Ja, sie habe mit den Tränen gekämpft, die Verlegerin, berichten die Beschäftigten. Sehr nervös und fahrig sei Christine Bechtle-Kobarg (BeKo) gewesen, an jenem Mittwoch, den 5. Oktober, um 14.30 Uhr in der Kantine, als sie den Verkauf verkündete. Sie habe dies "schweren Herzens" entschieden, sagte die 61-Jährige, allerdings aus guten Gründen. Erstens benötige der Verlag eine "starke Hand" in diesen schweren Zeiten, zweitens sehe sich ihr Sohn Sebastian nicht in diesem Business. Das habe er in der Woche zuvor final befunden. Und weil das alles so frisch sei, könne sie keine Fragen beantworten.
´Von denen hätten sie, die kalt Erwischten, noch viele gehabt. Warum gerade jetzt, wo sie, die Eigentümerin, doch immer versichert hat, nicht verkaufen zu wollen? Noch vor einem Monat, im Branchendienst "Kress", hatte sie betont, sie bleibe Verlegerin, führe die Geschäfte weiter. Das sei "alles machbar". Und jetzt der Besitzerwechsel, nur weil der Filius nicht will? Nur weil sie plötzlich entdeckt hat, dass die starke Hand das Stuttgarter Pressehaus ist, ein verlässlicher Mitgesellschafter seit 22 Jahren, vor dem auch ihr Personal keine Angst haben müsse. Richard Rebmann, der Boss auf dem Möhringer Berg, sei ein angenehmer Gesprächspartner und führe gewiss nichts Schlimmes im Schilde. Alles bleibe beim Alten. So sprach sie vor der Belegschaft, die sich nun fragt, wer in welcher Wirklichkeit lebt. "Natürlich geht jetzt die Angst um", sagt ein Redakteur, der um Anonymität bittet, weil er nicht zu den ersten Opfern gehören will.
In Esslingen steht alles zur Disposition – auch die Redaktion
Er kennt <link http: www.swmh.de presse stuttgarter-zeitung-uebernimmt-mehrheitsanteile-an-bechtle-verlag-und-druck external-link-new-window>die Verlegerprosa, die von "Synergien" spricht und Arbeitsplatzvernichtung meint. Die "Eßlinger Zeitung" ist dafür wie gemalt, was der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) nicht verborgen geblieben ist. Lediglich das Kartellamt – und der 2012 verstorbene Patriarch Otto Wolfgang Bechtle – haben bisher verhindert, dass die Zeitungskrake mehr als 24 Prozent an dem Traditionsblatt halten konnte. Jetzt, im Zuge der Lockerung des Kartellrechts, ist es so weit. Damit steht alles zur Disposition, was sich unter dem verschleiernden Begriff "Doppelstrukturen" versammelt: Druck, Vertrieb, Anzeigen, IT, Lohn- und Gehaltsabteilung. In Menschenzahlen: rund 300.
Besonders bitter ist es für die Redaktion. Die "Eßlinger Zeitung" (EZ) war bis dato ein eigenständiges Blatt mit einer Mantel- und Lokalredaktion, das sich dem Verlegermotto verpflichtet sah: "Esslingen und die Region liegen uns am Herzen." In der Lokalausgabe Esslingen mag das noch eine Weile funktionieren, aber was wird aus Cannstatt und Untertürkheim, wo die Stuttgarter jetzt schon mit ihren sublokalen Erzeugnissen, den fünften Büchern, präsent sind? Und was ist mit dem Rest der Welt? Der findet im Mantel statt, den zwölf KollegInnen produzieren, von der Politik über Wirtschaft, Kultur und Sport. Dieser Teil ist mit einem Knopfdruck auszutauschen, weil das Zeitungsformat dasselbe ist. Nichts leichter, als die Seiten der "Stuttgarter Zeitung" oder der "Stuttgarter Nachrichten" voranzustellen, wobei das eher eine kosmetische Frage ist, nachdem die Blätter inhaltlich weitgehend identisch sind. Am Ende dürfte eine STZNEZ stehen, die so tut, als wäre sie eine "Eßlinger Zeitung". Wenigstens im Titel.
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Thomas
am 03.11.2020