Hadmut Danisch hat es nicht leicht gehabt im Leben. 1998 nahm die Fakultät für Informatik der Uni Karlsruhe seine Dissertation über Kommunikationssicherheit nicht an, seitdem hat sich die Welt gegen ihn verschworen. Jahrelang hat er sich mit angeblich korrupten Professoren und Universitäten angelegt. Er erhob Dienstaufsichtsbeschwerde beim Wissenschaftsministerium, stellte Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe, beschwerte sich beim Justizministerium, klagte vorm Verwaltungsgericht, um am Ende, nach zehn Jahren Rechtsstreit, 2008 am Bundesverfassungsgericht mit seiner "Verfassungsbeschwerde wegen Ablehnung der Promotion" für immer zu scheitern. Was der Beginn einer radikalen Selbstreflektion hätte werden können, wurde für den Diplom-Informatiker zum Ausgangspunkt einer Karriere als Verschwörungsideologe. Denn schuld – Dreh und Angelpunkt von Danischs publizistischem Schaffen als Blogger – sind immer die anderen. Und das, was er "im Streit mit der 'Wissenschaft'" herausgefunden haben will, so schreibt er auf seinem Blog, sei "weitaus interessanter, spannender und lehrreicher als alles, was er als "normaler Mitarbeiter im Wissenschaftsbetrieb hätte lernen können".
Und so veröffentlichte der gescheiterte Wissenschaftler nach der Ablehnung seiner Berufung am Bundesverfassungsgericht eine 785-seitige "Dokumentation" über "Korruption, Schwindel und Inkompetenz an der Universität Karlsruhe und in der IT-Sicherheit" auf seinem Blog. Bis heute arbeitet er sich an der Idee ab, dass "dieser Staat" kein Rechtsstaat mehr sein kann. Alle korrupt. Alles Idioten außer Danisch. Der hat nämlich, wie Neo in "Matrix", die rote Pille geschluckt und teilt seitdem seine "Ansichten eines Informatikers" aus dem Backend der Realität. Zu allem Überfluss war der Richter, der seinen zehnjährigen Versuchen, sich seinen Doktortitel zu erklagen, einen Riegel vorgeschoben hatte, eine Richterin: die bis Anfang 2023 amtierende Susanne Baer – die erste offen homosexuelle Richterin am Bundesverfassungsgericht, Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Alles Idioten, außer Danisch
Von 2003 bis 2010 leitete Baer darüber hinaus das dort angesiedelte "Gender Kompetenz Zentrum" zur Beratung der Bundesregierung. Und deshalb witterte Danisch gleich die nächste Verschwörung: "Der Feminismus" und "die Linken" seien schuld daran, dass er nie zu seinem Recht gekommen sei. Also schrieb er ein Buch. 500 im Jahr 2012 selbst verlegte Seiten, auf denen der Mann anhand seiner persönlichen Erfahrungen analysiert haben will, dass die Besetzung der Richterämter "nicht mehr nach Anforderungen, Befähigung und Sachkunde" erfolge, sondern "nach Frauenquote und feministischer Politik". Was "zum subversiven Umsturz von Verfassungsrechtsprechung" führe, "zur Rechtsbeugung", "zum Verfassungsbruch" und "damit zum Versagen eines Verfassungsorgans und in der Konsequenz des Staates selbst". Parallel dazu mutierte sein Blog zum endlosen Kaninchenbau eines verbitterten Mannes mit viel Freizeit, der seine Verachtung für Linke, Flüchtlinge, Diversity, Transsexuelle oder "die Antifa" in mehreren Blogbeiträgen täglich freien Lauf lässt.
Im Jahr 2015 etwa besucht er als Schaulustiger das Fachgespräch "Wer will die Uhr zurückdrehen? Strategien gegen Anti-Feminismus und Homophobie" der Grünen im Bundestag, um später auf seinem Blog über "Transen" in "scheußlichen Kleidern" und "grausigen Perücken" zu schreiben, die ihn an "Monstrositätenshows" erinnerten.
Sprache und Journalismus zählen ebenfalls zu den Fachgebieten des Informatikers. Auch hier: Alles Idioten, außer Danisch. Alles linke "Analphabeten von meist erbärmlicher Tolpatschigkeit und fehlender Fertigkeit im Umgang mit Sprache". Im Jahr 2021 war er zu einer kleinen Berühmtheit unter rechten Männern im Internet geworden, als er sich Annalena Baerbock (Grüne) während ihres Bundestagswahlkampf zur Vizekanzlerin vorknöpfte, um Unstimmigkeiten in ihrem Lebenslauf zu entdecken und darüber zu bloggen. Die rechte "Junge Freiheit" feierte Danisch dafür heldenhaft in einem Text über "Die Rache des weißen Mannes" und ließ den "politisch unkorrekten Geheimtip" in einem Interview ein halbes Jahr später selbst erzählen, wie "Grüne" und "Linke", "Genderisten", der "Rassismus gegen Weiße" und natürlich seine Spezialfeindin, die Bundesverfassungsrichterin Susanne Baer, "unsere Demokratie" außer Kraft gesetzt hätten. "Rechts" sei Danisch auf Nachfrage der Zeitung nicht und er vertrete auch keine eigene politische Weltanschauung. Vielmehr schaue er wie "Waldorf und Statler" aus der Muppet-Show von einer Seitenloge aus einfach vernünftig auf die Welt.
Frauen-Experte mit Informatik-Diplom
Von diesem "neutralen, kritisch-wissenschaftlichen Standpunkt" aus fragt sich Danisch im April dieses Jahres auf seinem Blog, ob "der Wunsch nach Migration eine Folge feministischer Untervögelung" sei. Also ob Frauen, Grüne und Linke "die Migrationsparteien" wählten, um "endlich mal wieder genagelt ohne vorher nach Zustimmung gefragt zu werden?" Ganz neutrale Frage. Wie die Frage, die er im Juni auf seinem Blog diskutierte: Sei der Feminismus am Ende nicht einfach eine "vom weiblichen Hormonhaushalt" verursachte "Hysterie", bei der sich menstruierende Frauen, die "bei jeder Gelegenheit einen Heulanfall bekommen", nur einbildeten, dass sich benachteiligt würden?
Doch Danischs Expertise ist nicht nur unter Rechten und Antifeministen im Internet gefragt. Nach eigenen Angaben wird der Frauen-Experte mit Informatik-Diplom seit 1997 von der Politik als Sachverständiger konsultiert, wenn es dort mal wieder um irgendwas mit Internet geht. Über die Jahrzehnte mal vorgeschlagen von der SPD, behauptet er auf Nachfrage, mal von der CDU, mal unter seinem richtigen Namen, mal als Ghostwriter, weil andere keine Ahnung hatten. Nachprüfen lässt sich das nicht, die Pressestelle des Bundestags teilt mit, "die zuständige Unterabteilung der Bundestagsverwaltung" führe da "keine Statistik", zumindest einmal aber sei er als Sachverständiger im Rechtsausschuss gewesen. Im Oktober 2023, diesmal auf Vorschlag der AfD. Danisch sollte in der Anhörung dazu beraten, wie IP-Adressen rechtssicher gespeichert werden können, um Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen. Danischs Expertise per Videoschalte: "Gar nicht." Was andere Sachverständige im Ausschuss erzählen würden, sei schlichtweg "falsch". Außerdem seien Polizei, Staatsanwaltschaft und Strafverfolgung "deutlich politisch infiltriert"– das könne man alles in seiner schriftlichen Stellungnahme nachlesen, die der Bundestag auf seine Website gestellt hat: ein 66-seitges Dokument, das Danisch als Gratis-Werbung für seinen Blog und seine Lieblingsthemen jenseits von Informatik verwendet: die große Grün-Linke-Weltverschwörung. Statt sich in seiner Stellungnahme auf den Gegenstand der Anschauung zu konzentrieren, schweift er ab, palavert von der "Frühsexualisierung von Kindern", zwingt dem Ausschuss die Gaga-Geschichte seiner gescheiterten Promotion auf, unterstellt "der Antifa", dass sie "den Zugriff auf Kinderpornografie vortäuschen würde, um jemanden politisch und gesellschaftlich zu erledigen".
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