Wer diese Zeilen liest, ist nicht zwingend doof, sollte aber wissen, dass das Internet ein schlimmerer Klimakiller ist als der Flugverkehr. In meinem Laptop-Fall lässt sich das auch nicht mit meiner Fußgängerei kaschieren, wenngleich ich mich als Herumstiefler mit Bio-Antrieb jedem Lamborghini-Fahrer mit eingebautem Online-Pornokino überlegen fühle. "Der Rhythmus des Gehens bringt eine Art Denkrhythmus hervor", schreibt Rebecca Solnit in ihrem Buch "Wanderlust. Eine Geschichte des Gehens".
Für den richtigen Rhythmus unten und oben habe ich neulich "Rare Belafonte" aufgelegt, bevor ich das Haus verließ. Mein Lieblingssong auf dieser LP ist "Jerry (This Timber Got To Roll)". Es geht um einen Arbeiter und das Arkansas-Muli Jerry, die einen Wagen voller Holz über eine staubige Straße ziehen. Der Boss des Arbeiters, vermutlich Autofahrer, will das Maultier abknallen. Doch Jerry duckt sich weg, gibt dem Kerl einen Tritt und überlebt.
Die magischen Kräfte des Harry Belafonte
Harry Belafonte ist am 25. April mit 96 Jahren gestorben. Leider habe ich ihn immer nur aus der Ferne gesehen. Anders als mein Kollege R., der die magischen Kräfte des Weltstars kennenlernte, als er ihn 2012 anlässlich der Veröffentlichung seiner Autobiografie "My Song" in Köln interviewte. Weil der Kollege, womöglich ein Boomer, Probleme mit seinem analogen Aufnahmegerät hatte, fragte ihn Mr. Belafonte, ob er mal nachsehen dürfe. Er griff sich das Ding, schnippte mit den Fingern – und es funktionierte. This recorder got to roll.
Gut möglich, dass mein Denkrhythmus unter einem falschen Gehrhythmus leidet. Sicher ist: Meine Beinarbeit erzeugt eigenwillige Zusammenhänge. Eine Zeit lang habe ich mich mit dem analog ausgerüsteten Kollegen zur Weltbetrachtung im Lokal Bosporus am Stuttgarter Kernerplatz getroffen. Vor ein paar Wochen jedoch, als wir uns wie gewohnt vor dem Restaurant einfanden, der Schock: Der Türke war weg. Für immer. Eine gerade per Auto ankommende Frau teilte uns mit, sie werde hier demnächst ein chinesisches Lokal eröffnen. Die Gaststätte liegt gegenüber dem türkischen Konsulat, in einem türkisch belebten Viertel mit allerlei entsprechenden Geschäften. Ein echter Culture Clash, nicht zu verwechseln mit der kulturellen Anschleimung Stuttgarter Rummelplatzleiber in Dirndl und Lederhose.
Es ist so weit, könnte man denken: Die chinesische Weltmacht überrollt uns. Ihren globalen Anspruch erkennt man auch daran, dass das neue Lokal nicht etwa Peking oder Chin Chin heißen wird. Sondern Appetize. Damit ich aber nicht verdächtigt werde, mich der sensiblen Hau-den-Chinesen-Diplomatie unserer grünen Außenministerin anzuschließen, widerlege ich hiermit alle Fake News über imperialistische Auswüchse: Der liebenswerte Bosporus-Koch Kemal hat seine köstliche Küche lediglich aus Altersgründen eingestellt.
Hurra, im Gleichschritt Marsch!
Geschockt war ich kürzlich auch, als das ZDF-Politbarometer meldete, nicht mehr unser feministischer Weltbühnenstar im Außendienst throne an der Spitze der deutschen Politlieblings-Hitparade. Sondern der Verteidigungsminister. Das sagt alles über das Klima im Land: Hurra, im Gleichschritt Marsch durch die Institutionen. Jedenfalls ist es zurzeit nicht empfehlenswert, sich gegen den herrschenden Militarismus an einen Leopard oder Marder zu kleben. Dass nach Raubtieren benannte Panzer schon bei unseren ehrwürdigen Vorfahren beliebt waren, sei am Rande erwähnt: Die Nazis hatten einen Tiger und einen Panther in ihrer Wehrmacht, in der Entwicklung waren damals auch schon Panzerfahrzeuge namens Leopard und Marder. Wir lernen daraus: Nichts geht über gute deutsche Tradition. Vergangenheit vergeht nicht.
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