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Stefan Kaufmann und Thyssenkrupp

Ohne Knallgasreaktion

Stefan Kaufmann und Thyssenkrupp: Ohne Knallgasreaktion
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Auf die Politik folgt Lobbyismus: Geräuschlos wechselte der einstige Stuttgarter Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann (CDU) die Seiten. Der frühere Innovationsbeauftragte für Wasserstoff ging zum Stahlkonzern Thyssenkrupp – der viel Geld aus der Staatskasse bekommt, um Wasserstoff-Produktionsanlagen zu bauen.

Sie sind eine besondere Spezies des Berliner Politikbetriebs: die mittlerweile 43 Sonderbeauftragten, die die Bundesregierung in einem weiten Spektrum von der transatlantischen Zusammenarbeit über maritime Wirtschaft bis zum längst vollzogenen Regierungsumzug vom Rhein an die Spree beraten. Seit die Ampel-Koalition den Kanzler stellt, gab es einige Neubesetzungen in der Branche, für die in der Regel Staatssekretär:innen oder Abgeordnete mit dem passenden Parteibuch auserkoren werden.

Für Aufregung sorgten zuletzt vor allem Personalien grün geführter Ressorts: etwa die Ernennung von Jennifer Morgan zur Sonderbeauftragten für internationale Klimapolitik. Außenministerin Annalena Baerbock holte die Greenpeace-Geschäftsführerin dafür als Staatsekretärin in ihr Amt. "Interessant wäre auch zu wissen, für welche rechtswidrigen Greenpeace-Aktionen sie verantwortlich war", äzte Stefan Müller, parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Bundestagsfraktion auf Twitter, als die Personalie im Februar publik wurde.

Noch turbulenter ging es im Juni zu, als Ferda Atamann zur Antidiskriminierungsbeauftragten im Familienministerium berufen wurde, ebenfalls in "grüner Hand". Nicht nur Konservative kritisierten die Einsetzung der früheren Redenschreiberin von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet. In einer "Spiegel"-Kolumne hatte die Journalistin "weißen Deutschen" und "Germanennachfahren" vorgehalten, überempfindlich auf das Wort Kartoffel zu reagieren.

Im Vergleich dazu ging der jüngste Wechsel im Beraterstab der Bundesregierung geräuschlos über die Bühne – obwohl gerade dieser das Zeug zum Skandal hat: Ende Juli hängte Stefan Kaufmann seinen Job als "Innovationsbeauftragter der Bundesregierung für Grünen Wasserstoff" an den Nagel. Nach seiner Demission im Berliner Bildungs- und Forschungsministerium (BMBF) von Bettina Stark-Watzinger (FDP) tauchte der 53-jährige CDU-Politiker einige hundert Kilometer weiter westlich auf: bei Thyssenkrupp (Tk) in Essen. Den größten deutschen Stahlkonzern soll er fortan bei Wasserstoffprojekten verstärken.

Pikant daran ist nicht nur der nahtlose Wechsel vom Politikbetrieb in die Privatwirtschaft im selben Aufgabenbereich. Anrüchig wird die Personalie auch durch finanzielle Überschneidungen: der Essener Konzern kassiert vom Bund millionenschwere Fördermittel.

Bildungsexperte entdeckt neuen Kompetenzbereich

Doch der Reihe nach mit Auffälligkeiten, die sich um den ersten Wasserstoffbeauftragten der Republik ranken. Im Juni 2019 hatte die damalige CDU-Forschungsministerin Anja Karliczek den Parteifreund auf den Posten berufen, der im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie neu geschaffenen wurde. Schon damals sorgte dies in Fachkreisen für Verwunderung, denn Volljurist Kaufmann verfügte eigentlich über anderes spezifisches Know-How.

Der Stuttgarter Bundestagsabgeordnete hatte sich bis dato eher als Bildungsexperte denn als Fachmann für Energiewende und den Energieträger Wasserstoff (H2) einen Namen gemacht. So saß er der Enquete-Kommission "Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt" des Bundestags vor. Laut Parlamentsarchiv trat er für die Union ans Rednerpult, wenn über Bildung, Hochschulfinanzierung oder Bafög debattiert wurde. Im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, in dem er als Obmann der Unionsfraktion saß, dürfte ihn Wasserstoff nur am Rande tangiert haben. Daneben war er Vorsitzender des Bundesfachausschusses Bildung, Forschung und Innovation der CDU. Politisch hatte er es in Stuttgart zum Kreisvorsitzenden seiner Partei gebracht. Seit 2009 holte er dort drei Mal das Direktmandat für die CDU.

Offenbar arbeitete sich Kaufmann gut in sein neues Fachgebiet ein. Nach der Bundestagswahl im November 2021, bei der er gegen den Grünen und heutigen Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir den Kampf um das Direktmandat verlor und auch nicht über die Landesliste wieder in den Bundestag einzog, durfte er entgegen üblicher Gepflogenheiten weiter Innovationsbeauftragter bleiben. Die neue Ministerin Stark-Watzinger habe ihn "gebeten, sein Amt fortzuführen", hieß es offiziell Mitte Januar. "Das (…) in mich gesetzte Vertrauen ist mir Motivation und Ansporn zugleich, mit voller Energie dafür zu arbeiten, dass das Innovationsland Deutschland die vielfältigen Chancen einer nachhaltigen Wasserstoffwirtschaft nutzt", versicherte Kaufmann damals.

Nach einem halben Jahr war dann doch die Luft raus

Und so erhielt der aus dem Parlament geflogene Abgeordnete "neben Räumlichkeiten und entsprechender Büroausstattung im BMBF auch eine monatliche Aufwandsentschädigung im unteren vierstelligen Bereich", teilt das Ministerium auf Anfrage mit. Außerdem durfte Kaufmann an der Seite der Ministerin nach Australien und Namibia jetten, um neue Wasserstoff-Lieferketten für Deutschland zu knüpfen.

Ein knappes halbes Jahr später war die Luft aber schon raus. Den Abgang Kaufmanns hängten alle Beteiligten nicht an die große Glocke. Ministerium und Konzern machten den Wechsel am 10. August zeitgleich per Pressemitteilungen öffentlich. Stark-Watzinger dankte Kaufmann darin "herzlich für die gute, intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit". Als erster Wasserstoffbeauftragter habe er Pionierarbeit geleistet und wichtige Akzente gesetzt. Warum sich der Gelobte "neuen beruflichen Herausforderungen außerhalb der Politik widmet", verriet das Communiqué der Ministerin nicht.

Die Essener waren offener. Im Internetportal verkündete man, dass der ehemalige H2-Beauftragte "thyssenkrupp bei allen segmentübergreifenden Wasserstoffaktivitäten und -projekten beratend zur Seite stehen und das Unternehmen bei Wasserstoffthemen auch national und international vertreten" wird.

Dass ein politischer Funktionsträger seine Dienste der Wirtschaft anbietet, ist spätestens seit Russland-Lobbyist und Altkanzler Gerhard Schröder nichts Neues. Den Genossen der Bosse brachte der Seitenwechsel in Leitungsgremien des staatlichen Ölkonzerns Rosneft und in die Nord-Stream-Töchter des Moskauer Gasgiganten Gazprom. Auf die Nominierung für den Gazprom-Aufsichtsrat verzichtete Schröder erst nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kaufmanns neue Herausforderung ist längst nicht so spektakulär. Er "wird bei thyssenkrupp nicht festangestellt. Es handelt sich um ein externes Beratungsmandat", wiegelt der Konzern auf Anfrage ab.

Verbindendes Element bleibt, dass Altkanzler wie Ex-Beauftragter in Mission Energieversorgung unterwegs sind, einem milliardenschweren Sektor. Während Schröder sein Netzwerk für fossiles Gas und Öl aus Russland nutzt, soll Kaufmann mit seinen Kontakten für den klimaneutralen Hoffnungsenergieträger H2 wirbeln. Mit diesem wollen Stahlkonzerne wie Thyssenkrupp grünen Stahl herstellen. Nichts unanständiges, weil der Einsatz einer Tonne Wasserstoff dabei 25 Tonnen CO2 vermeidet. So steigt auch die Nachfrage nach industriellen Elektrolyse-Anlagen, die eine wirtschaftliche H2-Produktion ermöglichen. Längst ist der Essener Konzern auch bei Produktion, Verarbeitung und Transport des Energieträgers unterwegs.

Thyssenkrupp bekommt bereits viel Geld vom Staat

Doch die Umstellung von Koks befeuerten Hochöfen auf Wasserstoff ist teuer und gefährdet die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Thyssenkrupp Steel Europe will 2025/26 in Duisburg eine erste Anlage in Betrieb nehmen, mit der Stahl klimaschonender produziert werden kann. Die Kosten allein dafür taxiert der Konzern auf zwei Milliarden Euro. Ebenso kostet der Aufbau von H2-Produktionsanlagen viel Geld. Deshalb unterstützen Bund und Länder den Schwenk zur klimaneutralen Wasserstoffwirtschaft mit Milliarden.

Aus den Fördertöpfen bedient sich auch Thyssenkrupp. Allein für seinen Duisburger Hochofen soll der Konzern einen dreistelligen Millionenbetrag aus dem Etat des Wirtschaftsministeriums erhalten. Eine genaue Zahl zu nennen, weigerte sich der damalige Minister Peter Altmaier (CDU) im Mai 2021 bei Vorstellung der Großprojekte. Vor wenigen Tagen gab auch NRWs Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bekannt, dass das Land die Anlage mit einem dreistelligen Millionenbetrag fördern wird.

Geld fließt an Thyssenkrupp auch aus dem Forschungsministerium. Der Förderrahmen für so genannte Leitprojekte, einem von mehreren H2-Programmen, umfasst allein 700 Millionen Euro. Wie viel davon nach Essen fließt, will auch Stark-Watzingers Haus nicht verraten. "In der Kürze der Zeit ist uns eine Auflistung leider nicht möglich", heißt es auf Anfrage.

Der Subventionsverteiler findet Vorwürfe infam

In Förderdatenbanken lässt sich nachlesen, dass Bescheide in Millionenhöhe während Kaufmanns Wirkungszeit an den Konzern gingen. Fast 8,5 Millionen Euro Fördergelder wurden thyssenkrupp zur Erforschung und Entwicklung einer Großserienfertigung der alkalischen Wasserelektrolyse vom BMBF im Oktober 2021 zugesagt.

Hat Kaufmanns Wechsel nun ein Geschmäckle? "Der von Ihnen insinuierte Vorwurf ist infam. Ich weise ihn zurück", antwortet dieser auf Anfrage. In seiner Funktion als Innovationsbeauftragter habe er je ein Mal die Stahlproduktion und eine Carbon2Chem-Versuchsanlage seines neuen Auftraggebers in Duisburg besucht. "Im Übrigen gab es natürlich zufällige Begegnungen mit Vertretern von thyssenkrupp, beispielsweise im Nationalen Wasserstoffrat oder bei einer der zahlreichen Veranstaltungen zum Thema." Ein Gelingen der Energiewende sei angesichts der geopolitischen Veränderungen dringender denn je. Dafür brauche es den Einsatz aller. "Es ist mir ein Anliegen, auch nach dem Ende meiner politischen Arbeit dazu beizutragen, dass Deutschland und Europa die Chancen der grünen Transformation nutzen", betont er. Thyssenkrupp habe seine beratende Tätigkeit für das Unternehmen zudem "transparent öffentlich kommuniziert".

"Wir freuen uns bei thyssenkrupp sehr, dass wir schon jetzt auf die Kompetenzen von Herrn Dr. Kaufmann zurückgreifen können. Damit unterstreichen wir unseren Anspruch, die grüne Transformation zu beschleunigen und einen wesentlichen Beitrag zum schnellen Hochlauf der nationalen und internationalen Wasserstoffwirtschaft leisten", beteuert der Stahlkonzern, nichts Verwerfliches zu tun.

Kritik kommt hingegen von Lobby Control: "Dr. Kaufmann hatte eine Schlüsselstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, die Forschungsgelder und Subventionen verteilt. Es sollte auch hier Karenzzeiten geben, weil schließlich Interessenkonflikte verhindert werden sollen" , sagt eine Sprecherin des lobbykritischen Vereins. Seit 2015 müssen Minister und Staatssekretäre mehrere Monate warten, bevor sie eine "Anschlussverwendung" in der privaten Wirtschaft aufnehmen. "Als Innovationsbeauftragter war Herr Kaufmann nicht Mitglied der Bundesregierung und unterliegt daher diesen Regelungen nicht", heißt es dazu aus dem Forschungsministerium.


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