Das Staatsministerium indes versprüht professionelle Zuversicht. "Alle Stellen arbeiten mit Hochdruck daran", sagt Regierungssprecher Rudi Hoogvliet. "Es ist eine relativ komplexe Angelegenheit." Man stünde in Kontakt mit Vertretern der kurdischen Regionalregierung im Nordirak. Man versuche, "so schnell wie möglich Fakten zu schaffen". Das mit den Fakten ist allerdings so eine Sache: Man könne noch nicht sagen, wann "konkret" die ersten Frauen kommen würden, sagt Hoogvliet. Es sei noch offen, was mit Frauen mit Familien sei. Allerdings richte sich das Angebot an alleinstehende Personen. Es gebe Angebote von Kommunen aus Baden-Württemberg, die Frauen aufzunehmen. Angeblich soll Stuttgart die Hand gehoben haben. Doch auf Nachfrage äußert sich die Stadtverwaltung sehr zurückhaltend. Man wolle abwarten, was das Staatsministerium genau plane, sagt ein Sprecher.
Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg ist in die Planungen zumindest nicht involviert. "Wir wissen nicht einmal, wer bei dem Programm federführend ist", sagt Geschäftsführer Andreas Linder. Er fordert klare Ansagen seitens der Regierung, was die Unterbringung der Frauen angeht. In der Vergangenheit sei die Kommunikation "diffus" und "intransparent" gewesen, was beispielsweise die Aufnahmeprogramme des Bundes für syrische Flüchtlinge betrifft. Offen sei auch, ob die traumatisierten Frauen in Wohnungen oder in Flüchtlingsunterkünften leben sollten.
Das Staatsministerium soll mittlerweile die Pressesprecher der anderen Ministerien gebeten haben, die Zahl "1000" nicht weiter zu verbreiten. Vielleicht werden es nachher doch nur ein paar 100. Die Person Kretschmann soll durch ein Scheitern der Pläne keinesfalls beschädigt werden. In der Regierungszentrale sollen die Strategen überlegt haben, sich mit dem Sonderkontingent für die Frauen an ein neues Kontingent für syrische Flüchtlinge des Bundes zu hängen. So könnte man die Zahl 1000 deutlich geringer halten. Die Innenminister der Länder wollen auf ihrer Konferenz am 11. und 12. Dezember in Köln über ein weiteres Flüchtlingskontingent für 20 000 Menschen zu sprechen. Bereits in der Vergangenheit hat die Bundesregierung dadurch tausenden notleidenden Syrern die Einreise ermöglicht. Auf Nachfrage winkt Hoogvliet dazu allerdings ab. Man könne "nicht noch mehr Zeit ins Land gehen lassen" und auf ein solches Kontingent warten. Ursprünglich sollte noch vor dem Winter im Nordirak und in Syrien feststehen, was mit den Frauen geschehen soll.
Bis zu neun Monate Wartefrist für pschologische Betreuung
Unklar schien bisher auch die Frage, wo die Frauen therapeutisch behandelt werden sollen. In Baden-Württemberg kümmern sich aktuell fünf psychosoziale Zentren unter anderem in Stuttgart und Ulm um traumatisierte Flüchtlinge. Aufgrund des anwachsenden Flüchtlingszustroms stöhnen die Einrichtungen allerdings seit Wochen über eine massive Überbelastung und Wartefristen bis zu neun Monaten. Bis zum Jahresende werden im Südwesten bis zu 26 000 Flüchtlinge erwartet - doppelt so viele wie noch im Vorjahr.
So hatte auch das Sozialministerium nach eigenen Angaben nach Bekanntwerden der Idee vor einer zusätzlichen Inanspruchnahme der psychosozialen Zentren gewarnt. Dieses Problem soll nun geklärt sein. So sollen die traumatisierten Frauen in den Universitätskliniken therapeutisch betreut werden. "Im Augenblick ist sichergestellt, dass die psychosozialen Zentren nicht weiter belastet werden", sagt der Pressesprecher des Sozialministeriums, Helmut Zorell. Das Ministerium sei nach Aussagen des Staatsministeriums allerdings nicht in die Traumabehandlung und auch nicht in die Organisation der Aufnahme der Frauen involviert. Das Staatsministerium wollte sich auf Nachfrage nicht weiter zu dem Punkt äußern.
Aktuell erarbeitet nach Informationen von Kontext nun doch das Integrationsministerium eine entsprechende Kabinettsvorlage. Integrationsministerin Bilkay Öney wollte noch in der kommenden Woche mit einer Delegation nach Arbil, der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak, fliegen. Aufgrund des Sicherheitslage wurden die Pläne auf Eis gelegt.
Wie in der Kabinettsvorlage steht, muss die Landesregierung mit der kurdischen Regionalregierung, dem deutschen Generalkonsul in Kurdistan sowie mit Flüchtlingsorganisationen die Umsetzung des Planes abstimmen. Erst dann kann eine entsprechende Aufnahmeanordnung vom Innenministerium formuliert und vom Bundesinnenministerium abgesegnet werden. Die Landesregierung habe deswegen bereits beim Bundesinnenministerium (BMI) angefragt, wie ein Sprecher des BMI mitteilt. Sollte eine vollständige Aufnahmeanordnung vorliegen, sei eine Prüfung lediglich "eine Sache von Tagen".
Die Idee ist gut, die Planung mau
Ob es überhaupt sinnvoll ist, die Frauen und Mädchen nach Baden-Württemberg zu holen, scheint jedoch ebenfalls noch umstritten zu sein. So sollen sich Vertreter der muslimischen Kurden kritisch dazu geäußert haben, die Frauen aus ihren Familien und Clans herauszuholen. Dabei spielt offenbar auch die Angst eine Rolle, das eigene Land zurückzulassen. Die Kurdische Gemeinde Deutschlands war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Die jesidischen Kurden hingegen beurteilen die Idee der Landesregierung positiv. Teil der Delegation, die nach Arbil fliegen soll, wird der Psychotraumatologe und Orientalist Jan Ilhan Kizilhan sein. Der Professor an der Dualen Hochschule Villingen-Schwenningen ist Jeside und wird vom Integrationsministerium regelmäßig zu Themen wie Ehrenmorden oder Integration gehört. Die "Mehrheit der Jesiden begrüßt", was Baden-Württemberg plane, sagt Kizilhan. Es sei richtig, die Frauen und Mädchen für eine Behandlung nach Deutschland zu holen. Die Jesiden werden von Kämpfern des islamischen Staates als "Ungläubige" verfolgt, die Mädchen und Frauen vergewaltigt, als Sexsklavinnen verkauft. Die jesidischen Mädchen in den Flüchtlingslagern würden sich nicht von Moslems behandeln lassen, sagt Kizilhan. Die Mädchen bräuchten "soziale Wärme, Nähe, Bindung - das werden sie dort nicht bekommen". Er selbst wüsste in Flüchtlingslagern in der Grenzregion 600 bis 800 Frauen und Mädchen, die freiwillig nach Deutschland kommen würden. Allerdings müsste zuvor geprüft werden, ob dies wirklich Betroffene seien.
So bleibt die Idee, als reiches Baden-Württemberg besonders schwachen Flüchtlingen zu helfen, jenseits aller unausgegorenen Pläne eine gute Idee. Nach zwei Monaten wird es allerdings Zeit, dass Bewegung in die Umsetzung kommt - im Sinne der Frauen, nicht im Sinne des Staatsministeriums.
PS: Nach einer Überarbeitung der Kabinettsvorlage sollen nun doch noch die Psychosozialen Zentren mit der Betreuung der Frauen beauftragt werden - neben den Universitätskliniken. Außerdem wurde die Delegationsreise mit Ministerin Bilkay Öney aufgrund der Sicherheitslage gestrichen.
7 Kommentare verfügbar
maguscarolus
am 16.12.2014Große Entrüstung des Kretschmanns über diesen Artikel! Er führt sich auf, als sei der Gedanke, dass Politiker vor allem dann etwas tun, wenn sie dadurch an ihrem Image polieren können, eine Eingebung Satans oder jedenfalls niedrigstem Denken entsprungen.
Andererseits: wohin der…