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"Und nachts haben wir am meisten Angst"

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Der Bundesrat entscheidet am 19. September erneut über eine Änderung des Asylrechts. Länder mit grüner und linker Regierung verweigern bisher die Zustimmung. Wie es sich anfühlt, in ständiger Furcht vor der Abschiebung zu leben, zeigt die Geschichte der Roma-Familie Berisha.

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Afrim Berisha hat sein Leben lang gewartet. Darauf, dass sein Asylantrag genehmigt wird, dass seine Duldung verlängert wird, dass er abgeschoben wird. Berisha ist 25 Jahre alt, Roma, im Kosovo geboren, im Alter von zwölf Monaten nach Deutschland gekommen. 1991 beantragten seine Eltern für die sechsköpfige Familie Asyl. Sie wurden abgelehnt, stattdessen geduldet. Nun sollen Afrim Berisha und eine seiner Schwestern abgeschoben werden. Stattdessen kehrt die Familie freiwillig in den Kosovo zurück - in eine Heimat, die keine ist.

Die Geschichte klingt wie das Drehbuch für ein Drama - oder einen Horrorfilm: Ein Mensch wächst in einem Land auf, spricht die Sprache, hat seine Freunde hier, später findet er Arbeit, gründet eine Familie. Dann teilt ihm der Staat mit, er müsse in seine Heimat zurück. In seine Heimat? Für Afrim Berisha ist es eine Vertreibung aus der Heimat.

Die Parteien im Bundestag debattieren derzeit darüber, Länder wie Serbien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Angesichts massiv steigender Flüchtlingszahlen geht es darum, die Hilfsangebote auf Menschen zu konzentrieren, die aus aktuellen Kriegsgebieten stammen. Auch in Baden-Württemberg platzen die Asylbewerberunterkünfte aus allen Nähten. Für die Familie Berisha ist es nach 23 Jahren trotzdem ein Schock, Deutschland verlassen zu müssen. Sie haben Angst, in ein wirtschaftlich schwaches Land zu gehen, dessen Sprache die Kinder nicht sprechen - und in dem Roma diskriminiert werden.

Feride und Idris Berisha packten Anfang 1991 ihre Kinder in den Kombi eines Freundes und fuhren drei Tage nach Karlsruhe. Sie waren damals 28 Jahre alt, ihre Kinder zwischen neun und einem Jahr. Sie fühlten sich von den Serben angefeindet, von den Albanern. "Roma ist Roma, Roma hat kein Land", sagt Feride Berisha, während sie in einer Wiege ihren Enkel Idris schaukelt. Idris, Sohn von Afrim, ist ein Jahr alt.

Warum sie damals gegangen sind? "Weil das Leben da unten scheiße ist", sagt Afrim Berisha im schwarzen T-Shirt, verwaschenen Jeans und gegelten Haaren. Keine Arbeit für Roma, ihre Sprache Romanes sei verboten.

Die Familie kam in eine Flüchtlingsunterkunft nach Stuttgart-Vaihingen, dann nach Plieningen, dann wieder nach Vaihingen. "In 16 Jahren sind wir 16 Mal umgezogen", sagt Afrim Berisha. Einmal beschwerte sich ein Nachbar über das Wohnheim, einmal musste das Gebäude renoviert werden. Es war die Zeit, in der aufgrund der blutigen Konflikte auf dem Balkan immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Es war die Zeit, in der Nazis vor Asylbewerberheimen "Ausländer raus" riefen. Es war die Zeit, in der bei Brandanschlägen von Rechtsextremen in Mölln und Solingen insgesamt acht Menschen türkischer Abstammung starben. 

Nach zwei Jahren lehnten die Behörden den Asylantrag der Berishas ab. Sie durften trotzdem bleiben, wurden geduldet. Die Situation im damaligen Jugoslawien war zu prekär. 1998 eskalierte der Konflikt um die Unabhängigkeit des Kosovo zwischen der paramilitärischen UÇK und der Bundesrepublik Jugoslawien.

Die Kinder der Familie Berisha besuchten derweil die Altenburgschule, eine Förderschule in Bad Cannstatt. Sie lernten Deutsch. Afrim und sein Bruder Kasum verbrachte ihre Zeit in der Cannstatter Inzel, einem Jugendzentrum. Dort trafen sich viele Roma, aber auch Türken, Kurden und Deutsche. "Zick, zack, Zigeunerpack - so haben wir uns genannt", sagt der junge Mann und lacht.

Kasum Berisha ist mittlerweile wieder im Kosovo. Vor vier Monaten kam die Polizei, nachts um drei Uhr, und holte ihn aus dem Wohnheim in der Stuttgarter Nordbahnhofstraße ab. Kasum wurde nach Belgien abgeschoben, wo die Familie zwischenzeitlich drei Jahre versucht hatte, Asyl zu bekommen. Dort landete er in Abschiebehaft, danach ging es in den Kosovo.

Drei der vier Kinder machten in Bad Cannstatt ihren Hauptschulabschluss. Nur Mirsade, die Älteste, schaffte die Schule nicht.

Mirsade und Afrim Berisha sitzen auf dem Ecksofa im Wohnzimmer, die Mutter sitzt auf dem Boden, vor der Wiege. Drei Zimmer, 80 Quadratmeter, für acht Menschen: die Eltern, drei Kinder, Afrims Lebensgefährtin, Afrims Sohn und Mirandes neunjährige Tochter. Die Eltern schlafen im Wohnzimmer auf der Couch. An der Wand hängt ein Teppich mit einer gestickten Silhouette der Stadt Medina. Die Berishas sind wie viele Roma Muslime. 

Während der Duldung arbeitete der Vater als Reinigungskraft und Aufräumer im Biergarten, die Mutter und Tochter Mirande bei Burger King in der Küche. Alle sechs Monate wurden ihre Duldungen verlängert. Mal gab es eine Arbeitserlaubnis, mal nicht. Mirsade machte als Zimmermädchen Hotelräume sauber, Kasum arbeitete als Koch, Afrim versuchte über Praktika eine Ausbildungsstelle zu bekommen. Doch immer wenn es um einen Vertrag ging, scheiterte er - länger als sechs Monate konnte der Betrieb nicht mit seiner Arbeitskraft planen. 

Eine Bäckerei bot ihm letztlich einen Job an. In seiner Freizeit arbeitete er so wie heute als Dolmetscher im Wohnheim. Die Sozialarbeiterin Brigitte John-Onyeali von der Arbeitsgemeinschaft dritte Welt sagt: "Afrim ist wirklich fit." Er habe neuen Flüchtlingen geholfen, sich bei den Behörden anzumelden, Konten bei den Banken zu eröffnen.

Doch ständig hat die Familie Sorge, dass sie gehen muss. "Mittwoch war immer ein Tag, wo abgeschoben wurde", sagt Afrim Berisha. Regelmäßig wurden andere Bewohner der Wohnheime abgeholt. "Nachts haben wir am meisten Angst." 

Weil die Berishas schon 15 Jahre in Deutschland gelebt hatten, sie ausreichend Deutsch sprachen und für ihren Lebensunterhalt sorgen konnten, bekamen sie 2007 für zwei Jahre eine Aufenthaltserlaubnis. Doch kurz bevor es um eine Verlängerung ging, hätten er, sein Bruder, sein Vater und seine Mutter ihre Jobs verloren, erzählt Afrim Berisha. Mitte Dezember 2009 kam der Brief, dass sie abgeschoben werden sollten. 

Doch zurück wollten die Berishas nicht. Ein Bruder des Vaters war schon vor Jahren nach Belgien gegangen, hatte dort Asyl beantragt - und gewährt bekommen. Die Familie stellte in Brüssel einen zweiten Asylantrag und blieb drei Jahre. Dann war Schluss. Die Eltern und Mirsade kamen in Abschiebehaft. Dreieinhalb Monate blieben sie dort. "Eine Stunde am Tag Hofgang", sagt die Mutter. "Immer das gleiche Essen: Schwarzbrot mit Salami oder Marmelade."

Der Vermieter warf den Rest der Familie aus der Wohnung. Sie kehrten zurück nach Deutschland - und stellten den dritten Antrag auf Asyl. 

In der Zwischenzeit hatte die Europäische Union (EU) festgelegt, dass jeder Flüchtling nur in einem EU-Staat einen Asylantrag stellen kann. Den ersten Asylantrag stellten die Berishas demzufolge in Belgien. Das Land ist zuständig für die Familie, hat aber deren Abschiebung bereits entschieden. Deswegen fürchten die Berishas ihre Abschiebung nach Belgien so wie ihre direkte Abschiebung in den Kosovo.

Sozialarbeiterin John-Onyeali sagt: "Ich kenne noch zwei, drei andere Familien, wo der Fall ähnlich gelagert ist." Sie hat bei der Härtefallkommission einen Antrag gestellt, der abgelehnt wurde. Sie hat den Petitionsausschuss des Landtages angerufen. Nachdem die Berishas nun zugesichert haben, gemeinsam freiwillig in den Kosovo zurückzukehren, wurden die Abschiebungen nach Belgien ausgesetzt. Die Familie wollte lieber gemeinsam gehen, als noch einmal getrennt werden.

"Das Argument ist, dass es im Kosovo keinen Krieg gibt. Es ist ein demokratisches Land", sagt John-Onyeali über die erzwungene Ausreise. Afrim Berisha sagt: "Es wird hart, das Leben da unten."

Das Regierungspräsidium Karlsruhe äußert sich nur allgemein zu Asylanträgen. Ein Sprecher verweist darauf, dass ein langer ununterbrochener Aufenthalt notwendig sei, um "ausnahmsweise" ein Aufenthaltsrecht zu bekommen. Der Aufenthalt in Belgien hat den Aufenthalt der Berishas in Deutschland allerdings unterbrochen.

Aktuell erhält jeder Erwachsene der Familie 260 Euro im Monat. Arbeitsgenehmigungen haben sie keine. Sparen ist schwierig. Verwandte und Freunde gibt es im Kosovo keine mehr, sagt die Familie. Durch die Arbeitsgemeinschaft dritte Welt und das deutsche Hilfs-Programm URA 2, das im Kosovo läuft, bekommen die Berishas eine kleine Starthilfe. Doch mit einem Taschengeld von maximal 75 Euro einmalig pro Person wird es schwierig werden. Dazu kommen unter anderem 100 Euro für die Mietkosten für die ersten sechs Monate.

Afrim Berisha träumt davon, ein Restaurant zu führen. Gemeinsam mit seinem Bruder will er Spezialitäten vom Balkan anbieten. "Wir wollen eines Tages eines aufmachen", sagt er und lächelt. Am liebsten in Deutschland, an der Autobahn, neben einer Tankstelle, vielleicht ein Imbiss. Oder sonst im Kosovo. "Aber wie?", fragt seine Schwester Mirsade. Afrim Berisha sagt: "Mit Stein und Erde."

 

Unter dem Motto "Roma haben kein sicheres Herkunftsland" findet am Samstag, 13. September, um 12 Uhr auf dem Stuttgarter Schlossplatz eine Kundgebung statt. Mehr dazu finden Sie <link http: www.freiburger-forum.net kundgebung-roma-haben-kein-sicheres-herkunftsland _blank>hier.


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5 Kommentare verfügbar

  • Lustig!
    am 12.09.2014
    Antworten
    Sind denn Hr. Mapp.s und Hr. Ko.l integriert? Und wenn ja in was? Verfassungsbruch ist doch der Gipfel dessen, was sich ein Politiker, der die Hand zum Schwur gehoben hat, erlauben kann. Oder Schwarzgeld in Plastiktüten? Da können's ja das GG gleich ignorieren, wenn das durchgeht. Und was ist dann…
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