Das mit der Aufmerksamkeitsökonomie ist in Zeiten entfesselten Schwachsinns und einer dauererregten Empörungsgesellschaft ja immer so eine Sache: Gibt man dem Affen Zucker, dreht er erst richtig auf. Gibt man ihm keinen Zucker, gibt es da draußen trotzdem tausende Vollidioten, die den Schwachsinn des Affen in den Untiefen des Internets finden und ihn für keinen Schwachsinn halten – auch ohne, dass irgendein reichweitenstarkes Medium darüber berichtet hat. Eine Bauernregel im Marketing besagt ja seit jeher: Bad news sind good news. Selbst wenn negativ über irgendetwas geschrieben wird, verbreitet sich der Name des Produkts trotzdem. Fun Fact: Diese Marketingstrategie kennen die unterzuckerten Affen, um die's in dieser Kolumne gehen soll, zwar auch – ihr Schwachsinn ist aber derartig offensichtlich, dass keine Raffinerie dieses Landes soviel Zucker produzieren könnte, um ihren Zirkus zu einem nennenswerten Ereignis hochzujazzen. Klar, ich könnt's auch einfach lassen, denn no news sind immer noch die besten news für bad guys – aber dieser Affenzirkus ist einfach zu geil, um an ihm nicht exemplarisch aufzuzeigen, wie sehr die Realität die Satire mittlerweile überholt hat. Die Rede ist von "Liberty Rising"!
Noch nie gehört? Ja, sorry, jetzt schon. Liberty Rising, man! Junge Menschen, die "für Freiheit & Kapitalismus" auf die Straße gehen. Weil wir noch nicht genügend davon haben! Haha, kein Witz! Als ich vor ungefähr 'nem halben Jahr zum ersten Mal ein paar Bilder ihrer heroischen Aktivitäten in den Sozialen Medien entdeckt habe, dachte ich ernsthaft, dass das 'ne Satire-Aktion vom "Zentrum für Politische Schönheit", "Die Partei" oder der "Titanic" sei: fünf bis zehn (mehr sind es tatsächlich nie) Mittelstandskids, die – exakt wie die rechte Identitäre Bewegung – die Ästhetik der Antifa geklaut haben mit dem Unterschied, dass man ihren Transpis und Bannern die teuren Plotter ihrer Väter ansieht. Drauf steht dann sowas wie "Berufsverkehr statt Klimakleber", "Industrie & Kapitalismus statt Ökodiktat" oder "Leistung statt Hängertum – Sozialstaat abschaffen". Die "größte radikal-liberale Jugend im deutschsprachigen Raum" will Libery Rising sein und tritt trotz ihrer nur rund 100 Mitglieder in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf wie FDP ihr vollgekokster Enkel: "Junge Menschen wohnen in lichtdurchfluteten Wohnungen und beginnen ihren Tag mit High-Intensity-Training und hohen Gewichten. Danach checken sie ihre Krypto- und Aktienportfolios und freuen sich über die niedrigen Steuerraten von fünf Prozent, welche ihnen baldigen Wohlstand ermöglichen. Die Regierung befindet sich in den letzten Vorbereitungen, den Staat ganz durch freiwillige Abgaben zu finanzieren", heißt es in einer der zahlreichen "Visionen" auf der Website von Liberty Rising. Daneben ein Foto von einem kaum 20-jährigen Jüngling in offener Trainingsjacke über seinem nackten, zart behaarten Oberkörper.
Hahaha, shit!
Auch geil, die "Vision" eines anderen radikal-liberalen Turbokapitalistenkids: "[...] jedes Kind, selbst aus dem ärmsten Plattenbauviertel, kann von seinem Fenster aus die neuen Wolkenkratzer der lebhaften Metropolen leuchten sehen. Auch ihm gegenüber lautet ihr Versprechen: Die Großartigkeit und Größe ist auch in Deinem Leben möglich. Möglich durch Fleiß, Verstand und Beharrlichkeit." Hahaha, shit. Es ist wirklich unfassbar, wie hart diese Welt diesen Kids ins Gehirn geschissen hat. Wie sie die vor allem im US-amerikanischen Kontext bekannte Ideologie des "Anarchokapitalismus" wahrscheinlich mal irgendwo beim Googeln von "Bitcoin" und "Kryptowährung" im Internet entdeckt und sich dann im Kinderzimmer so gedacht haben: "Yo, geil, einfach auf Schwächere scheißen, das isses!"
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Sven Heinzl
am 23.01.2024