Der Sommer ist nicht meine Saison, die Sonne nicht meine Freundin. Diese Abneigung aber ist ein Privatproblem, das mich nicht daran hindern darf, in den Sommer hineinzuspazieren. Von Edward Hopper gibt es das Bild "Summer in the City": Eine verloren blickende Frau sitzt in einem von kaltem Licht durchfluteten Zimmer auf dem Bett, hinter ihr langgestreckt der weiße Körper eines Mannes, das Gesicht im Kissen vergraben. Beim Betrachten dieses Bild retten dich nicht mal die Songs des Countrymusikers James Talley, die auf seiner LP mit dem weltweit besten aller Titel zu finden sind: "Got No Bread, No Milk, No Money, But We Sure Got A Lot Of Love".
James Talley, 1944 in Oklahoma geboren, ist nicht sehr bekannt, aber er war der erklärte Lieblingssänger des US-Präsidenten Jimmy Carter. Erdnuss-Jimmy, früher ein liberaler Evangelikaner und nach seiner Präsidentenzeit ein anständiger Kerl, ist heute 98. Es heißt, er habe viel getan, um Menschen Milch und Brot und ein besseres Leben zu verschaffen. Der beste Ex-Präsident aller Zeiten. Seit Monaten melden die Zeitungen, Carter liege im Sterben. Und so beginnt der Sommer für mich mit James Talley, und ich lasse offen, ob es sich in meinem Fall um Sentimentalität oder Senilität handelt.
Selbstverständlich könnte ich auch "Summer In The City" grölen, die 66-er-Hymne von The Lovin' Spoonful. Seit ich aber zum ersten Mal am helllichten Tag aus einer alaskamäßig klimatisierten Bar in die Höllenglut von Manhattan gestolpert bin, weiß ich, warum eine sommerliche Großstadt im Sinne des Spoonful-Songs nur nachts auszuhalten ist. Tagsüber ist New York ein Moloch, wo die Bürgersteige heißer sind als Zündholzköpfe. Selbst Stuttgart, lese ich in A. L. Kennedys Roman "Gleißendes Glück", sei an einem Sommertag "in glühenden Beton" eingekesselt. Und der Kleine Schlossplatz biege sich unter der Sonne in "blasser Berghitze".
Samstags bei Vollmond am Café Weiß
Was das Herumgehen in der Stadt angeht, hat uns der schottische Naturwissenschaftler John Napier schon vor mehr als 400 Jahren gewarnt: "Der Gang des Menschen ist eine einzigartige Tätigkeit, bei der sich der Körper Schritt für Schritt am Rande einer Katastrophe bewegt … Die Form des Laufens auf zwei Beinen, wie sie dem Menschen zu eigen ist, erscheint potenziell verhängnisvoll, weil ihn nur die rhythmische Vorwärtsbewegung des einen und dann des anderen Beins davor bewahrt, auf die Nase zu fallen."
Neulich, es war Samstag und Vollmond, ging ich nachts um eins der Nase nach durch die Stadt. Aus allen Löchern wummerten Bässe, und viele Kinder tanzten auf den Straßen. In der Nähe des Hans-Im-Glück-Brunnens zwängte ich mich durch die enge, von einer Baustelle eingekeilte Geißstraße, wo die Fenster des Café Weiß geöffnet waren. Im Vorbeigehen warf ich einen Blick hinein, die kleine Bar war voll, und meine Neugierde kam nicht von ungefähr.
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Beate Hugk
am 17.06.2023