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Auf der Straße

Branding für die Feuerwehr

Auf der Straße: Branding für die Feuerwehr
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Tag für Tag kämpfe ich mich an den S-21-Gruben durch das Verkehrschaos bis zur Königstraße und zur Bahnhofsruine vor. Auf dem Stolperpfad zwischen Schauspielhaus und Gymnasium Königin-Katharina-Stift höre ich eine Schülerin zu ihrer Begleiterin sagen: "Schon mitgekriegt? Stunde fällt aus, Geschichte wird verschoben." Scheiß drauf, murmle ich vor mich hin, Geschichte wird bei uns fortwährend verschoben. Als wollte man sie für immer loswerden.

Und weil ich schon mal Schulhofparfüm gerochen habe, lande ich wenig später in der Buchhandlung Wittwer vor dem Regal "Young Adult", das ich zuvor nie bemerkt hatte. Einige sehr junge Frauen ziehen erstaunlich viele Bücher heraus, ich werde neugierig. Ich bin nicht young, womöglich aber adult, sage ich mir, und sie werden mich schon nicht für einen Pädo halten. Ich sehe reichlich Stoff über Liebe, Mord und Rache und solche Sachen, schnappe mir aber lieber einen schmalen Roman mit dem Titel "Idol in Flammen": "Der große Bestseller aus Japan".

Zu Hause las ich das Buch von Rin Usami, geboren 1999, zügig durch: Die Schülerin Akari verbringt ihr Leben mit obsessiven Nachforschungen über den Popstar Masaki und berichtet darüber auf ihrem Blog. Man darf sich das Mädchen nicht als Groupie vorstellen, es geht nicht um sexuelle Sehnsüchte oder Rammstein-Rituale. Sie betrachtet ihr Idol als den Sinn ihrer Existenz, als ihre "Wirbelsäule". Das führt zu chaotischen Verirrungen, als sich das Gerücht verbreitet, Masaki habe einen weiblichen Fan geschlagen. Gefallen hat mir das Ende des Buchs, als Akari beginnt, die in ihrem Zimmer herumliegenden Wattestäbchen zu sortieren.

Ich sollte eine ähnliche Methode zur Herstellung einer gewissen Hirn-Ordnung finden. Eventuell mit Erdnüssen. Dann würde mich ein Titel wie "Idol in Flammen" beim Herumstiefeln in der Stadt nicht zwingend an die Feuerwehr erinnern. Aber so läuft das im Kopf, wenn du läufst und läufst und einen Satz aus einem Young-Adult-Buch im Kopf hast: "Manchmal ist es anstrengender, nichts zu tun, als irgendwas zu tun."

Frisch lackiert – doch in welcher Farbe?

Weil der Müßiggang im Nirgendwo ein schwieriges Unterfangen ist, ging ich mit flammendem Hirn gezielt in die Katharinenstraße in der Altstadt. An der Ecke Jakobstraße steht die Feuerwache 1 Süd. Dort warten, durch die Scheiben sichtbar, Feuerwehrfahrzeuge hinter sieben nummerierten Toren auf ihren Einsatz. Gegenüber ist das Non-Profit-Café Natan, wo früher die Weinbar Billy's war. Bei Bill saß ich oft und weil es anstrengender war, nichts zu tun, als etwas zu tun, haben wir in dieser Bar hin und wieder Wetten gemacht. Es galt, darauf zu setzen, wann das nächste Mal die Feuerwehrautos losrasen würden. In 35 Minuten? Oder erst in 57 oder 75 Minuten? Wer am dichtesten dran war, gewann ein paar Durstlöscher. Auf diese Wette war ich gekommen, nachdem ich in einem Roman gelesen hatte, wie kanadische Männer Geld darauf setzen, an welchem Tag zu welcher Uhrzeit das Eis brechen wird. Vom Eis ist es nie weit zu einem Drink.

Die Stuttgarter Feuerwehr ist zurzeit ein großes Thema, ihre Kolleginnen und Kollegen stehen schon länger emotional in Flammen. Die Gewerkschaft Verdi beklagt "Demotivation und großen Frust". Im Zentrum des Konflikts steht die Farbe der Autos. Demnächst werden für 112 Millionen Euro 34 neue Löschfahrzeuge geliefert – und die alten sind in verschiedenen Tönen lackiert. Manche knallrot, manche dunkelrot. Sie haben auch unterschiedliche Streifen: in Schwarz und Weiß und Gelb. Eine Arbeitsgruppe zur Lösung der Lackfrage hat bereits getagt. Ergebnis: Eine Marketing-Agentur wird beauftragt, ein einheitliches Fuhrpark-Bild zu entwerfen. Die Wehr darf nicht verwässert werden. Es geht um ein brandneues Branding der Brandbekämpfung. Und vermutlich schreibt man Branding in The Deppenstrich-Länd mit ä. Wie The Chänce.

Anzunehmen ist, dass die Stuttgarter Löschautos ohne politische Rücksicht weiterhin in einer Rot-Version rollen werden, in einer betörenden Tönung, die sich in unser Bewusstsein fressen wird wie ein Waldbrand. Die CDU muss das neue Rot respektieren, schon weil die Farbe Schwarz den Leichenwagen vorbehalten ist. Auch am Blaulicht auf den Autos dürfte sich nichts ändern, wenngleich uns das Geschichtsbuch lehrt, dass diese Art Lampen auf Polizeiautos 1933 von den Nazis eingeführt wurden. Blaulicht streut, deshalb konnte es im Luftkrieg nicht von feindlichen Piloten gesichtet werden. Zum Glück gingen die deutschen Lichter trotzdem aus.

International gibt es übrigens nicht nur rote Feuerwehrautos. In Großbritannien und Teilen der Schweiz etwa sind sie limonengelb. Der gelb-grüne Mix ist vom menschlichen Auge besonders gut zu erkennen, was sich bekanntlich die Ampel-Regierung zunutze macht. Rote Löschfahrzeuge hingegen werden von Farbenblinden als grau wahrgenommen, könnten also mit russischen Panzern verwechselt werden.

Mit Wattestäbchen gegen braune Brandstifter

Abraten bei der Aufwertung der Stuttgarter Feuerwehrmarke würde ich auf jeden Fall von der Farbe Braun. Wie bundesweit berichtet wurde, haben fünf Leonberger Spritzenmänner im Juli bei der nächtlichen Heimfahrt von einem Gerlinger Feuerwehrfest Nazi-Parolen durch die Lautsprecher ihres Fahrzeugs gegrölt. Ob dazu die blauen Nazi-Lichter rotierten, weiß ich nicht, da mir die Flugabwehr nichts gemeldet hat. Blau war jedenfalls der Fahrer. Einen ähnlichen Vorfall wie in Leonberg hatte es schon im Mai in Aichtal/Kreis Esslingen gegeben. Da waren drei Feuerwehrmänner zu Fuß unterwegs, als einer von ihnen "rechtsradikale und antisemitische Parolen" (StZ) auskotzte. Kann schon mal vorkommen unter harten Männern in Uniform, wie wir von anderen heldenhaften Korpsgeistern unserer wehrhaften Demokratie wissen. Da gerät öfter mal ein Idol in Flammen.

Dass ein Stadtspaziergänger immer auch in dunklen Kapiteln der Geschichte landet, ist sein Los. Gehen bringt neben Gelenken auch Hirnzellen in Bewegung. Und die Gedanken springen beim Blick auf die Gegenwart, in der Rechte, Völkische und Nazis immer ungenierter akzeptiert und hofiert werden. Die Brandmauer wackelt, und viel zu wenige machen den Faschisten Feuer unterm Arsch.

Täglich komme ich am Gericht in der Urbanstraße vorbei, sehe an der Mauer die Phrase zum Gedenken an die im Hinterhof ermordeten Opfer der Nazis: "... den Lebenden zur Mahnung". Überall nur Mahnungen in den Wind. Vor 85 Jahren, in der Pogromnacht am 9. November 1938, wurden im Stadtbezirk Cannstatt (den die Nazis 1933 in Bad Cannstatt umgetauft hatten) und im Hospitalviertel der Innenstadt die Synagogen niedergebrannt. Für den Anschlag unter dem Gejohle des bürgerlichen Mobs hatten der Chef der Stuttgarter Feuerwehr, Branddirektor August Bender, und der Leiter der Cannstatter Feuerwache, Werner Reutlinger, dem Pyropack das Benzin bereitgestellt.

Es geht hier nicht darum, Dinge zu vergleichen. Ich verschiebe nicht die Geschichte. Vieles, nicht nur Kommentare im Netz zu den geschilderten Ereignissen, zeigt uns, dass im Klima dieser Tage einiges in Flammen steht, entzündet von faschistischen Idolen.

Immer öfter werde ich einen großen Haufen zu Boden gefallener Erdnüsse oder Wattestäbchen sortieren müssen, um hin und wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Mit Wattestäbchen allerdings werden wir die braunen Brandstifter nicht besiegen.


Zum Flaneursalon lädt unser Kolumnist Joe Bauer erneut am Freitag, 18. August, in den Garten der Ratze am Raichberg. Showbeginn ist um 19 Uhr. Seine Bühnengäste sind Eva Leticia Padilla und Dany Labana Martínez, Loisach Marci, Katalyn Horvath und Freunde. Karten gibt es per Mail unter ratzestr--nospam@gmail.com und am Tresen im Wirtshaus Schlesinger.


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