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Bauerntag in Hohenlohe

Draufschlagen statt zuhören

Bauerntag in Hohenlohe: Draufschlagen statt zuhören
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Auf dem Hohenloher Bauerntag beharken sich Grünen-Minister Cem Özdemir und CDU-MdL Sarah Schweizer, obwohl das Thema doch Frieden war. Und dann wurde der Wolf aus dem Hut gezaubert.

Der Elefant war mit im Raum. Die ganze Zeit über. Unter den mehr als 1.000 Bauern in der Gemeindehalle von Wolpertshausen. Beim 8. Hohenloher Bauerntag am 2. Februar. Lichtmess. Dem einstmals höchsten bäuerlichen Feiertag im Jahreslauf. Ziemlich egal deshalb, wie das Motto lautete, das die Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall (BESH) ihrer Veranstaltung eigentlich gegeben hatte: "Bauern für den Frieden." Gezielt war damit auf den Ukrainekrieg, für dessen sofortige Beendigung BESH-Gründer Rudolf Bühler genauso vehement wie vergeblich immer eintritt – was bereits zu manch harscher Konfrontation zwischen der BESH und den bis dato wohlgelittenen "Nato-Olivgrünen" geführt hat.

Mit Spannung wurde deshalb erwartet, wie sich Baden-Württembergs grüner Hoffnungsträger Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir als Hauptredner in der Höhle des Löwen schlagen würde. Noch dazu als bekennender Vegetarier! Doch bei aller berechtigten Sorge über den Ukrainekrieg und die diametral verschiedenen Positionen dazu, war es ein ganz anderes Thema, das die Stimmung im Saal eigenartig gedrückt hat. Erstaunlicherweise ging es dabei weder um eine Bilanz der vor einem Jahr gewaltig eskalierten Bauernproteste, mit denen Özdemir ja direkt und ziemlich heftig konfrontiert gewesen war, noch um den vor 500 Jahren ausgebrochenen Bauernkrieg, auch wenn letzterer natürlich immer wieder kurz Erwähnung fand.

Nein, der Elefant war nun einmal im Raum und ließ sich auch nicht mehr verjagen: hergetrieben von den Schockwellen der CDU-FDP-AfD-Kooperation im Deutschen Bundestag, diesem seit Bestehen der Bundesrepublik nie dagewesenen skandalösen Vorgang.

Schon von Beginn an war diesmal alles irgendwie anders in Wolpertshausen: Gab es ansonsten traditionell eine Hohenloher Schlachtschüssel mit vielen Würsten, noch mehr Fleisch und wenig Kraut zum Mittagessen, waren es dieses Mal Linsen mit Spätzle und Saitenwürstle, mit denen die erwartungsfrohen Bauern gesättigt werden sollten. Und dann noch ein vegetarischer grüner Hauptredner! Ha no! Es war vor Özdemirs Auftritt aber mehr so ein verunsichertes Grundgrummeln zu verspüren und nicht diese in der Hosentasche geballte Faust, mit der ein erheblicher Prozentsatz noch im vergangenen Jahr durch die Halle gestampft war, als die ehemalige Grünen-Europaabgeordnete Sarah Wiener ihren Auftritt hatte.

Die Stimmung also eher indifferent. Irgendwie zwischen Baum und Borke, das alles. Je nachdem, wie die Reden verlaufen, kann die Stimmung auf die eine oder andere Seite kippen. Ein Ritt auf Messers Schneide. Aber der bekanntlich alles andere als auf den Mund gefallene Özdemir hat seine Chance bestens genutzt und den Elefanten von Anfang an gleich kräftig am Rüssel gepackt. Ein düsterer Tag für das demokratische Miteinander, eine nie dagewesene, völlig inakzeptable Wortwahl, mit denen sich das Parlament vor Augen und Ohren der Öffentlichkeit blamiert hat, ein Umgang miteinander, der seinesgleichen spottet: einer der dunkelsten Momente, den dieser Bundestag ja erlebt hat. "Und wohin soll das alles führen? Diese Worte! Diese Aggression! So dürfen Demokraten nicht miteinander umgehen! Denn was ist das für ein Stil, wenn man sich nach der Wahl erst einmal beim möglichen Koalitionspartner entschuldigen muss?!" Und man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen: Auf eine wie auch immer geartete Koalition wird es ja wohl wieder hinauslaufen. Unterschiedliche Parteien, die dann eben doch wieder gemeinsam am selben Tisch sitzen müssen – es sei denn ...

Özdemir streckt die Hand aus

Die Gemeinsamkeit der Demokraten. Respekt für andere Meinungen, die man sich ja nicht zu eigen machen muss, dafür hat Özdemir – ganz in der Rolle des möglichen künftigen Landesvaters – nachdrücklich geworben und seine Grundüberzeugung mit einem brillanten Beispiel unterfüttert, dem in der Höhle des Löwen denn auch alle folgen konnten. Es sei seit seinem 17. Lebensjahr Vegetarier – und einer seiner ersten Auftritte als Bundeslandwirtschaftsminister habe ihn ausgerechnet zu einer Versammlung der Metzgerinnung geführt. Stark vermintes Gelände also, das ihm am Ende des Tages jedoch noch eine nette Begegnung beschert habe, als ein Metzgermeister auf ihn zugekommen sei, der ihm erklärt habe, seine Ehefrau sei ebenfalls Vegetarierin. "Na und? Die einen mögen es eben so, die anderen anders." Wichtig sei doch einzig und allein der Respekt für die gegenseitige Position. Da muss man nicht auch noch aufeinander eindreschen.

Genauso hätte es auch in Sachen Zuwanderungsbegrenzungsgesetz laufen können. Man hätte ja durchaus miteinander sprechen können – da hätte es durchaus Bewegung in der Sache geben können, meinte Özdemir. Aber pure Erpressung? Wenn du nicht zu hundert Prozent unsere Formulierung übernimmst, dann machen wir es eben mit der AFD? Nein, so geht das nicht. So läuft das nicht in einem demokratischen Gemeinwesen. "Wir hätten gemeinsam etwas erreichen können. Der Schaden ist völlig unnötig angerichtet worden." Und die Hand bleibt noch immer ausgestreckt. Aber ohne Erpressung. Es gibt ja weiß Gott noch andere Themen, die dringend angegangen werden sollten: Klimawandel, Wirtschaft, Soziales, Renten ... Die Liste ließe sich fortsetzen. Ein Punkt, auf den später am Tag auch Hubert Weiger, Ehrenvorsitzender des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND), deutlich hingewiesen hat: "Haben wir denn nicht wichtigere Themen als immer nur dieses eine, von dem am Ende doch wieder nur die Falschen profitieren?"

Interessante Beobachtung von der Tribüne aus: Sowohl bei Özdemir als auch bei Weiger ordentlicher Beifall – ein Drittel freilich rührt keinen Finger ...

Aber wie gesagt: Die Hand ist noch immer ausgestreckt, man muss nur wollen, dann können die Gräben – wenn auch bereits mit einiger Mühe – wieder zugeschüttet werden. Özdemirs Appell war deutlich und hörbar, der Schlussapplaus auch – bis auf dieses eine Drittel eben.

Und dann kommt die CDU-Rednerin

Doch wie es in der bundesdeutschen Politik inzwischen offenbar halt so ist: Kaum hatte Özdemir den Graben einigermaßen zugeschüttet, war die nächste Rednerin umso emsiger damit beschäftigt, die Schaufel wieder anzusetzen und das Loch schön tief von neuem auszubaggern. Es ist ja manchmal schon so ein Phänomen im politischen Diskurs: Als habe es die vorangegangene Rede gar nicht gegeben, geht alles wieder von vorne los. Behauptungen, Aggressionen, Rechthaberei. Vorgetragen in diesem Fall von der Göppinger CDU-Landtagsabgeordneten Sarah Schweizer, die kaum dass Özdemir den Saal verlassen hatte, das Podium erklomm und das gerade erst zart erblühte Pflänzlein namens Scheinfrieden wieder zum verwelken brachte. Sie habe den Minister, meinte sie, nach seiner Rede gleich gefragt, wie lange man denn Minister sein müsse, um sich in einer Rede in jedem zweiten Satz selbst zu widersprechen. Und zack! War die Stimmung in der Halle erfolgreich abgekühlt, die Hoffnung auf eine eventuelle Gemeinsamkeit der Demokraten (zumindest im gleichen Bundesland) nachhaltig zerstört. Und das immerhin von einer aufstrebenden Nachwuchspolitikerin, von der es heißt, sie würde in ihrer Partei inzwischen für höhere Positionen gehandelt. Na bravo!

Und so ging es also munter weiter: Vom besagten Gesetzentwurf im Bundestag war nochmal die Rede: "Man hätte ja nur zuzustimmen brauchen", "Aber mit den Grünen kann man ja nicht reden" etc. etc. – als hätte es die vorangegangene Rede des Grünen mit der ausgestreckten Hand gar nicht gegeben. Und wenn man meint, schlimmer kann’s nimmer kommen, denn alle Plattitüden der vergangenen CDU-Wahlprogramme und Stammtischparolen sind jetzt unters Volk geworfen, kam’s zum Höhepunkt der Ausführungen der Abgeordneten, die im Übrigen auch noch als Göppinger Kreisjägermeisterin fungiert: der Wolf!

Wieder mal der böse Wolf. Und schuld am Wolf sind … natürlich die Grünen und die Naturschützer! Und die EU! Dass da jetzt im Nordschwarzwald so ein Biest herumrennt, das nicht nur das arme Rotkäppchen bedroht, sondern auch mehr als sieben Geißlein, das musste natürlich unbedingt noch gesagt werden. Da treibe ein Wolf sein Unwesen, der bereits mehr als hundert Schafe (in Zahlen: 100!) gerissen habe, und niemand dürfe ihn abschießen. Unglaublich! Kurzer Faktencheck von Kontext bei der BUND-Geschäftsstelle Mittlerer Oberrhein: Ja, da gibt’s diesen Wolf "GW 852m", dem auch schon etliche Nutztiere zum Opfer gefallen sind. Aber der sei von den Experten übereinstimmend nicht als schadstiftender "Problemwolf" eingestuft worden und deshalb laut "Managementplan Wolf" (vom Landesjagdverband mit erarbeitet) auch nicht zum Abschuss freigegeben. Bis auf ein einziges Mal lag’s nämlich schlichtweg am nicht vorhandenen Herdenschutz, der den Wolf leicht hätte fernhalten können.

Weshalb schlägt eine Kreisjägermeisterin dann aber dennoch solche Töne an? Weil sie einfach gut ins hysterische Gesamtbild passen? Genauso wie in Sachen Migration? Angst fressen Seele auf! Oder müsste man vielleicht nochmal bei den Gebrüdern Grimm genauer nachfragen?

Miteinander reden: gescheitert

Kurzer Beschreibung langer Sinn: Chance vertan, Hand zurückgezogen, Gräben wieder offen. Oh du liebes Herrgöttle, wohin soll das noch führen?!

Letzte Beobachtung an einem denkwürdigen Lichtmesstag in Wolpertshausen. Die Hohenloher Vorzeigebäuerin Luise Wirsching aus Spielbach, die kein Fest, keine Versammlung auslässt und auch immer etwas zu sagen hat, über die versunkene kleinbäuerliche Welt und die Hohenloher Sitten und Gebräuche: Die hat natürlich auch den Cem nicht ziehen lassen, ohne ihm die Hand zu schütteln und ein kleines Geschenkle in dieselbe zu drücken, verbunden mit dem einen oder anderen Gschichtlich (wie es im Hohenlohischen heißt). Das muss so sein. Denn, sagt sie, "in Hohenlohe kommt man immer an einem Tisch zusammen und redet gemeinsam. Man hört den anderen zu und lässt sie ausreden. So kommt man zusammen. Das ist die gute Hohenloher Tradition!"

Dass sie danach auch noch mit dem aufstrebenden CDU-Talent geredet hat, hat der Autor nicht gesehen.

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4 Kommentare verfügbar

  • Bernhard
    vor 2 Wochen
    Antworten
    Schön, dass man "kontext" digital leicht lesen kann, danke.
    Die Printversion mit unruhigem Flattersatz und vertikal gestellten Bildzeilen ist ja eher lesefeindlich.
    Schöne Grüße, bk
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