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Auf der Straße

In Schmaus und Braus

Auf der Straße: In Schmaus und Braus
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Als Spaziergänger kommst du um nichts herum, und dein bester Scout ist der Zufall. Ich bin mir fast sicher, in meinen Kolumnen noch nie den Männerverein erwähnt zu haben: eine tagediebische Vereinigung, die mir die Ehre erwiesen hat, mich einzugliedern. Dafür missachtete ich sogar Groucho Marx, der einst die Welt gewarnt hat: "Ich will keinem Club angehören, der mich als Mitglied aufnimmt."

In Wahrheit ist unser Männerverein kein Verein, sondern ein loser Haufen fünf hektischer Zeitverschwendungs-Halunken, die sich seit Sommer 2015 immer dienstags um zwölf Uhr mittags zum Essen treffen, spontan in einem Lokal, in dem wir schon lange nicht mehr oder noch nie waren. Zu unseren Etablissements gehören vorwiegend solche, die neu eröffnet wurden oder unter neuer Leitung stehen. In aller Regel ist es der Zufall, der uns führt. Irgendeiner hat was mitbekommen und per WhatsApp den Stellungsbefehl verschickt.

Dienstags, irgendwo in Stuttgart

Zu unserem Quintett gehören ein Gastwirt, ein Kiosk-Betreiber, ein IT-erfahrener Privatier, ein Medien-Ingenieur und unsereiner. Aus Gründen der Diskretion und um präventiven Hausverboten vorzubeugen, nenne ich keine Namen. Angesichts der politischen Entwicklung im Gender-Bereich ist hin und wieder auch mal ein Nicht-Mann, gegebenenfalls eine Frau, auf freundliche Einladung und bei freiem Geleit an unserem Tisch.

Unsere Highnoon-Aktionen verfolgen keinen anderen Zweck, als dienstags irgendwo in Stuttgart einen Mittagstisch zu besetzen. Gaststätten-Kategorien spielen keine Rolle. Wir operieren klassenlos. Es wäre falsch, sich unsere Sitzungen als Stammtisch vorzustellen. Unser Ritual wird durchgezogen als hätten wir streng getaktete Mittagspausen und würden anschließend von einer Stechuhr zur Arbeit erwartet. Es bleibt kaum Zeit für gegenseitige Beleidigungen. Wir sind Eintagsfliegen im Kneipenleben.

Nach dem Sinn unserer Never-ending-Tour zu fragen, wäre Unsinn. Wir führen nichts im Schilde und stehen bei keiner Testesser-Gazette unter Vertrag. Wir verköstigen und verdauen als freie Männer. Allerdings ist es schon einige Male vorgekommen, dass uns der Magen-Darm-Trakt nach dem Verzehr der Dienstagsspeise auf dem Heimweg die Grenzen der Bewegungsfreiheit aufgezeigt hat. Auf diese Weise sammeln wir auch einschlägige Erfahrungen im Toilettenspektrum der Stadt. Fällt mir ein, dass ich neulich in einer Vitrine die Reklamebotschaft eines Finanzunternehmens las: "Mach Dein großes Geschäft auf dem Sofa". Man nennt diese Art Verrichtung Kapitalismus.

Tatsache ist, dass auf unserer Lokalliste, die digital von unserem Medien-Ingenieur geführt wird, schon mehr als 260 besuchte Gaststätten stehen. An die meisten davon kann ich mich nicht mehr erinnern. Wir alle sind – wie Wiglaf Droste gesagt hat – "Fressgeneralisten". Wir schlucken alles. Kalte chinesische Hühnerfüße und lauwarme deutsche Hot Dogs. Wir ernähren uns mitunter auch vegetarisch und vegan, sind also keine fundamentalen Umweltsäue.

Für mich ist das Stelldichein zum Zwölf-Uhr-Schmaus fruchtbar, da ich als Herumgeher immer wieder die Umgebung unseres Gastro-Ziels für eine Kolumne ausschlachten kann. Neulich etwa trafen wir uns in der Hauffstraße in der Kantine des Amtsgerichts. Diese Küche beschränkt sich nicht auf die Ausgabe von Henkersmahlzeiten, sie ist öffentlich zugänglich und nicht zwingend tödlich. Meinen anschließenden Verdauungsspaziergang startete ich in der benachbarten Neckarstraße im Osten, um später in einer Kolumne auf das legendäre Kabelattentat in dieser Ecke hinzuweisen: Vor 90 Jahren, am 15. Februar 1933, hackten Widerstandskämpfer bei Hitlers Stuttgarter Rede das Sendekabel des Rundfunks mit einem Beil durch. Warum wiederhole ich das?

Adlereier im Nest

Wenig später lenkte mich der nächste Küchendienst in das afrikanische Restaurant Patacon Obi in der Eierstraße am Erwin-Schoettle-Platz im Süden. Die Eierstraße führt ins legendäre Arbeiterviertel Eiernest. Und in dieser bis heute gut erhaltenen Siedlung erfolgte, so steht es im Buch "Stuttgart zu Fuß", "die politische Auswertung" der KPD-Aktion in der Neckarstraße. In der Wohnung des Naturfreunde-Mitglieds Karl Maier wurde nach dem Kabelattentat das Flugblatt gefertigt: "Wir Antifaschisten haben Hitler das Wort entzogen!" Anderntags wurde ganz Stuttgart über dieses Heldenstück informiert. An meiner kleinen Nachspeise mag man erkennen, dass der Dienstagstisch nicht nur fünf Großmäuler füttert. Er wirft historische Brosamen ab.

Der Name Eierstraße weist übrigens nicht auf freilaufende Hühner hin, er hat etwas mit früheren Vogel-, womöglich Adlereiern in der Gegend zu tun. Ginge es nach mir, würde ich die Eierstraße einem großen lebenden Stuttgarter widmen. Einem echten Kerl mit Cojones, auch Balls genannt, einem wie dem amtierenden Oberbürgermeister. Gerade hat er auf Facebook seine "große Vorfreude" auf die EM-Spiele 2024 in Stuttgart verkündet: "500 Tage vor dem Start der Fußball-Europameisterschaft überreichen wir unseren Sportvereinen und Schulen 500 Fußbälle."

Eine gute Aktion, vor allem für die Schulen. Aufgrund mangelnder Sportlehrer, Turnhallen und Spielfelder kann jetzt das Kopfballspiel im Klassenzimmer trainiert werden. Nachgewiesene Hirnschäden vom Köpfen spielen heute dank Künstlicher Intelligenz keine Rolle mehr: Hausaufgaben und ähnliche Herausforderungen im maroden deutschen Bildungssystem übernimmt jetzt ChatGPT.

Nur Stuttgarts OB, der bestbezahlte Azubi aller Zeiten, arbeitet weiterhin hartnäckig mit körpereigener Hirnleistung, auch Intelligenz genannt. Und das geht so: "Wie schon bei der Fußball-WM 2006", verlautbart er erregt auf Facebook, gelte bald wieder "der legendäre Spruch": "Stuttgart ist viel schöner als Berlin." Mit dieser Dorfhymne hat er die Kugel aus der Tiefe des Rathausraumes aber noch nicht in vollem Umfang eingenetzt. Nopper dribbelt lyrisch weiter: "Und mit einem Augenzwinkern sage ich: ‚Jedes Gruppenspiel in Stuttgart ist viel schöner als das Endspiel in Berlin!‘" (Das hab ich nicht erfunden.)

Immer her mit der KI

Offen ist, was mit "Augenzwinkern" gemeint sein könnte, womöglich die Folge der hirnerschütterndsten Stöße seit den großen Tagen des Kopfball-Ungeheuers Horst Hrubesch. Die famose Dichterzeile "Jedes Gruppenspiel in Stuttgart ist viel schöner als das Endspiel in Berlin" könnte allerdings auch als Grund für einen künftig pflichtgemäßen Einsatz Künstlicher Intelligenz bei allen öffentlichen OB-Äußerungen bewertet werden. Es wäre dann vor der Ausscheidung nicht mehr nötig, die Weisheit mit Löffeln zu fressen.

Auf jeden Fall sollten wir schon mal die Gruppenspiel-Choreo einstudieren, damit Berlin weiß, wo der Hammer hängt, und ohne Augenzwinkern sage ich: "Klingelingeling, Klingelingeling / Hier kommt der Eiermann / Klingelingeling / Kommen Sie alle, alle an die Eier ran / Das sind die allerdicksten Dotter, die man jemals sah / Unsre Eier die sind Güteklasse A …" (Klaus & Klaus)

In der Neckarstraße habe ich übrigens ein Lokal entdeckt, das laut Aushang Spiegeleier mit Spinat und Bratkartoffeln serviert. Ich werde meinen Männerverein bitten, diese vom Aussterben bedrohte Rarität in der heimischen Gourmet-Landschaft mit mir zu testen. Bei dieser Gelegenheit werden wir frisch befruchtet singen: "Nopper ist viel schöner als die Giffey in Berlin", so wahr wir Männer sind, mit harter Schale, weicher Birne und dem allerdicksten Dotter, den man jemals sah.


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2 Kommentare verfügbar

  • Andreas Marte
    am 09.02.2023
    Antworten
    Das Foto belegt eindeutig: Der Mann hat Eier, keine balls!
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