Die Brandmauer zur AfD bröckelt. Andrea Wechsler steht exemplarisch für diesen schleichenden Prozess. Die 47-jährige gebürtige Ulmerin mit CSU-Vergangenheit war Spitzenkandidatin der Südwest-CDU bei der EU-Wahl im Juni. Sie ist Professorin für Wirtschaftsrecht in Pforzheim, hat internationale Erfahrungen und beim Parteitag im vergangenen April in Ludwigsburg eine engagierte Rede gehalten. Als Ziele nannte sie die Ablösung der Mehrheit "links von uns", die Vergrößerung der EVP sowie die Stärkung der demokratischen Kräfte.
Bei diesem Parteitag hatte CDU-Landes- und Fraktionschef Manuel Hagel AfD-Politiker:innen noch als "Vaterlandsverräter" und "Heuchler" bezeichnet, weil hinter der Fassade "russisches Geld und chinesische Spione" steckten. "Diese Freaks" arbeiteten nicht für Deutschland, so der mutmaßliche Herausforderer des Grünen Cem Özdemir bei der Landtagswahl 2026. Vielmehr versuchten sie, das Land und den Rechtsstaat zu unterwandern, etwa durch Fake News. Manche dieser Rechtsextremisten behaupteten, sie würden Deutschland dienen und lieben, so Hagel unter viel Applaus weiter, "aber dass diese Maske verrutscht ist, erkennt doch wirklich jeder".
Der Fraktionsvorsitzende der EVP Manfred Weber offenbar nicht. Und mit ihm eine große Mehrheit der EVP-Abgeordneten, die im Rahmen der Haushaltsberatungen der EU einem AfD-Antrag zustimmten, mehr Geld für Grenzzäune auszugeben.
"Ein neuer Umgang verfestigt sich", berichtet der Stuttgarter Europaabgeordnete Michael Bloss von den Grünen. Schon in den ersten Wochen der neuen Legislaturperiode zeichne sich ab, dass "Rechtsaußen-Stimmen" zum Zwecke der Mehrheitsbeschaffung akzeptiert sind. Dazu erklärten Unionsabgeordnete, sie orientierten ihr Verhalten nicht an jenem der AfD, sondern an den eigenen Überzeugungen.
Daraus macht Andrea Wechsler auf Kontext-Anfrage auch gar keinen Hehl. Einerseits verweist sie zwar auf den Beschluss der Bundes-CDU, "dass wir Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ablehnen". Andererseits betont sie die Kriterien der Abgrenzung für die EVP auf Europaebene: "pro Ukraine, pro Europa, pro Rechtsstaat" – die habe Manfred Weber "ausgegeben".
Die EVP verschafft der AfD die Mehrheit
Viel mehr Gummi kann in solchen Schlagworten kaum stecken. Dabei sind die Verhältnisse eigentlich vergleichsweise überschaubar. Im neugewählten Europaparlament sitzen seit dem Frühsommer 188 Konservative, 136 Sozialdemokrat:innen, 77 Liberale, 53 Grüne und 46 Linke. Diese Mehrheit, die den 187 Rechtsnationalist:innen in drei unterschiedlichen Fraktionen gegenübersteht, wäre also riesig. Allerdings weicht die Arbeitsweise im Europaparlament deutlich von jener in Landtagen oder im Bundestag ab, weil es in Brüssel keine Regierungsfraktionen gibt, die sich auf ein gemeinsames Vorgehen verpflichtet haben. Damit gibt es auch keine Opposition, sondern Entscheidungen durch Stimmen aus unterschiedlichen Fraktionen und Nationen.
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!