Da steht sie nun, umringt von Journalisten, klein, schmal, kämpferisch, und versteht die Welt nicht. Die Tränen der Rührung sind getrocknet. Der Regierungschef hat seine Integrationsministerin am letzten Plenartag vor der Sommerpause herausgepaukt: "Was wir in privaten Gesprächen über politische Gegner, Parteifreunde und sonstige Mitmenschen äußern, dürfte nach grundsätzlicher Befindlichkeit und nach aktueller emotionaler Stimmungslage der Öffentlichkeit nicht den Standards politischer Korrektheit entsprechen." Kretschmann mag Öney, ihre offene, großstädtische Art, die deutlichen Worte, dass sie Migranten raus aus der Opferrolle holen möchte.
Der Entlassungsantrag der Opposition hätte die notwendige Zweidrittelmehrheit ohnehin nie gefunden, aber er hinterlässt, was er hinterlassen soll: Kratzer an Image und Seele. In immer neuen Anläufen versucht die Diplomkauffrau mit TV-Erfahrung zu erklären, was sie wie gemeint hat und was nicht, warum und wieso welche Äußerungen das Licht der Öffentlichkeit erblickten, dass sie juristische Schritte erwägt. Hier ein halb privates Telefonat, dort ein mehrfach zwischen Deutsch und Türkisch hin und her übersetzter Text. Souverän geht anders. Öney darf weitermachen, wird tags darauf der Tenor in den Medien sein.
Besonnenheit und Vorsicht sind nicht ihre Stärke
Die nächste Welle der Entrüstung kommt bestimmt. Der CDU hat von Anfang an die ganze Richtung nicht gepasst. Fraktionschef Peter Hauk verlangte schon in der fünften Plenarsitzung mit Blick auf ihr Mandat im Berliner Abgeordnetenhaus den Rücktritt: "In Berlin oder noch besser in Baden-Württemberg." Einen Tag später unterstellt die CDU politische Konflikte "in der Wahrnehmung der politischen Interessen zweier Länder". Natürlich steht das Ausscheiden in Berlin kurz bevor, aber die CDU will die Feindseligkeiten eröffnen. Viele, teilweise ausgesprochen persönliche Oppositionsanfragen und -anträge folgen. Einer illustriert das Niveau der Auseinandersetzung auf besondere Weise: Ende Februar 2012, nur einen Tag nachdem ein Spitzenbeamter des Integrationsministeriums wegen ständiger Indiskretionen laut über einen "Maulwurf" im eigenen Haus nachdenkt, stellt ein CDU-Abgeordneter eine in zehn Punkte gegliederte parlamentarische Anfrage zur Maulwurf-Population, denn das Ministerium wolle die Gattung ja bekämpfen. Welch ein Schenkelklopfer.
Die Gründung des Integrationsministeriums weist gleich mehrere Geburtsfehler auf. Erfunden wurde es, damit die SPD in Winfried Kretschmanns grün-rotem Kabinett nicht zu kurz kommt. Die Ressortchefin, eine Exgrüne, vereint als Berliner Großstadtpflanze mit türkischen Wurzeln in ihrer Person reichlich Kontrast. Und die Themen, die Bilkay Öney zu beackern hat, zählen nicht zum Markenkern ihrer SPD.
"Deutsch zu sein nimmt mir keiner ab", sagte die heute 43-Jährige bald nach Amtsantritt, verkennend, dass im deutschen Politbetrieb aber deutsche Regeln gelten. Sie nennt den langjährigen Justiz- und Innensenator Ehrhart Körting, geboren und geblieben in Berlin, als einen ihrer politischen Ziehväter, von dem sie vieles gelernt habe. Für eines fehlte ihm die eigene praktische Anschauung: für den erfolgreichen Wellenritt zwischen zwei Kulturen. Sprachlich zum Beispiel, und das ist keineswegs das kleinste der Probleme.
Öney spricht ein formal fehlerfreies, ausdifferenziertes Deutsch, hat aber zu wenig Empfinden dafür, wie ihre Worte aufgenommen werden (können). Die Tochter eines Lehrerpaares – "mein Vater ist ein linker Nonkonformist" – flucht auf Türkisch. Leute, die öfters in der ersten Muttersprache mit ihr diskutieren, beschreiben ihre Wortwahl als teilweise derb und drastisch und fügen an, dass das in Ankara oder Istanbul unter Politiker nicht weiter auffällt. Wer aber am Neckar ohnehin unter besonderer Beobachtung steht, würde sich mit einer Portion Vorsicht und Besonnenheit viel Ärger ersparen.
Mindestens zweimal hat sie sich im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie über den "tiefen Staat" ausgelassen – in der Türkei das Codewort für unappetitliche Verbindungen zwischen Politik, Polizei, Geheimdiensten und Machtgruppen. Die CDU-Fraktion, allen voran ihr ausländerpolitischer Sprecher Bernhard Lasotta, unterstellte unverzüglich, die gebürtige Ostanatolierin wolle damit bei ihrem türkischen Publikum bestimmte Assoziationen wecken, und legte eine mehrseitige Materialsammlung zu den "integrationsfeindlichen Äußerungen" vor. Anstatt offensiv das Gemeinte zu erläutern, ruderte die Gescholtene zurück – und versprach mehr Präzision im Ausdruck. Das war vor gut einem Jahr.
Viele wollen die Integrationsministerin absichtlich missverstehen
Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte der SPD-Führung klar sein müssen, dass die Ministerin Unterstützung nötig hat. Bisher blieb sie aus. Dabei steht SPD-Landeschef Nils Schmid doppelt in ihrer Schuld: Er hat sie aus ihrem Berlin geholt – "so ein Angebot konnte sie doch nicht ablehnen", sagt einer, der sie gut kennt –, und weil er mit Wirtschaft und Finanzen unbedingt zwei Ministerien unter seinen eigenen Hut bringen wollte, musste ein neues her, mit magerster finanzieller und personeller Ausstattung und geringem Ansehen. Zu solchen Handicaps kommt, dass die Chefin sich schnell den Ruf erwirbt, schon mal reichlich rüde mit dem eigenen Team umzugehen. Viele wollen sie allerdings auch missverstehen. Sie habe ihren Wechsel nicht zuletzt der Quote zu verdanken, sagt sie einmal schnörkellos – Quotenfrau, rufen prompt einige aus der FDP mit gespielter Empörung. Integration als politische Querschnittsaufgabe hätte nicht unbedingt ein eigenes Ressort gebraucht, sagt sie ein andermal. Ministerin hält eigenes Ministerium für überflüssig, schallt es ihr aus der CDU entgegen.
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Volk
am 05.09.2013