alle biologistischen Soziologien aus der Gesellschaftswissenschaft ausgeschlossen und in die Ökologie als einer Teildisziplin der Biologie abgedrängt. Zumindest für den deutschsprachigen Bereich hat sich dadurch eine schwierige Situation ergeben, in der die vermeintlich biologische Disziplin der Ökologie bei Bedarf politisch als Gesellschaftstheorie reaktiviert werden kann; so geschehen im Nationalsozialismus und dann eben wieder in den 1970er-Jahren.
Im öffentlich-kulturellen Bewusstsein zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren ohnehin, trotz des Ausschlusses aus der Soziologie, die sozialdarwinistische Ökologie und ihre Bilder von "Natur" und "natürlichem Leben" weiterhin präsent – und prägend unter anderem für die bündische Jugend und die Lebensreform-Bewegungen, die nach einem anderen, "authentischen" und "selbstbestimmten" Lebensstil suchten. An diese früheren Alternativbewegungen knüpften dann nach 1970 viele Teile des sich im Zerfall der Studentenbewegung formierenden neuen alternativen Milieus an – ohne die politisch fatalen Konsequenzen dieser als Ökologie und Naturschutz fungierenden sozialdarwinistischen Natur- und Gesellschaftsvorstellungen wahrzunehmen.
Zwar wurden Vertreter der konservativ-reaktionären Tradition der Ökologie aus führenden Positionen der Grünen verdrängt – August Haußleiter musste seine Sprecherposition schon im Juni 1980 abgeben, Baldur Springmann und Herbert Gruhl trennten sich 1981 von der Partei. Und auch in den Bildern, die bei der Gründungsversammlung im Januar 1980 sowie den beiden folgenden Bundesversammlungen gemacht und immer wieder abgedruckt werden, sieht man nur Vertreter des alternativen, nicht aber des rechten Milieus. Deren Ökologie- und Naturverständnis blieb aber weitgehend ungebrochen erhalten.
Das rechte Kapitel ist kaum erforscht
Bis heute ist diese Gemengelage im Zerfallsprozess der Studentenbewegung und in der Gründungsgeschichte der Grünen mit ihren Folgen nicht zureichend erforscht. Die Wichtigkeit dieser Aufarbeitung sei exemplarisch an zwei Biographien erläutert. Rolf Peter Sieferle (1949–2016) promovierte 1977 zur Revolutionslehre von Karl Marx, erarbeitete dann eine Geschichte der Alternativbewegungen und wurde mit weiteren Arbeiten zu einem wichtigen Theoretiker und Historiker der Ökologie. 1995 veröffentlichte er eine Essays-Sammlung zu führenden Vertretern der sogenannten "Konservativen Revolution". Und dann stimmte er am Ende seines Lebens mit "Das Migrationsproblem: Über die Unvereinbarkeit von Sozialstaat und Masseneinwanderung" und "Finis Germania", beide 2017 aus dem Nachlass veröffentlicht, in den neurechten Diskurs der Überfremdung und Umvolkung ein. Für Sieferle markierte diese Entwicklung keinen Bruch in seiner wissenschaftlichen Biographie, sondern es war die politische Konsequenz, die er aus seinen ökologischen Arbeiten zog.
Henning Eichberg (1942–2017), der unter anderem von 1971 bis 1978 an der Universität Stuttgart lehrte, war eine der Gründungsfiguren der "Neuen Rechten", der sofort das politische Potenzial der Alternativbewegungen und der Grünen bemerkte und diese in seinem Sinne einer Querfront-Strategie zu nutzen versuchte. In dieser Hinsicht versuchte er die sozialdarwinistische Ökologie in Richtung eines "Ethno-Pluralismus" sozialtheoretisch zu modernisieren und sich selbst dabei als Vertreter einer ökologisch aufgeklärten Linken zu positionieren. Um wirklich Einfluss nehmen zu können auf das Selbstverständnis der Grünen, kam Eichberg zu früh; um 1980 begann die "Neue Rechte" erst, sich zu formieren.
Sieferle zog die politischen Konsequenzen seiner Ökologie zu spät; die "Neue Rechte" und ihre Partei hatten sich schon zu sehr auf das "rot-grün versiffte Milieu" eingeschossen, konnten andere Strategien nicht mehr realisieren. Versteht man Sieferle und Eichberg als Repräsentanten von Strömungen, dann hätte ihr zeitgleiches Zusammentreffen durchaus zu einer anderen Entwicklung der Grünen führen können.
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Udo Baumann
am 17.03.2024