Woran kann man in Stuttgart noch glauben, und wem sollte man keinen Glauben mehr schenken? Das Recht des Stärkeren wird hier derzeit im Rathaus beansprucht, und wer jemals an die Kritikfähigkeit des nicht mehr ganz so neuen OB Kuhn geglaubt hat, wird nun eines Besseren belehrt. Kuhn, der noch im Wahlkampf den Stuttgarter Einkaufszentren-Bauwahn gegeißelt hat, ist inzwischen zum kritiklosen Investorenpaten mutiert. Anstatt Schaden von der Stadt abzuwenden, lässt er sich von Konzernen ins Stammbuch diktieren:
• Statt für Alternativen gegen die Stadtzerstörung zu streiten, schwätzt er bei der Gerber-Eröffnung von "wohnen und arbeiten", wohlwissend, das sich fast niemand Kaltmieten zwischen 13 und 17 Euro pro Quadratmeter leisten kann!
• Statt zu schweigen, schwadroniert er lieber, dass die Stadt ein elementares Interesse daran hätte, dass es dem Milaneo gut gehe, und setzt somit die Interessen der Shoppingmall-Vertreter mit denen der Bevölkerung gleich. Da hätte man auch Wolfgang Schuster im Amt belassen können, der hätte es nicht schöner formulieren können.
• Statt den Bahnhofskritiker/innen angemessene Orte für ihren Protest zur Verfügung zu stellen, unterstützt er die Etablierung stadtzerstörender Einkaufszentren.
• Statt den Bahnhof als den Schwachsinn zu benennen, der er ist (was Kuhn im Wahlkampf noch getan hat), versucht er geschickt, das Vokabular der Protestbewegung zu nutzen, um einen Pseudofrieden zu arrangieren. Zitat Kuhn: "Ich hoffe darauf, dass sich auch Menschen, die den Tiefbahnhof kritisch sehen, an der Diskussion um die bestmögliche Nutzung der frei werdenden Flächen beteiligen."
• Statt also den Durchmarsch der Investoren in Stuttgart wenigstens zu erschweren oder zu behindern, lädt er zum "Bürgerdialog" zur Bebauung des Rosensteinquartiers auf dem Gleisvorfeld ein.
Solange das Bauen nur den Marktgesetzen unterliegt, solange Boden lediglich Ware ist, solange Konzerne sich zusammenkaufen können, was sie wollen, solange Autokonzerne hofiert werden, solange die Kuhn-Politik des Schweigens, des Sich-Raushaltens und des "unkritischen Begleitens" politische Praxis in Stuttgart ist, solange kann dort, wo neu gebaut wird, eben nichts Urbanes wachsen, nichts Soziales entstehen, nichts Neues entwickelt werden, sondern nur das, was die besten Renditen abwirft. Solange Kuhn den Kretschmann macht, bleibt alles – beim ganz Alten!
Die Bewegung der Gegnerinnen und Gegner von S 21 hat aber die bessere Alternative. Wir haben K 20, K 21 tausendfach angeboten und beworben und werden weiterhin mit den besseren Argumenten dafür kämpfen, dass der Rosensteinpark und die Gleisflächen überhaupt nicht bebaut werden. Darüber können Sie jederzeit gerne mit uns reden, wir verweigern keinen Dialog, doch wir reden nur über Redenswertes.
Der Kampf um das Tempelhofer Feld in Berlin hat gezeigt, dass Stadtentwicklung auch anders funktionieren kann, dass Bürgerinnen und Bürger sich die politische Handlungsmacht zurückerobern können. Was können wir von den BerlinerInnen lernen? Wie können wir das Politische wieder mehr ins Zentrum unserer Aktivitäten rücken?
Wir können alle wichtigen Fragen durch konkrete Aktionen beantworten:
• Die Bauarbeiten an S 21 schreiten fort? Machen wir der Bevölkerung unmissverständlich klar, dass S-Bahn-Chaos, dass Staus, dass Lärmbelästigung und Dreck hauptsächlich wegen S 21 vorkommen.
• Es sollen noch mehr verkaufsoffene Sonntage stattfinden? Boykottieren wir diese Konsumveranstaltungen.
• Die nächste Lohnsenkungsspirale für die MitarbeiterInnen bei Karstadt wird schon angeschoben? Unterstützen wir die Gewerkschaften, die gegen Lohnabbau streiten, in ihrem Protest.
• Der Geschäftsführer der Buchhandlung Wittwer will, dass ihm die Bettler und politischen Kundgebungen vom Hals geschafft werden? Kaufen wir also unsere Bücher in Stadtteilläden ein.
• Die Mieten steigen weiter? Unterstützen wir aktiv die Mieterinitiativen, die für bezahlbaren Wohnraum kämpfen.
• Der Protest scheint überaltert? Gehen wir mit den Protestmaterialien vor die Schulen und in die Universitäten.
• Die Bahnbediensteten wollen trotz Medienschelte weiterstreiken? Solidarisieren wir uns mit ihnen.
• Es sollen in Stuttgart noch mehr Malls betrieben werden? Boykottieren wir die großen Einkaufszentren, stärken wir den Einzelhandel, verbünden wir uns mit denjenigen, die für eine urbane, nachhaltige und soziale Stadt kämpfen. Auch die Macher von S 21 sehen die Stadt lediglich als Verkaufs-und Konsummaschine.
Denken wir die Themen zusammen, bringen wir unser enormes Potenzial ein und stellen wir es anderen Initiativen zu Verfügung. Politisieren wir uns damit neu und nachhaltig im Sinne einer Bürgerbewegung, mit der auch in Zukunft zu rechnen sein wird. Unten wird dann kein Bahnhof sein, sondern all das, was unten hingehört: Erde, Grundwasser und Mineralquellen. Genau so wird es kommen, liebe Leute, freut euch drauf, denn wir werden – oben bleiben!
Fata Morgana
Von Walter Sittler
Eine wann auch immer getroffene Entscheidung, die sich als falsch herausstellt, kann nicht mit noch so viel Geld in eine richtige umgemodelt werden. Jedes Versprechen einer goldenen Zukunft, wenn man nur jetzt massive Einschränkungen und endlose Kosten auf sich nimmt, alle solche Zukunftsversprechungen haben sich am Ende als Fata Morgana erwiesen.
Ein klügerer Mensch als ich hat es so formuliert: Die Politik in diesem Lande kann man definieren als die Durchsetzung wirtschaftlicher Zwecke mithilfe der Gesetzgebung.
18 Kommentare verfügbar
Jupp
am 16.12.2014Ohne S21 geht BW sicher genausowenig den Bach runter wie mit S21.
Dafür ist das Projekt sicher zu klein.
BW hat ein BIP>400 mrd im Jahr.
Und hat eine Beteiligung von <1 mrd.
Wie soll von so einem Projektle die Zukunft abhängen?
Aber das Leben wird mit S21 ein wenig besser.
…