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Hitzeaktionsplan für Mannheim

Was bei Hitze wirklich hilft

Hitzeaktionsplan für Mannheim: Was bei Hitze wirklich hilft
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Als eine von wenigen Städten in Deutschland hat Mannheim einen Hitzeaktionsplan. Das Konzept gilt als Vorbild – doch ein guter Plan macht noch keinen guten Hitzeschutz.

Der Sommer 2022 hat offiziell noch gar nicht begonnen, da rollt in Baden-Württemberg die erste Hitzewelle an: Ob Mannheim, Freiburg, Karlsruhe oder Stuttgart, überall steigen die Temperaturen am 15. Juni auf über 30 Grad. Einige Tage lang wird es so heiß bleiben – und in den Wochen danach nur selten abkühlen. Anfang Juli fällt bei Freiburg die Dreisam trocken, deutlich früher als gewöhnlich. Wenige Wochen später verlanden am Bodensee die Häfen. Kurz danach färben sich die ersten Blätter braun. Als sie im August zu Boden fallen, sind viele Maispflanzen auf den Feldern längst verdorrt. Zwischen Juni und August ist es im Südwesten so sonnig, warm und trocken wie selten seit Beginn der Aufzeichnungen.

Bisher galten solche Sommer als Ausnahme – schon bald werden sie normal sein, wenn nicht sogar als kühl gelten. Das setzt nicht nur Pflanzen und Gewässern zu: "Hitze ist die größte Bedrohung, die der Klimawandel nach Europa bringt", sagt Henny Annette Grewe, Professorin für Medizinische Grundlagen der Pflege an der Hochschule Fulda. Seit mehr als zehn Jahren forscht sie zu Klimawandel und Gesundheit und berät Kommunen zum Hitzeschutz. "Ab 30 Grad Umgebungstemperatur müssen wir schwitzen." Gelingt das nicht, droht ein Hitzeschlag. Hitzeschlag klinge eigentlich viel zu niedlich, findet die Medizinerin: Nieren, Lunge, Leber und Gehirn können ausfallen. 2022 starben in Deutschland 4.500 Menschen an den Folgen der Hitze, schätzt das Robert-Koch-Institut. 2018 waren es sogar 8.300.

Baden-Württemberg hat Aufholbedarf

Lange schienen diese Toten niemanden zu interessieren. Während Frankreich seinen Hitzeschutz schon nach dem Sommer 2003 verbesserte, hängt Deutschland 20 Jahre später immer noch hinterher. Immerhin: "So langsam machen sich die Kommunen auf den Weg", sagt Grewe. Offenbach am Main, Erfurt, Köln und das rheinland-pfälzische Worms haben in den vergangenen drei Jahren Hitzeaktionspläne verabschiedet. Das Ziel: Die hitzebedingten Beschwerden und Todesfälle so weit wie möglich zu reduzieren. Dafür setzen sie vor allem auf Sensibilisierung, kleine Investitionen, mehr Vorbereitung und eine bessere Kommunikation – sowohl mit der Bevölkerung als auch innerhalb der Verwaltung. 2017 hatte das Bundesumweltministerium eine Blaupause für Hitzeaktionspläne veröffentlicht. In Kassel wurde man bereits vorher aktiv: Seit 2010 warnt ein Hitzetelefon ältere Menschen vor einer nahenden Hitzewelle.

Elf Jahre später kam mit Mannheim die erste Stadt in Baden-Württemberg dazu: Im Oktober 2021 beschloss der Gemeinderat einen Hitzeaktionsplan. Karlsruhe arbeitet derzeit an einem ähnlichen Konzept, Freiburg überlegt noch, und in Stuttgart fordert unter anderem die SPD, dass die Verwaltung eines erstellen soll. Im Austausch mit der Bevölkerung und mit wissenschaftlicher Begleitung wurden in Mannheim 31 Maßnahmen erarbeitet. Sie richten sich vor allem an diejenigen, die die Hitze besonders trifft: alte Menschen, kleine Kinder, Schwangere, Personen mit psychischen und physischen Erkrankungen und Behinderungen, Wohnungslose sowie alle, die draußen arbeiten. Auch für alle anderen hält der Plan Tipps bereit: Wie kleidet man sich am besten, wie kühlt man die Wohnung? Wann treibt man besser keinen Sport, und wie schafft man es, genug zu trinken? "Oft handelt es sich um Banalitäten, die eigentlich jedem Menschen bekannt sein sollten", sagt Hans-Guido Mücke vom Umweltbundesamt, einer der leitenden Autoren der Blaupause aus dem Jahr 2017. "Aber wir können leider nicht davon ausgehen, dass das Basiswissen allgemein vorhanden ist."

In vier Jahren zeigt sich die Wirkung

Seit Februar 2022 ist der Mannheimer Plan in der Umsetzung. Bisher wurde vor allem Infomaterial erstellt und beworben, das bislang allerdings nur online zugänglich ist. Neben Tipps zum richtigen Verhalten finden sich unter www.mannheim.de/hitzeschutz eine Liste mit kühlen Orten, darunter Kirchen, Museen, Kleingartenanlagen und Gewässer. Bald soll es das Ganze auch analog geben. Ein ähnliches Hitzetelefon wie in Kassel soll für den kommenden Sommer eingerichtet werden, und für alle, die beruflich oder privat mit Risikogruppen zu tun haben, sind künftig Schulungen geplant. Damit medizinisches Personal und Angehörige beispielsweise wissen, welche Medikamente bei Hitze anders dosiert oder gelagert werden müssen, und Erzieher:innen möglicherweise einen Trinkplan einführen. In der Innenstadt soll es dieses Jahr überdies weitere Trinkwasserbrunnen geben – vergangenen Sommer war lediglich einer am Alten Meßplatz eröffnet worden. Und einige der sozialen Einrichtungen der Stadt wurden bereits mit Sonnensegeln und Pavillons ausgestattet. "Das Budget reicht allerdings nicht, um den Bedarf zu decken", räumt Alexandra Idler von der Stadt Mannheim ein, die zusammen mit ihrer Kollegin Stephanie Müller für die Umsetzung der Maßnahmen zuständig ist.

Henny Annette Grewe schätzt, dass man in drei bis vier Jahren absehen kann, ob der Plan Wirkung zeigt. Einfach dürfte das allerdings nicht werden. Denn wie viele Menschen aufgrund der Hitze ins Krankenhaus müssen oder sogar sterben, sei in Deutschland aus Datenschutzgründen schwer herauszufinden, erklärt Hans-Guido Mücke vom Umweltbundesamt. Idler und Müller wollen daher auch auf qualitatives Feedback setzen – vor allem von den gefährdeten Gruppen. Sie rechnen nicht damit, dass der Plan jemals vollständig umgesetzt sein wird. "Ein Hitzeaktionsplan ist etwas Lebendiges", sagt Müller, er entwickle sich demnach ständig weiter.

Besonders Obdachlose brauchen mehr Schutz

Doch ein guter Plan macht noch keinen guten Hitzeschutz. Für Grewe ist das Mannheimer Konzept trotzdem schon jetzt ein Vorbild – zumindest auf dem Papier. Auch für Obdachlose sieht es zahlreiche Maßnahmen vor: mehr Sozialarbeit an heißen Tagen, um die Leute aus der Sonne zu holen, besseren Zugang zu Trinkwasser, mehr Duschmöglichkeiten und zusätzlichen Lagerraum – damit man in der Mittagshitze nicht eine schwere Tasche mit sich schleppen muss. Auch sogenannte "Cooling Center" schlägt das Papier vor, wie es sie etwa in den USA gibt: klimatisierte Räume, in denen Obdachlose sich der Sonne vorübergehend entziehen können. "Ab einer gewissen Temperatur sind Trinken und Schwitzen nicht genug. Dann gibt es nur noch zwei Möglichkeiten: Man muss die Orte kühlen – oder die Menschen", sagt Grewe und betont die Wichtigkeit der geplanten "Cooling Center". In Berlin hat vergangenes Jahr Deutschlands erste Hitzenotunterkunft eröffnet. Und in Wien gibt es seit 2020 die "Klimaoasen": schattige Pfarrgärten, in denen Obdachlose und andere Menschen an heißen Tagen zusammenkommen können.

Idler und Müller versichern einstimmig, dass sie sich für Obdachlose besonders einsetzen wollen. "Gerade weil diese Gruppe sonst oft hinten runterfällt", sagt Müller. Das Problem an der Sache: Das Dezernat für Soziales, das viele der Maßnahmen aus dem Plan umsetzen müsste, sieht keinen Handlungsbedarf. Die bestehenden Angebote würden ausreichen, schreibt Sprecherin Carolin Bison auf Anfrage. Bei Hitze könnten Obdachlose sich in den Parks, am Neckar oder am Rhein aufhalten.

Tun sie aber nicht, sagt Felix Burgdörfer, der als Straßensozialarbeiter bei der Mannheimer Caritas arbeitet: "Den Weg muss man erst mal auf sich nehmen. Außerdem kosten viele Parks Eintritt." Dass das bisherige Angebot ausreicht, kann er nicht bestätigen: Duschmöglichkeiten, kühle Orte, Trinkwasser – seiner Einschätzung nach mangelt es in Mannheim an fast allem, was Obdachlose bei Hitze brauchen.

"Papier ist geduldig", sagt Grewe. Der Klimawandel ist es nicht.


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1 Kommentar verfügbar

  • Ursu Jochim
    am 17.05.2023
    Antworten
    Ja, tatsächlich: Papier ist geduldig.. in Mannheim gibt es einen Hitzeaktionsplan - digital - für die Älteren, die Obdachlosen sicher gut zugänglich. Da kann ich, als Mannheimerin (66) nur zynisch werden.
    Mit der Bevölkerung soll der entwickelt worden sein? Einbeziehung der Bevölkerung heißt in…
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