Nach vielen Verhandlungsterminen und Dutzenden Zeugeneinvernahmen sind alle Beteiligte üblicherweise erleichtert, wenn ein Gerichtsverfahren zum Ende kommt. Nicht so beim als Wasserwerferprozess titulierten Verfahren am Stuttgarter Landgericht, in dem sich zwei leitende Polizeibeamte im Zusammenhang mit der Räumung des Stuttgarter Schlossgartens für das Tiefbahnhofprojekt Stuttgart 21 im Herbst 2010 zu verantworten hatten. Mehrere Hundert verletzte Demonstranten forderte die Polizeiaktion, die sich als Schwarzer Donnerstag in das Gedächtnis des Landes eingebrannt hat. Nach 24 Verhandlungstagen wurde das Verfahren wegen geringer Schuld und Geldauflagen von jeweils 3000 Euro vergangene Woche überraschend eingestellt.
Manchen treibt der "WaWe"-Prozess auch nach dessen abruptem Ende weiter um. Das zeigte sich während der Podiumsdiskussion, zu der Kontext am vergangenen Montag unter dem Motto "Unerhört. Ungeklärt. Ungesühnt." in den Württembergischen Kunstverein geladen hatte. Auf dem Podium debattierten Beteiligte und Beobachter des Prozesses angeregt über das Verfahren, im überfüllten Foyer beteiligten sich 250 Zuhörer mit etlichen Zwischenrufen an der Diskussion. Im Publikum saßen auch viele Augenzeugen der dramatischen Ereignisse.
Auf der Anklagebank saßen "untere Chargen"
"An diesem Prozess war alles ungewöhnlich", resümierte Dieter Reicherter, der für Kontext an den 24 Verhandlungstagen im Gerichtssaal weilte. Für den ehemalige Strafrichter am Stuttgarter Landgericht war nicht nur die lange Zeit auffällig, die die Staatsanwaltschaft für Ermittlungen und Anklageerhebung benötigte. Auch dass mit den zwei Polizeiführern nur die "mittlere Charge und nicht die tatsächlich Verantwortlichen angeklagt wurden", sieht er als bemerkenswert. Zudem seien von der "gesamten Gewaltorgie während der Parkräumung nur die Wasserstöße auf Kopfhöhe" von der Anklagebehörde verfolgt worden, während Prügel- und Pfeffersprayattacken außen vor blieben. "Besonders ungewöhnlich war die plötzliche Einstellung des Verfahrens, die hinter dem Rücken der Nebenkläger ausgehandelt wurde", so Reicherter.
"Das war kein guter Stil", rügte auch der Freiburger Rechtsanwalt Frank-Ulrich Mann, dass die Nebenklägerseite erst von der Einstellung erfuhr, als Angeklagte und Anklagebehörde dieser bereits zugestimmt hatten. "Dabei hätten wir ganz gute Argumente gehabt, noch auf die Entscheidungsfindung des Gerichts einzuwirken", so der Anwalt, der im Verfahren den durch einen Wasserwerferstrahl schwer verletzten Rentner Dietrich Wagner vertrat.
Vorwurf: Justiz misst mit zweierlei Maß
Für Mann nimmt die Justiz im Land schon von Beginn an zweierlei Maß in der Auseinandersetzung um den milliardenschweren Tiefbahnhof. "Es war frühzeitig zu erkennen, dass der Staat seine Repräsentanten schützt und die S-21-Demonstranten kriminalisiert", spielte Mann auf den inzwischen in Ruhestand getretenen Stuttgarter Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler an. Der war am Schwarzen Donnerstag vor Ort im Schlossgarten gewesen, hatte strafbare Handlungen aber nur auf Seiten der Demonstranten, nicht durch Polizisten bemerkt. "Während der Parkräumung wurden die Bürgerrechte mit Füßen getreten", kritisierte Mann, "eine Staatsanwaltschaft muss jedoch bei jeder Straftat tätig werden, die ihr bekannt wird."
13 Kommentare verfügbar
PSI
am 15.12.2014Auch weil Herta Däubler-Gmelin das Vorwort geschrieben hat.
Ich dachte eigentlich über unser Ländle einiges zu wissen, auch über unsere schwarz-braune Vergangenheit. Weit gefehlt.
Wer Kontext liesst kennt…