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Manuel Hagels Sommertour

Bitte keinen Wurstsalat

Manuel Hagels Sommertour: Bitte keinen Wurstsalat
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Politik ist auf der Sommertour von Manuel Hagel, CDU-Fraktionsvorsitzender und Chef der Landes-CDU, nur am Rande Thema. Unter dem Motto "Mensch Manu" erfährt das Publikum Hagels eigentlichen Berufswunsch, den Namen der früheren Tanzpartnerin und was Wurstsalat mit seinen Träumen zu tun hat.

Stille, als er den Raum betritt. Ehrfürchtige Stille. Ehrfurcht vor dem Mann, der in so jungen Jahren schon so Großes geschaffen hat. Und noch Größeres schaffen wird, ist sich die Mehrheit des Publikums einig. Manuel Hagel, Chef der Landes-CDU, am vergangenen Mittwochabend im Esslinger Alten Rathaus einfach nur "Manu" genannt. Auf seiner Sommertour 2024 soll es nicht um den Politiker gehen, sondern um den Familienvater, den Ehemann – den Menschen Manu eben. So trägt sie den passenden Titel "Mensch Manu – auf ein Wort mit Manuel Hagel". Er will dabei über Themen reden, die die Menschen beschäftigen. Und diese seien, erklärt Hagel, in Baden-Württemberg sehr unterschiedlich, weil es hier parallel ja stets mehrere Könige gegeben habe und nicht immer nur einen wie in Bayern.

Das Jackett sitzt, die Brille hochgeschoben, die schwarzen Socken zurechtgezogen – es kann losgehen. 140 Augenpaare starren gebannt auf den Menschen Manu, dem man in echt die 36 Jahre tatsächlich ansieht – im Gegensatz zu dem glatt retuschierten nach rechts blickenden Jugendlichen mit gebleichten Zähnen auf den Sommertour-Plakaten, die seit einigen Wochen die gastgebenden Städte zieren. Im Esslinger Alten Rathaus gibt es sie im Kleinformat als Flyer – von vielen umfunktioniert zu Handfächern gegen die drückende Hitze. Hagel bietet indes tiefe Einblicke in seine Tanzkarriere: Ein großer Tänzer sei er nie gewesen, eher von der Mutter dazu genötitgt. Seine Tanzpartnerin hieß Lisa. Das sind also die Themen, die für die Menschen in Baden-Württemberg wichtig sind.

Eine Frage des Mindsets

Mit 19 in die CDA eingetreten, den Arbeitnehmer-Flügel der CDU, bald in die Junge Union, Generalsekretär der CDU Baden-Württemberg von 2016 bis 2021, seit drei Jahren Fraktionsvorsitzender der Landes-CDU, seit November 2023 sogar Landesvorsitzender. Eine politische Karriere wie aus dem Bilderbuch. Eben "einer, der weiß, wie man anpackt", sagt am Rande Felix Gläser, ein bekennender Manu-Fan. Der 26-Jährige "überzeugte Christ", wie er sich selbst bezeichnet, ist im Landesvorstand der Jungen Union Baden-Württemberg und steht stramm im weißen Hemd und schicken Jackett mit streng geföhntem Undercut im Alten Rathaus. Er bewundere Hagel, auch weil der mal Arbeitnehmer war und in der CDA. Der Beschriebene wünscht sich nun wieder mehr Eigenverantwortung von den Baden-Württemberger:innen. Statt darum, wie wir den Wohlstand verteilen wollen, solle es wieder darum gehen, neuen Wohlstand zu schaffen. Und Hagel weiß natürlich wie: mit dem richtigen "Mindset". "Der Kanzler sagt: 'You'll never walk alone.'" Hagel sagt: "You have to walk alone."

Neulich habe er in einer 10. Klasse Urkunden verteilt, erzählt er ohne die Schule zu nennen. Auf diesen Urkunden stand jeweils der Name der Schülerin oder des Schülers und "Platz eins". Die Lehrerin habe ihm erklärt: "Bei uns ist jeder Platz eins." Dann aber fehlen die Ambitionen, meint Hagel. Und unsere Konkurrenz in der Welt habe diese Ambitionen. "Wir müssen wieder auf das Spielfeld treten und sagen, wir wollen gewinnen." Denn schließlich sei es solchen Ambitionen zu verdanken, dass aus dem bettelarmen Agrarstaat das heutige Hightech-Baden-Württemberg wurde. Man denke an Gottlieb Daimlers Auto oder Hans Klenks Klopapier. Und dann wird's so richtig emotional im Esslinger Alten Rathaus: "Die Spätzlepresse wurde erfunden, weil sich jemand gefragt hat, wie kann ich schneller und besser Spätzle machen." Eben alles eine Frage des Mindsets.

Gendern, Familie, Migration

Der Esslinger Landtagsabgeordnete Andreas Deuschle, an diesem Abend nur "Andi" genannt, moderiert die Plauderei. Wie denn sein Arbeitspensum in einer gewöhnlichen Plenarwoche aussehe, will er irgendwann von Hagel wissen. Bei einem Handwerker oder einer Handwerkerin seien es bestimmt nicht weniger Wochenstunden, meint dieser. Eine auffällig junge und auffällig weibliche Sitznachbarin im Publikum schmunzelt. "Gendern kann er auch schon", witzelt die Anfang 50-Jährige. "Hausaufgaben gemacht." Auch wenn Hagel später zugeben wird, das Gendern sei ihm selbst "wie Spitzgras".

Jedenfalls arbeite der Spitzenpolitiker mit guten Aussichen auf das Ministerpräsidentenamt von morgens bis abends, sonntags versuche er freizumachen. Auch das bezirzt den Jung-Unionler Felix Gläser: der Familienvater Manu. Der Beweis dafür, dass Hagel auch Familienpolitik kann. Das gemeinsame Frühstück mit seinen drei kleinen Kindern sei ihm wichtig, erzählt Hagel. Oder abends eine Gutenachtgeschichte vorlesen – liefert er sich selbst die Steilvorlage, um über Robert Habeck (Grüne) zu frotzeln: "Das unterscheidet mich vom Bundeswirtschaftsminister. Der schreibt die nämlich." Verhaltenes Gelächter. Zwischen 19 und 21 Uhr sei im Hause Hagel die "kritische Phase" mit den Kindern. Wenn Hagel in dieser Zeitspanne heimkommt, sprenge er alles. Etwas früher oder etwas später sei besser. Verschmitzt gibt er zu: "Manchmal ist es für mich auch entspannter, wenn ich erst nach 21 Uhr heimkomme." Was seine Frau "Franzi" dazu sagt, bleibt offen.

Die wird an diesem Abend zum Thema, als es neben viel persönlichem Geplänkel um authentisches Auftreten der Presse gegenüber geht. Manche Dinge müsse man einfach klar aussprechen, findet Hagel und macht ein Beispiel: Wenn seine Frau abends in Stuttgart ins Staatstheater geht und ihm am Telefon erzählt, sie würde jetzt durch den Oberen Schlossgarten zum Bahnhof laufen, würde er sagen: "Franzi, nimm's Taxi." Weil es da gefährlich sei. Vor einiger Zeit habe er dasselbe in einem anderen Format gesagt, und im Nachhinein hätten viele verlangt, er solle das zurücknehmen und sich entschuldigen. Solche Themen werden oft Rechtsextremen wie der AfD überlassen, findet Hagel, die dann Gewalttaten Migranten in die Schuhe schiebt. Aber natürlich seien es nicht "DIE Ausländer oder DIE Migranten". Die allerallermeisten Eingewanderten seien "Teil der bürgerlichen Mitte". So habe der Beamte, der nach dem Mannheimer Polizeimord an Rouven Laur den Täter erschoss, einen Migrationshintergrund. Und die Beamtin, die das Opfer erstversorgte, trug Kopftuch. Doch fast im gleichen Atemzug: Die Messerkriminalität sei zu deutlich über 50 Prozent männlich, jung, migrantisch. "Diese ungeregelte und ungesteuerte Migration kommt in den Kriminalstatistiken an." Der Populist Manu.

Wirklich Ministerpräsident?

Es ist ein kleiner CDU-Kosmos, das Alte Esslinger Rathaus an diesem Augustabend. Außerhalb der Blase scheint kaum jemand Hagel zu kennen, wie mehr als zwei Drittel der Befragten im jüngsten Baden-Württemberg-Trend vom Mai dieses Jahres angaben. Die Menschen in Esslingen finden Hagel von Anfang an gut. Nach den knappen zwei Stunden sogar sehr gut. Die Fragen – ob von Andi oder CDUlern im Publikum – sind großteils unpolitisch.

Hagel im Landtag

Niemand kann Manuel Hagel seine Ambitionen absprechen, die CDU in laufenden Landtagssitzungen von der AfD abzugrenzen. Er steht zur Brandmauer und hält kämpferische Reden. Die sind allerdings in den vergangenen Monaten seltener geworden. Überhaupt ist sein Chefsessel in der ersten Reihe der Fraktion an Plenartagen auffallend oft leer oder jedenfalls nicht mit ihm besetzt – er schwänzt im sicheren Wissen, sich auf den Fraktionsgeschäftsführer Andreas Deuschle jederzeit verlassen zu können. Natürlich sei er im Haus, raunen dann CDU-Abgeordnete auf Fragen nach dem Verbleib ihres Vormanns, aber eben sehr beschäftigt. Gerne, wenn er dann doch im Saal ist, übrigens mit seinem Smartphone oder in einer der letzten Reihen im vertrauten Gespräch mit Kolleg:innen. Paternalistisch kann der 36-Jährige übrigens auch, vor allem wenn er sein Lob für CDU-Redner:innen mimisch oder gestisch ausdrückt. Erst noch in der Öffentlichkeit zum Erblühen bringen muss er dagegen die Fähigkeit des Taktgebers, der sich inhaltlich, faktenfest, spontan und ohne Sprechzettel in Sachdebatten klar politisch positioniert.  (jhw)

Etwa nach Hagels großem Traum. Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe auf die Frage von einem Besuch der Rocky Mountains und einer Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn gesprochen, erzählt Deuschle. Hagel überlegt. Vor drei Jahren habe er in einem Interview auf die Frage, was er gerne esse, geantwortet: Wurstsalat. Seitdem gebe es bei fast jeder Veranstaltung den schwäbischen Klassiker. Deshalb sein großer Wunsch: "Dass es mal wieder was anderes zu essen gibt."

Nicht nur bodenständig, auch selbstironisch weiß er sich zu präsentieren. Auf die Publikumsfrage, was in seinem Leben total in die Hose gegangen sei, erwidert Hagel: "Meine fußballerische Karriere." Er habe zwar immer mit "hoher Leidenschaft gespielt, aber mit wenig Talent". Fußball ist sowieso ein Dauerthema an diesem Abend. Immer wieder bekundet der stark schwäbelnde Ehinger mit Vorliebe für Anglizismen seine Bewunderung für den 1. FC Heidenheim. Der Erstligist sei total "down to earth" und Frank Schmidt sei mit 16 Jahren beim gleichen Verein der dienstälteste Trainer im Profifußball. "Das gefällt mir als Konservativer: dass man gute Dinge bewahrt."

Schließlich wurde aus dem gelernten Bankbetriebswirt kein Fußballer und auch kein Förster – wie er es sich als Kind erträumt hatte. Doch aus der vielen Zeit an der frischen Luft und in der Natur in seiner Kindheit und Jugend schöpfe er noch heute Kraft – auch wenn er es medizinisch nicht belegen könne. Und immerhin wurde daraus eine Mitgliedschaft bei der Jägervereinigung Ehingen. Der naturverbundene Manu. Auch den findet der Jung-Unionler Gläser toll, denn schließlich sei das mit der Natur nicht nur ein Thema der Grünen.

Und so ist für Gläser am Ende klar, "dass wir mit Manuel Hagel einen sehr guten Ministerpräsidenten haben werden". Der Macher Manu, der Familienvater Manu, der Naturbursche Manu. Was spreche da noch gegen den Ministerpräsidenten Manu? Das Amt, wirft eine ältere Sitznachbarin ein. "Manu wird nicht Ministerpräsident. Manu wird Bundeskanzler."

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