Es gibt zurzeit ein ziemlich gutes Meme, das auf allen möglichen Internet-Kanälen kursiert: Zwei Aliens, die sich gemeinsam die Unterhaltungsserie "Erde" im Fernsehen anschauen (fragt mich nicht, warum Aliens Fernsehen schauen) und ihre Drei-Finger-Hände über dem Kopf zusammenschlagen, weil sie es nicht fassen können, wie der Plot ihrer Lieblingsserie in nur zwei Episoden von "Pandemie" zu "Dritter Weltkrieg" eskalieren konnte. Da kommen selbst Außerirdische nicht mehr mit. Klar, wirklich lustig ist der irdische Bezug nicht, aber lachen musste ich trotzdem über die Meta-Sicht auf die Menschheit durch die Brille von Aliens, die das Treiben auf der Erde wie eine trashige Fernsehserie verfolgen. Es bleibt einem im Endgame der Satire ja manchmal auch gar nichts anderes mehr übrig als zu lachen, wenn selbst "Überspitzung zur Entlarvung nicht mehr taugt", wie die Band "Egotronic" in ihrem Song "Schlusz mit lustig" konstatiert. Und der bezog sich "nur" auf Verschwörungstheorien und Schwurbelei im postfaktischen Zeitalter.
Den Witz mit den Aliens habe ich die vergangenen zwei Jahre, ohne das Meme zu kennen, oft selbst gemacht angesichts des ganzen Corona-Irrsinns, in dem sich die Menschheit verheddert hat und innerhalb von zwei Jahren vom harmlos-dummen Klopapier bunkern zu gefährlich-dummen Demos gegen Impfungen in einer vermeintlichen "Diktatur" oder "DDR 2.0" der Bundesrepublik übergegangen ist. Wahrscheinlich hab ich ihn auch schon davor gemacht, als ich im Januar 2017 mit Kolleginnen in der Kontext-Redaktion vorm Laptop saß und die Vereidigung von Donald Trump zum Präsidenten der USA verfolgt habe. Zusammen mit den Erfolgen der AfD im Land markierte dieses Jahr für mich als Kind der späten Achtziger, als Feministin und Punkerherz eine politische Zäsur: Keine Freiheit ist für immer. Keine Errungenschaft unumkehrbar. Emanzipation ist nicht mit der Zerschlagung von Ketten erledigt – man muss ständig auf der Hut sein, dass sie einem nicht wieder angelegt werden. Als Faschisten wieder demokratisch gewählt in deutsche Landtage einzogen, haben nicht nur Aliens, die in ihren fliegenden Untertassen "Erde" schauen, die Arme über dem Kopf zusammengeschlagen.
Doch wer hätte gedacht, dass nur ein paar Jahre später eine Pandemie dazukommen würde, die das Problem mit den Rechten in Deutschland unterm Corona-Brennglas zu einer rechten Schwurbel-Pandemie der Gehirne erweiterte? Plötzlich gingen Tausende Leute gegen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung auf die Straßen, "ganz normale Leute" behaupteten, aus der "Mitte der Gesellschaft" zu sein, während sie sich Judensterne an die Jacken steckten, Pferdewurmkuren schluckten und die Corona-Impfung für Massenmord hielten in der Überzeugung, von der diffusen Elite eine Weltverschwörung verarscht zu werden. Der pure Irrsinn schien ausgebrochen. In Familien. In Freundeskreisen. In der Kneipe und im Büro. Rien ne va plus, Menschheit, "wenn jetzt noch Aliens landen würden", hab' ich oft unter Kopfschütteln gesagt, "würde es mich auch nicht mehr wundern". Sollte heißen: Mehr Realität gewordenes Unvorstellbares geht nicht. Warum also nicht auch Außerirdische, die auf dem Monte Scherbelino landen und uns alle für extraterrestrische Experimente entführen?
Plötzlich überall Alles-Checker
Tja. Und dann marschieren plötzlich russische Soldaten in die Ukraine ein, um einem autokratischen Oligarchen und seinen Hofnarren ethno-imperialistische Fantasien zu erfüllen und die Ukraine in einem Blitzkrieg wieder "heim ins Reich" zu holen. Bumm. Plötzlich erscheint die Vorstellung, von Aliens entführt zu werden, als angenehme Alternative zur irdischen Co-Existenz mit größenwahnsinnigen Nationalisten und Atombomben-Besitzern. Denn die erneute Schippe Irrsinn auf dem emotionalen Monte Scherbelino der pandemiegebeutelten Menschheit ist eigentlich nicht mehr vermittelbar. Das zeigt sich allein daran, dass sich selbst Verschwörungstrottel auf Telegram die ersten Tage schwertaten, der russischen Invasion einen einheitlichen Schwurbel-Überbau zu verpassen und den Krieg in ihre "Plandemie"-Geseier zu integrieren. Auch die AfD-Spitze war zunächst zurückhaltend, Alice Weidel sagte sogar bereits vor über eine Woche zu Recht, dass es bezüglich des "Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine" keine zwei Meinungen geben könne: Er sei "völkerrechtswidrig, und dementsprechend […] verurteilenswert". Andere Parteikollegen leugneten den Krieg in der Ukraine wiederum ganz und hielten ihn für eine "Operation gegen ein Marionettenregime". Und auch auf linker Seite wurde wild gewagenknechtet. Alle wussten sie sofort mal wieder gar nix und trotzdem ganz genau Bescheid. Standen sich auf rechter wie auf linker Seite in nichts nach bei der schnellen Antwort auf Fragen nach Schuld und Sühne. Variierten nur hinsichtlich der Tiefe ihrer Dummheit.
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Stefanie B.
am 13.03.2022