Richtig wichtig waren und sind für mich auch die Informationen des Offenbacher Vereins Connection e.V. Dessen Arbeitsschwerpunkt ist die Hilfe für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure in der Ukraine, in Russland und in Weißrussland. Connection berät Betroffene und informiert die Öffentlichkeit. Beispielsweise als das ukrainische Verteidigungsministerium im September 2022 aufgrund des Kriegsrechts die Möglichkeit auf Kriegsdienstverweigerung (KDV) aussetzte.
Was für die KDVler harte Konsequenzen nach sich zog, wie die Ukrainische Pazifistische Bewegung berichtete. Anfangs wurden die ersten Kriegsdienstverweigerer noch zu mehrjährigen Haftstrafen auf Bewährung verurteilt. Falls sie weiterhin auf ihrem Recht bestehen, droht ihnen eine erneute Verurteilung und die Verbüßung langjähriger Haftstrafen. Was in ersten Fällen inzwischen erfolgt ist.
Leicht ist dieser Widerstand nicht
Auch in Russland existiert ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung, das in den letzten Jahren jedoch immer weiter eingeschränkt wurde. Die mittlerweile verbotene Menschenrechtsorganisation "Citizen. Army. Law" hatte bereits 2020 mitgeteilt, dass Anträge von Bürgern auf Ableistung eines alternativen Dienstes regelmäßig "mit unzumutbaren Begründungen abgelehnt" wurden. Oder der Antragsteller wurde zwangsweise "unberechtigterweise überwiesen zu einer psychiatrischen Untersuchung". Behaupte noch einer, gewaltfreier Widerstand sei leicht und folgenlos für Aktivisten, die dem Krieg entsagen.
Das Spektrum pazifistischer Aktionsformen ist breit. Es reicht von Gewaltverweigerung im alltäglichen Leben über die gezielte Demoralisierung der Besatzer, gewaltfreie Blockaden aller Art bis hin zu Arbeitsniederlegungen und zum unbegrenzten Generalstreik. Dabei entscheiden die Menschen vor Ort, welche Form des Widerstands sie wählen.
Der wiederum besonders erfolgreich ist, wenn er von bereits laufenden Maßnahmen wie internationalen Boykotts, Embargos und Sanktionen sowie der Beschlagnahmung von Besitztümern im Ausland bei Sperrung aller Finanztransfers begleitet wird. Gezielt gerichtet gegen die Schicht der reichen und superreichen Machthaber, Militärs und Oligarchen Russlands durch die internationale Staatengemeinschaft.
Seitdem "Spiegel"-Reporter Uwe Buse Anfang 2023 in einem fünfseitigen Artikel über mein lebenslanges Engagement sowie die Studien von Chenoweth und Stephan berichtet hatte, stand das Telefon nicht mehr still. Gut so.
"Unverteidigte Städte" sind eine mögliche Option
Eine mögliche Option gewaltfreien Widerstands ist das Konzept der "Unverteidigten Städte", das von Norman Paech, dem außenpolitischen Sprecher der Linken-Fraktion im Deutschen Bundestag, als völkerrechtlicher Friedensvorschlag in die politische Diskussion eingebracht wurde. Und zwar deshalb, weil das Konzept historisch gesehen viel Leid verhindern kann.
Paech fragte sich: Gibt es für die Menschen auf diesem Schlachtfeld keine Alternative, als in dem blutigen Kampf um die strategische Hoheit im vermeintlich heroischen Widerstand unterzugehen? Und wäre es aber nicht möglich, die Waffenstillstandsverhandlungen dadurch zu beschleunigen, dass sich die derzeit belagerten und am meisten gefährdeten Siedlungen zu "unverteidigten Städten" erklären?
Der angesehene Völkerrechtler verwies auf die Haager Landkriegsordnung von 1907, wo diese Möglichkeit zum ersten Mal in Artikel 25 definiert worden war: "Es ist untersagt, unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude, mit welchen Mitteln es auch sei, anzugreifen oder zu beschießen", erklärte Paech.
Im Zweiten Weltkrieg hatten mehrere Städte diesen Weg aus Angst vor der gnadenlosen Kriegsführung der Nationalsozialisten gewählt. So konnten sich vor Kriegsende im April 1945 Ahlen und Gotha mit Erfolg vor den Angriffen der Alliierten schützen, nachdem sie sich zu "offenen Städten" erklärt hatten. Ganz anders Magdeburg, das sich zur Festung erklärte, die bis zum letzten Bluts- tropfen verteidigt werden würde. Kurz darauf wurde die Stadt zusammengebombt und von den US-Truppen besetzt.
Das Konzept der "unverteidigten Orte" findet sich bereits im ersten Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen von 1949. Es sei aus dem humanitären Völkerrecht nicht getilgt, allerdings vergessen worden. Was spricht dagegen, es jetzt wieder anzuwenden, fragte Paech.
Noch immer verläuft die Diskussion in die diametral entgegensetzte Richtung. Soziale Verteidigung wird weitgehend ignoriert. Aufgrund der Genehmigungspraxis der Ampelkoalition sind Kriegswaffen mehr denn je Exportschlager. Derweil sind, wie so oft, umfassende Hunger- und Flüchtlingshilfe für Not leidende Menschen, vor allem in Afrika, in der medialen Berichterstattung in den Hintergrund gerückt. Die Hungerkatastrophe am Horn von Afrika, die das Leben von Millionen Menschen bedroht, spielt allenfalls eine untergeordnete Rolle.
Gandhi statt Selenskyi. King statt Melnyk
Milliardensummen fließen in Bomben statt Bildung. Die neuen Superstars der Medienszene heißen Wolodymyr Selenskyj und Andrij Melnyk. Mahatma Gandhi und Martin Luther King werden in den Schubladen der Geschichte entsorgt.
Unter dem Druck einer von den Mainstream-Medien gepushten Kampagne und der Bellizisten in der Ampelkoalition, gab Kanzler Scholz im Januar 2023 seinen Widerstand auf: In Absprache mit NATO-Partnern verkündete er, Deutschland werde Kampfpanzer des Typs Leopard 2 liefern. Zeitgleich kündigten US-Präsident Joe Biden die Lieferung von Abrams- und der britische Premierminister Rishi Sunak die Lieferung von Challenger-Kampfpanzern an.
Sofort danach forderte der stellvertretende ukrainische Außenminister Andrij Melnyk auf Twitter "eine kraftvolle Kampfflugzeug-Koalition" für den Export der Fighter-Jet-Typen F-16 und F-35, Eurofighter und Tornado, Rafale und Gripen.
Nein, dieses sechste Schlüsselerlebnis einer rundum rückwärts gerichteten militärischen "Zeitenwende" akzeptiere ich nicht. Die auf ganzer Linie gescheiterten Militäreinsätze der westlichen Welt und das andauernde Massenmorden in der Ukraine lassen nur eine vernünftige Schlussfolgerung zu: Jede Friedensverhandlung ist wichtiger als jeder weitere Schusswechsel. Jede nicht militärische Konfliktlösung rettet Abertausende von Menschenleben. Im 21. Jahrhundert ist der Pazifismus wichtiger denn je.
Zu Recht hatte die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann in ihrer Neujahrspredigt von 2010 festgestellt: "Nichts ist gut in Afghanistan!" Eine Analyse, die bis heute Bestand hat. Aber ich ergänze: Nichts ist gut in der Ukraine, in Libyen, in der Türkei, in Saudi-Arabien, im Jemen! Militär ist nicht die Lösung, Militär ist das Problem!
2 Kommentare verfügbar
Lorenzo
am 14.06.2023