Während ich diese Zeilen schreibe, dringt Weltuntergangslärm in meine Bude. Unter meinem Fenster reißen sie die Straße auf, und niemand hat mich gewarnt. Ich erwähne das nicht, um präventiv die Qualität meiner Kolumne zu entschuldigen. Als ich ins Freie stürme und mich erkundige, mit welchen Erschütterungen ich in nächster Zeit zu rechnen hätte, sagen mir die Arbeiter, sie müssten eine neue Gasleitung legen. Ich bin überrascht, denn eigentlich war ich der Meinung, das Gas-Zeitalter sei vorbei. Aber womöglich habe ich unseren obersten Heizer Habeck wieder mal falsch verstanden. Es ist ja nicht einfach in diesen Tagen, der Politik zu folgen, wenn du nicht genau weißt, ob der Minister, der Vetter seines Flaschners oder dessen Schwippschwägerin dahintersteckt. Grundsätzlich wäre mir das alles wurscht, tobte draußen unter meinem Fenster nicht dieses Erdbeben.
Meine Kolumne heißt "Auf der Straße", was andeuten könnte, dass ich ein besonderes Verhältnis zum Asphalt habe – und sensibel reagiere, wenn der ausgerechnet vor meiner Haustür malträtiert wird. Das Spazierengehen in den Straßen der Stadt wird politisch völlig unterschätzt. Das hab nicht ich herausgefunden, sondern Rebecca Solnit, die beste Kennerin des Gehens, die ich immer wieder zitieren muss: "Nur Bürgerinnen und Bürger, die mit ihrer Stadt als symbolischem und praktischem Territorium vertraut sind, die in der Lage sind, sich auf dem Fußweg zu versammeln, und gewohnt, in ihrer Stadt herumzulaufen, können auch revoltieren." Menschen in Autos, lernen wir daraus, taugen nicht für den Kampf um Gerechtigkeit. Paris, habe ich gelesen, ist schon deshalb die große Revolutionsstadt geworden, weil sie seit je die große Stadt des Spazierens ist.
Der öffentliche Raum ermöglicht uns, die Versammlungsfreiheit auszuleben. Eine Freiheit, die nach jüngsten Erfahrungen auf Kundgebungen und Demonstrationen immer öfter von schikanösen Behördenauflagen und rigorosen Polizeieinsätzen angegriffen wird. Öffentliche Räume sind nicht dafür da, mit Kneipen-Mobiliar zum Abkassieren der Bevölkerung zugestellt zu werden. "Stadtbelebung" ist oft nur ein anderes Wort für den Tod der Bewegungsfreiheit. Daran sollten auch mal die denken, die nach immer mehr Außengastronomie und Massenbetrieb gieren. "Gierig bleiben", steht auf einem Poster des großen VfB.
Mit frommen Phrasen gegen rechte Gewalt
Ein frisch gebohrtes Loch in meiner Straße setzt Gedanken frei, erst recht, wenn das Loch für eine Gasleitung gegraben wird. Seit die russische Armee die Ukraine überfallen hat, begleitet uns das Wort Gas auf Schritt und Tritt. Speziell bei den Deutschen, den Weltmeistern im Gasgeben, müsste dieses Übel eigentlich etwas auslösen, nicht nur, wenn sie noch unter dem Einfluss politischer Einfaltspropaganda ihren nachhaltigen Duschkopf hängen lassen.
Womöglich habe ich mir beim vielen Herumgehen in den Straßen einige Macken eingehandelt. Immer, wenn ich Gas höre, fällt mir ein, wie ich einmal nach einem Besuch des Jüdischen Museums in Berlin das kleine Suhrkamp-Büchlein "Deutschland und Israel" von Amos Oz durchgelesen habe. Auf Seite 30, die Stelle habe ich angestrichen, schreibt der Autor: "Wenn ich bei Aufenthalten in Deutschland oder in Österreich im Restaurant auf Englisch um Mineralwasser bitte, kommt es immer wieder vor, dass mich der Kellner unschuldig höflich fragt: 'With gas? Or without gas?' Und ich, einen Moment lang erstarrt, hole tief Luft und antworte: 'Sparkling please.'"
Und wie so oft muss ich solche Gedankengänge nach meinen Spaziergängen bei einem Glas Sprudelwasser in aktuelle Ereignisse einordnen. Vorbei die Zeit, als ich Gas mit Bob Dylans Auftritten im New Yorker Gaslight Café und dem famosen Coen-Brüder-Film "Inside Llewyn Davis" über einen Folkmusik-Loser assoziierte. Gerade wurde bekanntgeben, dass bei uns die politisch motivierte Kriminalität von rechts schon wieder um sieben Prozent zugenommen hat – und im justiziablen Bereich vor allem Hass und Hetze ausufern (Kriminalität von links ist um 31 Prozent zurückgegangen). In diesem Klima des Überdrucks müssen wir dann fromme Phrasen wie die des baden-württembergischen Innenministers über uns ergehen lassen: "Es gilt, aktiv für das gesellschaftliche Miteinander und das friedliche Zusammenleben in unserem Land einzutreten. Jede und jeder von uns trägt hier die Verantwortung."
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