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Bundestagswahl

Steigbügelhalter

Bundestagswahl: Steigbügelhalter
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Die einen, die Schwarzen im Südwesten, haben viel verloren. Die anderen, die inzwischen erfolgsverwöhnten Grünen, haben gemessen an ihren Erwartungen zu wenig gewonnen. Dennoch will CDU-Landeschef Thomas Strobl Baden-Württembergs Regierung weiterhin zur Vorlage für Berlin stilisieren. Und Winfried Kretschmann lässt ihn, milde gestimmt, gewähren.

Von Stuttgart lernen heißt, wieder siegen lernen für SPD und Grüne, die noch im Stuttgarter OB-Wahlkampf viel mehr kaum falsch machen konnten und so den Sieg von Frank Nopper (CDU) beförderten. Jetzt feiern die Roten eine Wiederauferstehung und die Grünen zeigen, wie sogar in einer Autostadt mit Klimaneutralität zu punkten ist. Cem Özdemir schaffte nicht nur – im vierten Anlauf – das Direktmandat, sondern kürte sich mit 40 Prozent oder 62.594 aller Erststimmen auch noch zum landesweiten Stimmenkönig über alle Parteien hinweg. Natürlich wird schon spekuliert, ob das nicht doch als starkes Argument für die spätestens 2024 anstehende Debatte über Winfried Kretschmanns Nachfolge gewertet werden muss.

Deutlich früher müssen aber noch ganz andere große Brocken aus dem Weg geräumt werden. Immer am Dienstag nach Kabinettssitzungen stellt sich Kretschmann Medienfragen, am Dienstag nach dem Wahlsonntag war Thomas Strobl an seiner Seite, weniger als Innenminister, sondern in seiner Rolle als Parteichef der Südwest-CDU. Schon bei der allerersten Antwort des Grünen wird offenbar, wie dünn der Vorrat an Gemeinsamkeiten in der Bewertung des Bundestagswahlergebnisses wirklich ist. Die SPD liege klar vor der CDU, stellt Kretschmann zutreffend fest, und schon verzieht Strobl das Gesicht. Später muss er hinnehmen, dass der Ministerpräsident noch deutlicher wird: "Nach dem Wahlergebnis gibt es ein Prä für die Ampel, das ist selbstredend."

So selbstredend allerdings auch wieder nicht. Denn spätestens seit vergangener Woche wurde angesichts der demoskopischen Entwicklung im Staatsministerium unter "meine Leut'", wie der Grüne die engsten MitarbeiterInnen gern nennt, über die Vorzüge einer Jamaika-Koalition ohne SPD-Beteiligung philosophiert, ohne Scheu, als Steinbügelhalter für eine schwer gebeutelte CDU/CSU dazustehen. Kretschmann sammele eben Lebensretter-Medaillen, witzelte ein grüner Parteifreund. Nach Strobl, mit dem er seit dem Frühjahr trotz des schlechten Abschneidens der Union bei der Landtagswahl ein zweites Mal koaliert, sei der Ministerpräsident jetzt bereit, sogar Armin Laschet das politische Überleben zu sichern.

Was gar nicht zuletzt damit zu tun hat, dass Kretschmanns Verhältnis zur SPD ganz grundsätzlich ein eher reserviertes und die Beziehung zum SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz kompliziert ist. Am Wahlabend erzählte Kretschmann in der Berliner Landesvertretung vom Streit zwischen beiden im Vermittlungsausschuss über das Thema CO2-Preis. Andere, die dabei waren, berichten, wie der Bundesfinanzminister vor fast einem Jahr im Kanzleramt ein Kompromisspapier zuerst mit spitzen Finger angepasst und dann zu Boden habe segeln lassen. Professionell sei der Umgang, fasst Kretschmann am Dienstag dennoch eine mögliche Verhandlungsbasis zusammen, verziert mit dem deutlichen Appell, schneller aus der Kohle auszusteigen: "Da beißt nun mal keine Maus den Faden ab."

Die Südwest-FDP guckt nach Rheinland-Pfalz

Özdemir weiß er da ganz und gar an seiner Seite. Auch der frühere Bundesvorsitzende kofferte Scholz nicht nur im Wahlkampf an, vor allem, weil er beim Klimaschutz vollkommen blank da stehe. Sich selber beschreibt der 55-Jährige als optimistischen, einen im "Ländle", wie er sagt, verankerten Modernisierer, der als Mitverhandler von Jamaika 2017 übrigens ganz genau weiß, wie Dreier-Verhandlungen scheitern können. Die FDP habe damals eben die Latte zu hoch gelegt und sei zugleich gerade in der Klimapolitik nicht faktensicher gewesen.

Diesmal soll alles anders sein. Sogar auf Ebene der beiden Stuttgarter Kreisverbände wird von "stabilen Kontakten" zwischen Grünen und Liberalen berichtet. Immerhin hat die FDP-Kreisvorsitzende Gabriele Reich-Gutjahr nach den Wahlen in Baden-Württemberg 2016 sogar zu jenen in ihrer Partei gehört, die sich – anders als der einflussreiche Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke – ernsthaften Sondierungsgesprächen mit Grünen und SPD zur Bildung einer gemeinsamen Landesregierung ohne die CDU nicht verschließen wollen. Der jüngste rheinland-pfälzische Koalitionsvertrag sei, jedenfalls im übertragenen Sinne, schon ganz abgegriffen, wird in der Stuttgarter FDP erzählt, vom vielen Darinblättern. Dort regiert bereits zum zweiten Mal die Ampel.

Spannend ist und wird die Auseinandersetzung zum Beispiel in Sachen Radverkehr, weil der Bundesvorsitzende Christian Lindner in seinen Wahlkampf-Standardreden so engagiert gegen Fahrräder und vor allem Lastenfahrräder polemisierte. In Mainz hingegen hat seine Partei unterschrieben, alle Fördermaßnahmen zur Verbesserung des Radverkehrs zu nutzen. Oder in Sachen Solarpflicht, die an Rhein und Mosel genauso vereinbart ist wie die Absicht, das Sondervermögen "Nachhaltige Bewältigung der Corona-Pandemie" weiterzuführen. Das ist besonders tricky und könnte noch ein Schlüssel im Zentralschloss zur Ampel werden, weil die Einhaltung der Schuldenbremse deutlich leichter fällt, wenn es noch andere Töpfe gibt, aus denen "investive Ausgaben geleistet werden". Dazu eruierten die Fachleute vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin (WZB) auf Basis der Wahlprogramme bereits, dass sich FDP und Grüne "so nahe sind wie nie zuvor". Allerdings gilt das nur inhaltlich, denn im Bewusstsein der Wählerschaft sind Grüne und Liberale doch ziemlich ungleich. Beweis: Für Jamaika mit Grünen und den Liberalen unter Führung der Union waren – vor dem Wahltag – 71 Prozent der Befragten aus dem FDP-, aber nur 15 Prozent aus dem Grünen-Lager. Für die Ampel sind die Zahlen praktisch spiegelverkehrt.

Das Direktmandat ist nur ein Trostpflaster

Die einen haben die Qual der Wahl, die anderen nicht mal mehr das. Dass Stefan Kaufmann, langjähriger CDU-MdB aus Stuttgart, sein Büro im Reichstagsgebäude räumen muss, beschreibt die Lage der CDU in der Landeshauptstadt nur unzureichend. Die Schwarzen kamen ihrem Allzeithoch von fast 43 Prozent 1976 vor acht Jahren mit gut 38 Prozent 2013 noch einmal ziemlich nahe. Seither allerdings hat der Kreisverband fast die Hälfte seiner Wählerschaft eingebüßt. Der deutliche Abstand zu Özdemir, bekannte Kaufmann auf der eher tristen Party des Kreisverbandes im Bosch-Areal, habe ihn schon enttäuscht. Nicht einmal Maximilian Mörseburg, der sich im Wahlkreis II als Neuling einigermaßen überraschend das Direktmandat gegen die Grünen-Bundestagsabgeordnete Anna Christmann sicherte, konnte die Stimmung heben. Sogar der 29-jährige Rechtsanwalt selbst nannte seinen Erfolg "ein Trostpflaster".

Kann gut sein, dass deren Ausgabe noch gar nicht so richtig begonnen hat. Anders als Kretschmann, der sich von seiner Idee einer vorsichtigen Bevorzugung einer Jamaika-Koalition in der Wahlnacht schon zwei Tage später wieder befreit hat, bleiben Strobl und sein Landesvorstand festgemauert in der Erden wie Schillers Glocke. Während in Berlin und Düsseldorf immer weniger in der Union an Laschet als nächsten Kanzler glauben mögen, hofft die Südwest-CDU weiterhin auf Schwarz-Grün-Gelb – als ein breites Bündnis "mit Magnetwirkung", so Strobl, das Ökonomie und Ökologie versöhnen könne. Eine Legitimation der SPD, eine Bundesregierung anzuführen, will er aus dem knappen Vorsprung partout nicht ablesen. Sein Landesverband habe deshalb die "klare Erwartung" an Laschet, genau in dieser Richtung mit Grünen und FDP zu sprechen.

Ob da einer verkennt, was die Stunde geschlagen hat? Allen Fragen, was passieren wird und soll, wenn Jamaika ein zweites Mal nicht klappt, weicht der 61-Jährige aus. Im November ist Landesparteitag. Strobl, Landesvorsitzender seit einem Jahrzehnt, behält sich vor, noch einmal zu kandidieren. Sein Schicksal ist jedoch eng mit dem Laschets verknüpft. "Wenn das Köpferollen beginnt", prognostiziert ein Vorstandsmitglied nach der Sitzungen vom Montagabend, "wird's gefährlich." Vor allem, weil dann eine Strategie ins Tragikomische zu kippen droht, die der Landeschef, der schon so viele Wahlniederlagen zu kommentieren hatte, immer wieder strapaziert: Wortreich wird das bittere Abschneiden, das schlechte Ergebnis beschrieben, die konstruktive Debatte, die Bereitschaft zur Aufarbeiten, sogar, dass zuerst das Land, dann die Partei und dann erst das Amt kommt. Nur Konsequenzen werden keine gezogen, vor allem keine personellen. Noch eine Blaupause, gegenwärtig für seinen Bundesvorsitzenden im sich zuspitzenden politischen Überlebenskampf.


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1 Kommentar verfügbar

  • Max Eifler
    am 29.09.2021
    Antworten
    Strobl ist mir eigentlich egal. Befremdlich und beängstigend empfinde ich die Auftritte von Cem in der Glotze, mit aufgerissenen BSE-Glotzaugen und einer Spreche (+Haltung) die pro Botox-Lindner ist und auch für die letzten idealistischen Grünen klar machen sollte: Hier spricht laut schwäbelnd das…
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