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Grün und Schwarz vor der Landtagswahl

Zehn Monate Wahlkampf

Grün und Schwarz vor der Landtagswahl: Zehn Monate Wahlkampf
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CDU und Grüne haben ihre Listen für die baden-württembergische Landtagswahl erstellt – und auf ihren Parteitagen gezeigt, dass es nicht nur von den beiden Spitzenkandidaten abhängt, wer im März 2026 die Nase vorn hat.

Die Delegiertenkonferenz der baden-württembergischen Grünen am vergangenen Wochenende in Heidenheim ist vier Stunden alt, da bekommt dieser weiße Elefant im Congress Centrum endlich seinen Namen: Manuel Hagel. Fast alle Redner:innen arbeiten sich an dem 37-Jährigen ab, der eine Woche zuvor zum schwarzen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2026 gekürt worden ist. Aber erst Pascal Haggenmüller nennt ihn tatsächlich beim Namen. Der Grünen-Landesvorsitzende aus Karlsruhe wirbt für die Fortsetzung der Ära Kretschmann durch Cem Özdemir, "weil es die CDU nicht kann". Vor allem Hagel, der eine Politik für einen "Club der Normalen" machen wolle. Für das Amt eines Ministerpräsidenten sei das aber zu wenig, sagt Haggenmüller. Denn unterschieden werden müsse in Zeiten wie diesen zwischen ganz anderen Gruppen, "zwischen jenen, die mit zwei Beinen fest auf dem Boden unserer Verfassung stehen, und denen, die das nicht tun".

Ohne Namensnennung hatte sich zuvor sogar der amtierende Ministerpräsident mit seinem strebsamen Nachfolgeaspiranten befasst, über den er vor den Kulissen im Regierungsalltag kein böses Wort verliert. "Wir wollen zeigen, dass wir das Land in eine neue Epoche führen können", sagt Winfried Kretschmann, "denn die Herausforderungen sind gewaltig, wenn man sie ausbuchstabiert und nicht nur Überschriften produziert." 

Die Spitzen sind meist von der subtileren Art, aber sitzen – genauso wie jene anlässlich Hagels Forderung nach Gründung einer zehnten Universität im Land, mit dem Schwerpunkt Künstliche Intelligenz. Zuerst reagierte der Regierungschef, der dem koalitionären Zusammenhalt so vieles unterordnet, verschnupft auf eine einschlägige Frage bei der allwöchentlichen Pressekonferenz am Dienstag der Vorwoche. Er arbeite mit der CDU noch fast ein Jahr zusammen, und der Kollege Hagel sei "da sehr wichtig". Deshalb denke er gar nicht daran, dessen Vorschläge, die sein gutes Recht seien, zu kommentieren. Aber dann senkte Kretschmann doch die Hellebarde: "Ich regiere seit 14 Jahren. Wenn ich es für sinnvoll gehalten hätte, eine zehnte Universität zu gründen, hätte ich es gemacht." Nur wenig später wird in seiner Fraktion genauso wie im Netz die Runde machen, dass auch Hagel die Idee, wäre sie wirklich ernst gemeint, schon längst hätte unterbreiten können. Immerhin ist er seit 2016 Landtagsabgeordneter und – damals als Generalsekretär – Teil der Führungsspitze, seit 2021 Fraktions- und seit 2023 Landesvorsitzender.

Die Ärmel könnten längst hochgekrempelt sein

Die CDU liegt derzeit in der Demoskopie für Baden-Württemberg satte elf Prozentpunkte vor den Grünen, so viel wie lange nicht mehr. Viele Reden in Heidenheim werfen ein Licht auf die grüne Strategie während der angestrebten Aufholjagd in den komplizierten nächsten Monaten. Flügelschlagen ist von gestern, Geschlossenheit steht über allem, jedenfalls gegenwärtig, weil die inhaltlichen Diskussionen über das Wahlprogramm 2026 erst so richtig starten. Gelingen soll ein Spagat zwischen dem Werben mit dem in 14 Jahren Regierungsarbeit Erreichten und dem Blick in die Zukunft. Der frühere Landesvorsitzende Oliver Hildenbrand sagt es auf dem Parteitag so: "Lassen wir die Ärmel aufgekrempelt."

Wieder eine Anspielung auf Hagel, den der Psychologe Hildenbrand gut kennt. Die beiden sind gleich alt, bildeten während der Koalitionsverhandlungen 2021 ein wichtiges Gespann, um auf Spaziergängen das Wichtige zu bereden. In Heidenheim nennt Hildenbrand Hagels Namen ebenso wenig, weil ja die meisten im Saal den Gemeinten und dessen Lieblingssprüche kennen. Für "gutes Schaffen" verlangt der CDU-Spitzenkandidat nicht nur von den Seinen, sondern von den Menschen im Land insgesamt inzwischen regelmäßig "die Ärmel hochzukrempeln". Jetzt beginnen "unser Aufbruch, unsere Mission, unser Auftrag für dieses Land", verkündet der Ehinger gern unter dem Jubel der Zuhörerschaft. Dass er damit die Frage aufwirft, mit welchem Verständnis seine Partei eigentlich seit 2016 in der Regierung unterwegs war, scheint ihn und seine Beraterriege nicht zu stören. Er sagt ja auch nie, er wolle das Erbe der ganzen grün-schwarzen Ära übernehmen, sondern lässt dabei immer nur den Namen Kretschmann fallen. 

Cem Özdemir jedenfalls sagt, er wolle kein Erbe antreten. In Baden-Württemberg gebe es schließlich keine Thronfolge, ihm sei die Hinterlassenschaft Auftrag. Er möchte, wie er sagt, ein eigenes Kapitel schreiben und "unsere gemeinsame Heimat lebenswert halten und lebenswert machen". Manchmal klingen die beiden Spitzenkandidaten durchaus ähnlich, vor allem, wenn die landespolitische Präzision fehlt. Der Grüne sagt zum Beispiel nicht, wie genau er ernsthaft dafür sorgen will, dass bei Kitas und Ganztagsschulen nicht gespart wird. Und der Schwarze mit seinem Hang zu pathetischen Allgemeinplätzen macht offene Fragen sogar zu einer Art Markenzeichen. Ein Beispiel von vielen: Hagel will zwar mit klarem Kompass Entscheidungen treffen ("Leute, wir müssen es jetzt halt einfach machen"), behält aber das Was und Warum vorerst lieber für sich. 

Der kooperative Umgang hat nicht lange gehalten

Deutliche Unterschiede sind dagegen in der Herangehensweise ans Fußvolk erkennbar. Kretschmann höchstpersönlich hatte rund um seinen 60. Geburtstag – also vor 17 Jahren und lange vor dem ersten grün-schwarzen Bündnis in Baden-Württemberg – mit den beiden Festrednern, dem damaligen CDU-Finanzminister Gerhard Stratthaus und dem Deutsch-Franzosen Daniel Cohn-Bendit, das Schlagwort von der Komplementär-Koalition erfunden. Die Idee, sich ohne inhaltliche Schnittmengen gegenseitig zu ergänzen, sollte neue Konstellationen zwischen den Parteien ermöglichen, kam aber erst acht Jahre später zum Zuge: Wegen der Schwäche der SPD folgte 2016 auf Grün-Rot Grün-Schwarz. 2021, als die Koalition in Verlängerung ging, sollte jedoch alles anders und ein neuer kooperativer Umgang gepflegt werden. Konkreter Ausdruck war das Versprechen im Koalitionsvertrag, dass es die bis dahin geübte Enthaltung im Bundesrat bei unlösbarer Uneinigkeit in einer Sachfrage "nur noch in Ausnahmefällen geben soll". Was gutes Klima und Vertrauensbildung zwischen den Partnern bewirken sollte, wurde alsbald ad acta gelegt, weil zu viele Differenzen in Sachfragen nicht auszuräumen waren.   

Eigentlich nur 76 Prozent für Hagel

Noch gut neun Monate bis zur Landtagswahl in Baden-Württemberg, und bei manchen liegen die Nerven schon blank: Der Grünen-Landtagsabgeordnete Michael Joukov freut sich am vergangenen Wochenende darüber, dass der eigene Spitzenkandidat Cem Özdemir in Heidenheim mit 97 Prozent der Delegiertenstimmen gewählt wurde, Manuel Hagel, jener der CDU, eine Woche davor aber nur mit 93,8. Und als im Netz ein Disput darüber entsteht, wie sinnvoll solche Vergleiche sind, will Joukov wissen, warum auf dem Ergebnis "die Hagel-Jugend dann so drauf rumgeritten ist". Daraufhin wird dem Wirtschaftswissenschaftler und ersten MdL überhaupt mit jüdischen Wurzeln vom JU-Landeschef Florian Hummel ein "unsäglicher Nazi-Vergleich" unterstellt. Hummel wirft Joukov einen "Schmutzwahlkampf" vor, weil "die Junge Union auch nur andeutungsweise mit der Hitler-Jugend in Verbindung zu bringen, zutiefst unanständig und ein klarer Tabubruch ist", und verlangt eine Entschuldigung. Dabei hätte der Ulmer Grüne mit dem Geburtsort Leningrad (heute: Petersburg) der CDU noch eine ganz andere Zahl unter die Nase reiben können. Denn die offiziellen 93,8 Prozent für Hagel sind unter Anlegung üblicher Maßstäbe sogar noch geschönt. Nur ganz beiläufig hatte CDU-Parteitagspräsident Steffen Bilger die tatsächlichen Zahlenverhältnisse erwähnt. Danach sollten in der Stuttgarter Carl-Benz-Arena 357 Delegierte anwesend sein, an Hagels Wahl haben sich aber nur 293 beteiligt. Aus den 272 Ja-Stimmen wurden die 93,8 Prozent errechnet. Tatsächlich hatte der Hoffungsträger der Südwest-CDU also lediglich 76 Prozent der eigenen Basisvertreter:innen für sich zu mobilisieren vermocht. Zum Vergleich: Von 204 grünen Delegierten waren in Heidenheim 200 anwesend, 194 davon haben für Özdemir gestimmt.  (jhw)

Jetzt zeigte sich auf beiden Parteitagen, dass Grüne und Schwarze nicht einmal mehr komplementär sind, wie wenig Annäherung es in der politischen Kultur in den vergangenen acht Jahren gegeben hat. Bei der CDU bejubelte die Basis Hagel und Bundeskanzler Friedrich Merz, um alsdann im Schnelldurchlauf 70 Landtagskandidat:innen per Blockwahl zu nominieren. Nach drei Stunden war die Prozedur erledigt, das "Lied der Deutschen" gesungen und eine zufriedene Delegiertenschar ins Restwochenende entlassen.

Ganz anders die Grünen in Heidenheim: Ihr Parteitag dauerte eineinhalb Tage lang. Alle Bewerber:innen, die Promis und die Neulinge, die Jungen, die Alten, die Erfahrenen und die noch Ungelenken nutzen ihre sieben Minuten Redezeit, sich vorzustellen, teilen mit, welche Erfahrungen und welches Wissen auf welchen Feldern sie mitbringen, was sie vorhaben im nächsten Landtag. Ihre Zuhörerschaft – bis zum Schluss der Veranstaltung sind noch immer 197 der 204 Delegierten anwesend – versorgen sie auf diese Weise mit einem bunten Strauß vielfältigster Argumente. 

Manuel Hagel hat die Idee aufgebracht, dass jedes der 55.000 CDU-Mitglieder im Land zwanzig Leute überzeugen sollen: "Dann reden wir von einem Beben." Erreicht würden auf diese Weise ziemlich genau jene 1,1 Millionen Wähler:innen, die 2021 für gut 24 Prozent gesorgt haben. Jede:r Grüne – seit 2011 ist die Zahl von gut 9.000 auf fast 25.000 gestiegen – müsste nach dieser Rechnung übrigens etwa 64 Leute überzeugen, um das Ergebnis von vor vier Jahren zu überholen. 

Pascal Haggenmüller weiß auch genau, womit. Er greift zum Stilmittel der anekdotischen Evidenz, um zu begründen, warum sich Kärrnerarbeit bis zum 8. März 2026 so sehr lohnt. Er heirate in Bälde seinen Mann, "und zwar nicht in der KfZ-Zulassungsstelle, sondern auf dem Standesamt, dort, wo solche Feierlichkeiten hingehören". Vor dem Machtwechsel von 2011 sei dies nicht möglich gewesen. Tatsächlich hatten erst Grüne und SPD in Baden-Württemberg allen die Standesämter geöffnet, zwei Jahrzehnte nachdem sich anderswo, in Hamburg, Berlin oder Bremen, die ersten Verwaltungen auf diesen Weg gemacht hatten: "Und wir wollen doch alle", sagt er unter viel Applaus, "dass Baden-Württemberg ein wunderbares Land bleibt." In dieser und in anderen Fragen.

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2 Kommentare verfügbar

  • Verhagelt
    vor 16 Stunden
    Antworten
    Deutschland als "Club der Normalen"? Meint Hagel damit etwa ein "Deutschland - aber normal"? Dann sollten ihm spätestens durch das nächste Gewitter diese Radieschen gründlich verhagelt werden!
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