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Winfried Hermann

"Ich bin kein Fan von Sportwagen"

Winfried Hermann: "Ich bin kein Fan von Sportwagen"
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Winfried Hermann ist sauer aufgestoßen, wie Kontext über ihn und eine chilenische Spritfabrik berichtet hat, die unter anderem E-Fuels für Porsche produziert. Hier erklärt der baden-württembergische Verkehrsminister, warum er als Grüner nach Patagonien geflogen ist.

Herr Hermann, Sie sind ans andere Ende der Welt gejettet, um die Eröffnung einer Produktionsanlage für Synthese-Sprit zu feiern, der hierzulande Porsche-Sportwagen antreiben soll. Sind Sie auch ein Verbrenner-Fan?

Bestimmt nicht. Ich habe in Chile, wie Porsche-Vorstand Steiner übrigens auch, betont, dass für Pkw batterie-elektrische Antriebe perspektivisch die beste Lösung für das Erreichen der Klimaschutzziele sind. Aber für große Flugzeuge und Überseeschiffe haben wir keine Batterien und keine Oberleitung. Für diese Verkehrsträger brauchen wir synthetische Kraftstoffe auf erneuerbarer Basis. Dennoch: Bis 2035 fahren 1,3 bis 1,5 Milliarden Verbrennerautos auf der Welt rum. Und auch wenn sie danach in Europa nicht mehr als Neufahrzeuge zugelassen werden dürfen, dauert es 20 bis 30 Jahre, bis alle vom Markt sind. Solange muss auch die Bestandsflotte einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Etwa über steigende Beimischungsquoten von E-Fuels im Kraftstoff. Ich kenne die Kritik an E-Fuels, ich weiß auch, dass sie energieintensiv sind. Aber sollen wir zuschauen, wie die Verbrenner weiter den Planeten ruinieren?

Natürlich nicht. Aber E-Fuels sind rar, weil es an sauberem Strom für ihre Herstellung mangelt. Derzeit ist weltweit knapp 22 Prozent des Stroms erneuerbar. Erst im nächsten Jahrzehnt sollen größere Mengen E-Fuels zu bezahlbaren Preisen verfügbar sein. Solange sollten doch zuvorderst Flugzeuge oder Schiffe damit betankt werden und nicht ein Porsche 911, dessen Besitzer auch im vollelektrischen Taycan oder mit der S-Bahn zum Nobelitaliener in der Stuttgarter City fahren kann.

Das Unternehmen HIF Global, das die E-Fuels-Anlage in Patagonien betreibt, wurde von einem chilenischen Unternehmer gegründet, der viel Geld unter anderem in der Energiewirtschaft verdient hat. Sein Motiv ist, das Klima nicht weiter mit fossilen Energien anzuheizen. Er stammt aus Patagonien und will seinem Land durch E-Fuels auch eine Entwicklungschance geben. Porsche ist an HIF Global mit gerade mal elf Prozent beteiligt und hat sich für seine Sportwagenflotte eine überschaubare Abnahmemenge gesichert. Aber Porsche sagt auch, dass dort, wo batterieelektrische Lösungen und Brennstoffzellen nicht geeignet sind, synthetische Kraftstoffe auf erneuerbarer Basis gebraucht werden.

Nochmal: Solange Wind- und Solarstrom so knapp sind, sollte man nicht verschwenderisch sein. Die Produktion eines Liters E-Fuel verbraucht rund 27 Kilowattstunden Strom. Ein sparsames E-Auto fährt mit dieser Strommenge 200 Kilometer weit. Der Motor eines Verbrenners macht mit einem Liter Synthesesprit schon nach 20 Kilometern schlapp.

Dass wir zu wenig erneuerbare Energien haben, das trifft auch Batterieautos. Wir brauchen eine erhebliche Steigerung der sauberen Stromproduktion. Und da ist Patagonien besonders geeignet, weil dort ständig ein kräftiger Wind weht. Der wird bisher nicht geerntet, und wenn, dann kann er aufgrund dünner Besiedlung und wenig Industrie in der Region nicht verbraucht werden. Die chilenische Regierung, mit der ich Gespräche geführt habe, will das Land zu einem Exportland von grünen Energien machen. Weil man Strom nicht exportieren kann, muss man die saubere Energie als Wasserstoff oder Methanol verschiffen. Wenn in Chile dreimal so viel Wind weht wie in Baden-Württemberg, ist auch die Effizienz bei der Herstellung erneuerbarer Kraftstoffe eine andere.

Weil bei Ihnen der Unterton mitschwingt "Der Hermann 'jettet' zum Spaß nach Chile und zerstört dabei das Klima": Ich bin eingeladen worden, weil die chilenische Regierung und die Investorengruppe von HIF Global Interesse an einer Zusammenarbeit mit Baden-Württemberg haben. Weil sie wissen, dass wir Pioniere auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien und Kraftstoffe sind. Vergangene Woche war der Bundeskanzler dort, auch die Landeswirtschaftsministerin, die Kollegin Hoffmeister-Kraut, ist gerade in Chile, um eben diese Partnerschaften aufzubauen. Das ist wichtig, neue Beziehungen mit demokratischen Ländern zu etablieren, nachdem wir uns zu lange allzu sehr an Russland und China ausgerichtet haben.

Da bin ich doch voll bei Ihnen. Trotzdem sollten wir diese kostbare Energie nicht durch röhrende Auspuffe rausblasen.

Das ist doch energetisch und klimaschutztechnisch eine Randdiskussion. Ich bin kein Fan von Sportwagen, aber wegen der geringen Zahl sind sie keine große Gefahr fürs Klima. Sondern es ist der Verkehr insgesamt: Flugzeuge, Schiffe und der gesamte Straßenverkehr. Da braucht es ganz andere Mengen. Sie haben recht, wir müssen noch viel mehr tun. Wir forschen in Baden-Württemberg seit mehreren Jahren an synthetischen Kraftstoffen. Im vergangenen Jahr hat die Landesregierung die Roadmap "reFuels" beschlossen. Unser erstes Anliegen liegt dabei auf dem Flugverkehr. In der vergangenen Woche haben wir am Flughafen Stuttgart den Startschuss für die Entwicklung eines Brennstoffzellen-Flugzeugs für bis zu 40 Passagieren gefeiert. Auf der Veranstaltung waren sich alle einig, dass wir für größere Flugzeuge synthetische Kraftstoffe brauchen. Man muss auch wissen: Bei der Herstellung von Kraftstoffen nach der Fischer-Tropsch-Synthese entstehen als Nebenprodukte Benzin und Diesel. Wollen wir die wegschütten?

Natürlich nicht, aber das reicht doch bei weitem nicht, um anderthalb Milliarden Autos weltweit ein grünes Mäntelchen überzustülpen. Deshalb braucht es gesetzliche Maßnahmen, um die Verbrenner zurückzudrängen.

Ich habe noch von niemandem gehört, dass man Verbrenner sofort enteignen und stilllegen sollte. Dann ist es doch legitim, zu sagen, die sollen ihren Beitrag leisten. Die notwendige Infrastruktur für E-Fuels für Flugzeuge und Schiffe kostet einen Haufen Geld. Es dauert noch fünf bis zehn Jahre, bis wir solche industriellen Anlagen haben. Baden-Württembergische Unternehmen haben die Kompetenz, diese Anlagen zu bauen. E-Fuels-Pioniere können diese mitfinanzieren. Ich finde es auch nicht schlimm, dass Porsche dafür Geld in Süd-Chile ausgibt.

Bevor wir uns im Kreis drehen: Im chilenischen Patagonien hat HIF Global den Antrag für einen riesigen Windpark neben der Porsche-Spritfabrik aus Artenschutzgründen zurückgezogen. Dies nur als Hinweis, dass der großtechnische Weg steinig ist.

Solche Anlagen müssen in Einklang mit der Natur, aber auch mit der Bevölkerung entstehen. Die neue chilenische Regierung nimmt diese Themen sehr ernst und sucht auch deshalb mit uns den Kontakt. Ich habe an einer Informationsveranstaltung der Regierung für Anwohnerinnen und Anwohner teilgenommen. Übrigens sind für den Schutz von Vögeln technische Lösungen geplant, die auf künstlicher Intelligenz basieren. Die Anlagen werden vorrübergehend abgeschaltet, sobald sich ein Schwarm nähert.

Zurück ins Land: Vergangene Woche beschloss der Landtag das neue Klimaschutzgesetz für Baden-Württemberg. Was bedeutet das für den Verkehr?

Das ist ein großer Schritt in Richtung Klimaneutralität bis 2040 in Baden-Württemberg. Die große Herausforderung besteht im Verkehrssektor, wo die CO2-Emissionen in den letzten 30 Jahren nicht gesunken sind. Wir haben bereits das klare Ziel ausgegeben, was das Klimaschutzgesetz jetzt festschreibt, nämlich bis 2030 mindestens 55 Prozent weniger zu emittieren. Das schafft man nur mit einer ambitionierten Verkehrswende, die aus einer Antriebswende mit klimaneutralen Antrieben und Kraftstoffen besteht und aus einer Mobilitätswende, die auf klimafreundlicheren Verkehrsträgern beruht und weniger autobasiert ist.

Aus Berlin hört man von FDP-Bundesverkehrsminister Volker Wissing so gut wie nichts in dieser Richtung. Stattdessen will er lieber schneller Autobahnen bauen.

Der Bundesminister braucht dringend ein Konzept für den Klimaschutz im Verkehr, vergleichbar mit dem, was wir auf Landesebene machen. Das Zukunftsszenario im Land sieht so aus, um es anschaulich zu formulieren: Jedes zweite Auto fährt klimaneutral. Die Fahrgastzahlen im ÖPNV haben sich verdoppelt. Die Hälfte der Wege wird mit Fahrrad, Tretroller oder zu Fuß zurückgelegt. Jede zweite Tonne wird klimaneutral transportiert. Schließlich wird es dann 20 Prozent weniger Individualverkehr mit dem Auto geben. Das ist ambitioniert, da muss die ganze Gesellschaft mitmachen, die Automobilindustrie, die ÖPNV-Wirtschaft und jede und jeder Einzelne. Schneller Autobahnen zu bauen, ist da eher kontraproduktiv.

Konzepte stehen geduldig auf dem Papier.

Ja, es geht um die Umsetzung. Ohne Unterstützung der Wirtschaft wird die Verkehrswende nicht gelingen. Die Industrie muss bezahlbare, klimafreundliche Autos produzieren und das kann sie auch. Alle Unternehmen haben ja inzwischen Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele. Das Bild, das man sich vor 20 Jahren von den Konzernen gemacht hat, gilt nicht mehr. Da hat sich viel verändert.

Immerhin hat Wissing nach langem Ringen verkündet: ab Mai soll es das 49 Euro-Deutschland-Ticket geben.

Klimaschutz wird scheitern, wenn alle weiterhin so Autofahren wie heute. Es gilt, das Auto weniger und öfter gemeinsam zu nutzen, Stichworte Sharing und Pooling. Wir müssen das Verkehrssystem auch so umbauen, dass mehr Menschen öffentliche Verkehrsmittel nutzen können. Ein einladendes Element ist ein kostengünstiges Ticket wie das 49-Euro Ticket. Das kostet aber die öffentliche Hand einen Haufen Geld an Subventionen. Drei Milliarden Euro pro Jahr insgesamt, Baden-Württemberg anteilig 180 bis 200 Millionen Euro. Dazu kommt hierzulande noch das Jugendticket für einen Euro am Tag, was das Land 100 Millionen Euro kostet.

Zum Reizthema Tempolimit. Nicht nur auf Schnellstraßen, sondern mit 30 km/h auch in Ortschaften, wie der Städtetag jetzt fordert.

Die Initiative der Kommunen ist großartig. Wir Landesministerinnen und -minister verlangen das seit Jahren. Ich bin klar für eine Grundgeschwindigkeit von 30 km/h und mit Ausnahmeregelung von 50 km/h auf Durchgangsstraßen. Bis heute braucht es dafür ewig lange Begründungen und oft bekommen es die Kommunen rechtlich nicht hin. Wir unterstützen sie, weil sie die Verkehrssituation vor Ort kennen. Es ist erstaunlich, dass ein liberaler Verkehrsminister, dessen Partei auf Eigenverantwortung Wert legt, ausgerechnet bei diesem Thema nicht nachgibt.

Und außerorts?

Ich muss kein Bekenntnis zum Tempolimit auf Autobahnen abgeben. Ich bin seit über 40 Jahren bei den Grünen, und wir haben das immer vertreten. Es ist eine endlos lange und lästige Debatte, weil sich die FDP dabei gegen jede Vernunft verhält. Aber ich bin zuversichtlich, dass der Widerstand brechen wird. Laut Umweltbundesamt würde ein Tempolimit zwischen vier und sechs Millionen Tonnen CO2 einsparen – und das kurzfristig. Es gibt keine andere Maßnahme, die das in der Kürze der Zeit erbringen würde. Warum man das ablehnt, kann ich nicht nachvollziehen.

Bei welchem Tempo würden Sie den Fuß vom Gas nehmen?

Die Mehrheit der Bevölkerung will Tempo 130, damit kann ich leben. Hauptsache wir bekommen eine Limitierung, damit die Raserei aufhört. Dann würde auch das absurde Hochrüsten von Fahrzeugen für Tempo 200 bis 250 aufhören. Die Autos würden leichter und damit auch klimafreundlicher werden.


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3 Kommentare verfügbar

  • Bernd L.
    am 09.02.2023
    Antworten
    Statts Geld in Rüstung zu stecken sollten wir so schnell es geht das Potential der Erneuerbaren nutzen. Solar auf jedes Dach so schnell es geht. Alle öffentlichen Gebäude können das sofort tun...
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