Für Bundeskanzler Helmut Kohl, CDU, war die Sache klar: Der deutsche Widerstand gegen Hitler bestand aus der Gruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg und aus der Weißen Rose. Das schrieb er 1987 in einem Brief an den Diplomaten Hartmut Schulze-Boysen, den Bruder von Harro Schulze-Boysen. Letzterer hatte ab Mitte der 1930er-Jahre ein linkes Netzwerk mit aufgebaut, von der Gestapo "Rote Kapelle" genannt. Für Kohl gehörte dieses allerdings nicht zum erlauchten Kreis. Heute gelten Schulze-Boysen und seine Gruppe, nachdem sie lange nur als Sowjetagenten betrachtet worden waren, als "eines der wichtigsten Widerstandsnetzwerke im Dritten Reich", schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung.
Dass Kohls Urteil mit der Realität wenig zu tun hat, war schon in den Achtzigern klar. Gerade damals wurde intensiv zum Widerstand aus unterschiedlichen Milieus geforscht. Besonders zu dem aus der Arbeiterbewegung, innerhalb der wiederum die Kommunisten der KPD die aktivsten waren – und die mit dem höchsten Blutzoll. 150.000 von ihnen kamen zwischen 1933 und 1945 unterschiedlich lange in Haft, 25.000 bis 30.000 sollen ermordet worden oder an Haftfolgen gestorben sein. Allein in Stuttgart förderten in der ersten Achtzigerhälfte die Recherchen rund um die Ausstellungsreihe "Stuttgart im Dritten Reich" vieles zutage.
Doch was das Wissen, das Bewusstsein in großen Teilen der Bevölkerung angeht, hatte Kohl vermutlich recht und sein Diktum gilt teils heute noch. Das hat viel mit dem Kalten Krieg und mit der unterschiedlichen Entwicklung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten zu tun. Während in Westdeutschland vor allem der militärische und bürgerliche Widerstand überbetont wurden, wurde in der DDR, jenseits des Eisernen Vorhangs, in erster Linie an den Widerstand der KPD erinnert – und der ist auch Teil des eigenen kommunistischen Gründungsmythos.
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Philipp Horn
am 08.02.2023