Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel. Auf dem Treffen, zu dem Ministerpräsident Winfried Kretschmann ins reichlich hochherrschaftliche Ambiente des Marmorsaals im Neuen Schloss geladen hatte, wurden viele Fragen strittig gestellt. Erst in den kommenden Wochen und vor allem, wenn es um die Verteilung der zusätzlichen Ausgaben geht, wird sich zeigen, wie belastbar der viel beschworene Konsens tatsächlich ist. Immerhin sehen inzwischen sogar die integrationspolitischen Sprecher der Union den Bund in einer größeren Verantwortung als bisher. Und Kretschmann selbst will bis Mitte Dezember eine Einigung zwischen den Ländern und der Großen Koalition in Berlin, unter anderem zur Gesundheitsversorgung, erreichen.
"Wir dürfen die Flüchtlingsthematik aber nicht nur technokratisch auf die Kosten herunterbrechen", erklärt Städtetagspräsidentin Barbara Bosch dieser Tage, "da kommen Menschen, die bei uns bleiben wollen." Ein großes Wort, gelassen ausgesprochen. Denn über Jahrzehnte hat sich der Südwesten im Umgang mit Asylbewerbern einen äußerst widersprüchlichen Leumund erarbeitet, der so gar nicht zum ewigen Streben nach Spitzenplätzen passt. Einerseits übt das Land angesichts seiner Prosperität weltweit höchste Anziehungskraft auf jene aus, die auf der Suche sind nach einem besseren Leben. Und andererseits haben alle CDU-geführten Regierungen seit Hans Filbinger Ende der Siebzigerjahre alles getan, um Mauern hochzuziehen – lange bevor die unsägliche Drittstaaten-Regelung die legale Einreise grundsätzlich unmöglich machte.
"Da rennen heute viele mit einem dicken falschen Heiligenschein herum", sagt Andreas Linder, der Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg. Aktuelle Unterbringungsprobleme sind das Ergebnis von jahrelangem Abbau der Kapazitäten, des Systems der Unterbringung in Lagern und in der von einer Politikergeneration zur nächsten weitergetragenen Lebenslüge, Deutschland sei kein Einwanderungsland – und solle es auch nicht werden. Der Geist, in dem Gastarbeiter geholt wurden, um nach getanem Werk wieder zu gehen, beherrschte die Köpfe, das C im Namen der Union war bedeutungslos. Spielräume für humanitäre Lösungen blieben konsequent ungenutzt.
Opposition nahm Liberalisierung aufs Korn
Im Dezember 2011 stellte Ministerin Öney allen Stadt- und Landkreisen frei, Asylbewerber und Flüchtlinge bei Kapazitätsengpässen in Wohnungen unterzubringen. Genutzt wurde die Möglichkeit nicht. Vielmehr wetterte die Opposition gegen jede Liberalisierung. Noch vor einem Jahr, als das neue Unterbringungsgesetz auf den Weg gebracht wurde, wollte der CDU-Landtagsabgeordnete Bernhard Lasotta Sachleistungen nicht grundsätzlich abgeschafft wissen. Und als die Ministerin erläuterte, dass sieben Quadratmeter Wohn- und Schlaffläche pro Person anstelle von bisher viereinhalb kein Luxus, sondern eine bescheidene Verbesserung sei, rief sein Parteifreund Karl-Wilhelm Röhm ins Hohe Haus: "Das habe ich als Wehrpflichtiger auch nicht gehabt!"
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tillupp
am 22.10.2014