Das hat aber weitreichende Konsequenzen, weil sich so Nachgeben und Einknicken immer begründen lässt. Verhetzungspotenzial steckt in vielen Fragen, gerade wenn die Interessen großer Lobbys im Energie- oder im Agrarbereich tangiert sind oder wenn es um Steuergerechtigkeit geht.
Aber was lernen wir daraus? Gerade wenn die Thematik komplex ist, müssen unsere Botschaften klar verständlich sein. Das ist nicht zu verwechseln damit, einfache Antworten auf schwierige Fragen zu geben. Die industrielle Landwirtschaft ist einer der größten Umweltkiller, in Deutschland und global sowieso. Meine Frau kommt aus Argentinien. Wenn ich mir dort den gentechnikveränderten Sojaanbau anschaue, damit wir unsere Viecher füttern können, oder wie in unmittelbarer Nachbarschaft von Siedlungen die Pestizide herunterregnen und Kinder im Alter meiner Kinder ihrer Gesundheit beraubt werden, damit wir unsere Art von Landwirtschaft betreiben können, dann ist das in höchstem Maße unappetitlich. Und deshalb haben wir beim Bundesparteitag klar gemacht, dass Landwirtschaftspolitik und gesunde Ernährung zentrale ökologische Themen sind. Wir haben beim Veggie-Day Mittel und Ziel miteinander verwechselt, und das war unser Fehler.
Die Grünen regieren in inzwischen acht Ländern mit, sie sitzen in mehr Landesregierungen als die Union. Da muss es doch gelingen, Anspruch und Wirklichkeit in Deckung zu bringen.
Das tun wir ja auch. Alexander Bonde hat zum Beispiel dafür gesorgt, dass wer Flächen vom Land pachtet, auf Gentechnik verzichten muss. Aber jeder Landwirtschaftsminister in den Ländern kommt an seine Grenzen. Man braucht auch Mehrheiten in Berlin, um in Brüssel Druck zu machen. Und deshalb muss es unser Ziel sein, dass die nächste Landwirtschaftsministerin auf Bundesebene wieder von Bündnis 90/Die Grünen kommt.
Nach dem Wahlkampf ist vor dem Wahlkampf. Die nächsten Bundestagswahlen sind erst 2017, aber die Grünen scheinen sich schon jetzt in Stellung bringen zu wollen. Ist das nicht sehr früh?
Das ist die Konsequenz gerade aus der Tatsache und der Erfahrung, dass wir in acht Länder regieren. Und aus der Erkenntnis, dass wir uns in keine Abwehrschlachten mehr drängen lassen. Die ökologische Modernisierung wird, zum Beispiel, nur mit der Wirtschaft gehen, nicht gegen sie. Deshalb müssen wir mit den Unternehmen genauso arbeiten wie mit den Gewerkschaften. Viele Firmen machen sich ja längst auf den Weg. Sie verlangen selbst mehr Investitionssicherheit. Dazu braucht es politische Leitplanken und keine Feindbilder.
Keine Abwehrschlachten mehr, das ist ein großer Vorsatz. Wie soll das in der Steuerdebatte funktionieren?
Nehmen wir das schöne Thema Ehegatten-Splitting. Das Anliegen ist immer noch richtig und der Umbau längst fällig. Allerdings kann und muss man das kommunikativ geschickter machen. Das ist für mich noch so ein Beispiel dafür, dass der Weg in die Hölle mit guten Absichten gepflastert ist. Davon verstehen wir Grüne übrigens ziemlich viel ...
... spätestens seit 1998 die schrittweise Anhebung des Benzinpreises auf fünf Mark beschlossen wurde.
Auch so ein Elfmeter, der leider ins eigene Tor ging.
Und ausgerechnet beim Dauerbrenner Ehegatten-Splitting passiert das nicht?
Ziel muss es sein, das Leben mit Kindern generell zu fördern. Kinder, die mit Eltern ohne Trauschein oder mit nur einem Elternteil aufwachsen, dürfen dem Staat nicht weniger wert sein. Das ist doch ein von einem tiefen Gerechtigkeitssinn getriebenes Anliegen, das auch viele genau so sehen. Aber das Wichtige ist, diese Ungerechtigkeit zu verändern, ohne dass etwa Verheiratete mit geringem Einkommen schlechter dastehen. Da gibt es verschiedene Modelle, die wir uns zurzeit ansehen: etwa, nur für neugeschlossene Ehen neue Regeln einzuführen, also einen fairen Bestandsschutz zu vereinbaren. Oder die Möglichkeit, die Reform in längeren Zeitzyklen zu strecken. Das Anliegen muss erkennbar bleiben, und die Schritte müssen verkraftbar sein.
Oder es gibt die Möglichkeit, die Finanzierung von jenen zu holen, die nicht unter-, sondern überprivilegiert sind.
Ich glaube nicht, dass wir mit Sparen und Subventionsabbau allein auskommen werden, wenn wir unsere Infrastruktur nicht weiter verrotten lassen wollen. Breitband-Internet, elektrifizierte Eisenbahnstrecken, Straßenbrücken für den Schwerlastverkehr und Schulessen mit gesunden Produkten aus der Region haben ihren Preis. Und es gibt Menschen in diesem Land, die leichter dazu beitragen können als andere. Im Bundestagswahlkampf wollten wir zu viel auf einmal. Ich kenne viel Kollegen in der CDU, die heute sagen, wegen euch Vollnasen kommen wir nicht mehr weg von unserer Ablehnung einer Steuererhöhung. Dabei sehen doch alle, dass diese angebliche schwarze Null, die da im Bundeshaushalt präsentiert wurde, eine Fake-Veranstaltung ist. Das müssen wir klar machen, da müssen wir ran.
Was für ein Spagat: einerseits um Verständnis werben, die Leute mitnehmen wollen – und zugleich den eigenen Zielen treu bleiben.
Wir sind zum dritten Mal hintereinander in der Opposition. Wie die große Koalition den Status quo konserviert, wie sie das Geld unserer Kinder und Kindeskinder mit der Rentenreform vervespert und den Klimaschutz zugunsten der Kohlelobby opfert, will ich nicht nur aus der Opposition heraus kritisieren. Ich will dort nicht nur kluge Anträge schreiben, sondern in Regierungsverantwortung die Zukunft gestalten.
Das wollen alle.
Aber wir haben die richtigen Antworten auf die großen Zukunftsfragen. Und zeigen in den Ländern und den Kommunen, dass wir es können. An zentralen Stellen sitzen Grüne. Nächstes Jahr mit Hamburg hoffentlich sogar nicht mehr in acht, sondern in neun Landesregierungen.
Wie die Asyldebatte gezeigt hat, ist das auch keine Erfolgsgarantie.
Garantie sowieso nicht, aber eine gute Basis. Der Bundesparteitag hat doch gezeigt, was, zugegeben, nicht immer oder vielleicht sogar noch zu selten funktioniert: Wir sind e i n e Partei. Da gibt es nicht 16 Landesverbände, da gibt es nicht in Konstanz andere Grüne als in Flensburg. Dieses Verständnis, dass wir zusammen stehen, ob in der Regierung oder in der Opposition, dass wir zusammen gewinnen oder verlieren, und vor allem, dass wir thematisch voneinander profitieren, das ist ein Erfolgsrezept.
Noch ein Spagat, weil Regierung und Opposition doch unterschiedlich agieren muss?
Aber nicht thematisch. Wenn sich der baden-württembergische Ministerpräsident die Wirtschaftspolitik auf die Fahnen schreibt, wenn der Landesverband dazu moderne grüne Positionen verabschiedet, dann ist das kein Solitär. Sondern das zeigt den anderen, die in anderen Landesverbänden unterwegs sind, wie dieses Thema erfolgreich angepackt werden kann. Es fällt niemandem ein Zacken aus der Krone, funktionierende Rezepte zu übernehmen.
6 Kommentare verfügbar
Ulrich Frank
am 14.12.2014Die real existierende Grüne…