KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Heer gegen Kienzle

Puffbesitzer unterliegt

Heer gegen Kienzle: Puffbesitzer unterliegt
|

Datum:

Die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle hat in einem Kontext-Interview Tacheles geredet: über Armutsprostitution, illegale Bordelle und das Geschäft mit den Frauen im Stuttgarter Rotlichtviertel. Jetzt ist Puffbesitzer John Heer vor dem Oberlandesgericht damit gescheitert, ihr den Mund zu verbieten.

Es ist auch ein Sieg der Meinungsfreiheit. "Das stärkt denjenigen den Rücken, die auch in problematischen Angelegenheiten in der öffentlichen Diskussion Probleme so ansprechen, wie sie sind", sagt Veronika Kienzle nach der Urteilsverkündung am vergangenen Mittwoch. Die Bezirksvorsteherin von Stuttgart-Mitte freut sich über den Erfolg ebenso wie über das Ende eines langjährigen juristischen Nachspiels auf ein Kontext-Interview vor zweieinhalb Jahren.

Sie darf jetzt – juristisch abgesichert – wiederholen, was sie schon dort vertreten hat: dass John Heer ein nicht genehmigtes Bordell betreibe und ein Haus im Leonhardsviertel als illegale Prostitutionsstätte benutze. Damit bestätigt das Oberlandesgericht (OLG) das Urteil des Landgerichts, das der grünen Bezirksvorsteherin in zwei von drei Punkten recht gegeben hatte. Zur Urteilsverkündung konnte Kienzle wegen eines Fahrradunfalls nicht erscheinen. Ohne Begründung fehlten der Bordellbesitzer und sein Anwalt. Vielleicht weil sie ahnten, dass ihre Klage weitgehend abgewiesen werden würde.

Verhandelt hat das OLG den Fall bereits am 17. Juli. An jenem Tag gibt sich der Richter alle Mühe, John Heer die juristischen Grundlagen von Meinungsfreiheit, Tatsachenbehauptung und Bewertung zu erläutern und zu begründen, warum das OLG der Entscheidung des Landgerichts folgen werde. Das hatte bereits geurteilt, Kienzle dürfe weiterhin sagen, dass Heer in der Leonhardstraße ein "nicht genehmigtes Bordell" betreibe und das Haus als "nicht genehmigte Prostitutionsstätte" nutze. Das OLG schloss sich dem an, auch aufgrund einer entsprechenden Feststellung des Baurechtsamtes.

Doch Heer, beiges Jackett, weißes Hemd, Sprudelflasche, hält es kaum auf dem Stuhl neben seinem Verteidiger. Er redet sich in Rage, unterbricht den Richter. Dessen Geduld ist vorbei, als Heer aufspringt, um Unterlagen nach vorne zu bringen. Und so gibt sich der Bordellbesitzer im Sitzen und mit gebrochener Stimme als seriöser Geschäftsmann und Opfer einer Rufschädigung. In der Öffentlichkeit stehe er jetzt als Krimineller da, klagt er, das Kontext-Interview habe nur das Ziel gehabt, ihn zu diskreditieren und den Bebauungsplan Leonhardsviertel durchzupeitschen. Da ist sie einmal mehr, die Legende von der Privatfehde Kienzle gegen Heer. Und die Angst um ein lukratives Geschäftsmodell.

Mit dem Bebauungsplan Leonhardsviertel sollen Vergnügungsstätten, Bordelle und bordellartige Betriebe im Quartier rechtssicher untersagt werden. Nach jahrelangem Hin und Her, steht der Plan nun tatsächlich kurz davor, im Gemeinderat verabschiedet zu werden. Im dritten Quartal des Jahres, so die Pressestelle der Stadt, soll es soweit sein. Damit droht auch John Heer das Ende seines Geschäftsmodells, mit dem für einen wie ihn viel Geld zu verdienen ist, wie er einmal öffentlich vorrechnete.

Revision ist nicht zugelassen

Schon als Kandidat für den Stuttgarter OB-Posten inszenierte sich John Heer gerne als seriöser Geschäftsmann. So auch bei der Verhandlung vor dem OLG, wo er sich als Ausbilder bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Stuttgart im Bereich Immobilienwirtschaft vorstellt. Die Kammer bestätigt, dass er dort die Prüfung als Ausbilder abgelegt hat. Mehr nicht. Ob er auch in ihrem Auftrag tätig ist, mag eine IHK-Sprecherin nicht kommentieren. "Nur bei aktiver Ausübung und Hinweisen von eventuellen Unregelmäßigkeiten in diesem Zusammenhang wird die IHK generell bei Ausbildern bzw. Ausbildungsbetrieben wieder aktiv", betont sie. Mehr könne sie aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht sagen.

In seiner schriftlichen Stellungnahme zum Urteil zeigt sich Kläger John Heer so unwirsch wie schon bei der Gerichtsverhandlung. "Die Argumentation für einen 2:1 Sieg für eine nachweislich Verurteilte zeigt einmal mehr auf", lässt er wissen, "wie es um unser Rechtsempfinden in Deutschland steht." Zur Klarstellung: Veronika Kienzle ist keine Verurteilte. Ihr wurde lediglich untersagt zu wiederholen, dass Heer nur eine gewerbliche Zimmervermietung angemeldet habe.

Eine Revision hat das Oberlandesgericht ausdrücklich nicht zugelassen. Damit dürfte das juristische Gezerre um ein Interview nach mehr als zwei Jahren zu Ende sein. Es sei denn, John Heer zieht bis ganz nach oben, wie er Anfang des Jahres angekündigt hat. Das wäre dann das Bundesverfassungsgericht.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!