Von Stuttgart lernen heißt, wieder siegen lernen für SPD und Grüne, die noch im Stuttgarter OB-Wahlkampf viel mehr kaum falsch machen konnten und so den Sieg von Frank Nopper (CDU) beförderten. Jetzt feiern die Roten eine Wiederauferstehung und die Grünen zeigen, wie sogar in einer Autostadt mit Klimaneutralität zu punkten ist. Cem Özdemir schaffte nicht nur – im vierten Anlauf – das Direktmandat, sondern kürte sich mit 40 Prozent oder 62.594 aller Erststimmen auch noch zum landesweiten Stimmenkönig über alle Parteien hinweg. Natürlich wird schon spekuliert, ob das nicht doch als starkes Argument für die spätestens 2024 anstehende Debatte über Winfried Kretschmanns Nachfolge gewertet werden muss.
Deutlich früher müssen aber noch ganz andere große Brocken aus dem Weg geräumt werden. Immer am Dienstag nach Kabinettssitzungen stellt sich Kretschmann Medienfragen, am Dienstag nach dem Wahlsonntag war Thomas Strobl an seiner Seite, weniger als Innenminister, sondern in seiner Rolle als Parteichef der Südwest-CDU. Schon bei der allerersten Antwort des Grünen wird offenbar, wie dünn der Vorrat an Gemeinsamkeiten in der Bewertung des Bundestagswahlergebnisses wirklich ist. Die SPD liege klar vor der CDU, stellt Kretschmann zutreffend fest, und schon verzieht Strobl das Gesicht. Später muss er hinnehmen, dass der Ministerpräsident noch deutlicher wird: "Nach dem Wahlergebnis gibt es ein Prä für die Ampel, das ist selbstredend."
So selbstredend allerdings auch wieder nicht. Denn spätestens seit vergangener Woche wurde angesichts der demoskopischen Entwicklung im Staatsministerium unter "meine Leut'", wie der Grüne die engsten MitarbeiterInnen gern nennt, über die Vorzüge einer Jamaika-Koalition ohne SPD-Beteiligung philosophiert, ohne Scheu, als Steinbügelhalter für eine schwer gebeutelte CDU/CSU dazustehen. Kretschmann sammele eben Lebensretter-Medaillen, witzelte ein grüner Parteifreund. Nach Strobl, mit dem er seit dem Frühjahr trotz des schlechten Abschneidens der Union bei der Landtagswahl ein zweites Mal koaliert, sei der Ministerpräsident jetzt bereit, sogar Armin Laschet das politische Überleben zu sichern.
Was gar nicht zuletzt damit zu tun hat, dass Kretschmanns Verhältnis zur SPD ganz grundsätzlich ein eher reserviertes und die Beziehung zum SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz kompliziert ist. Am Wahlabend erzählte Kretschmann in der Berliner Landesvertretung vom Streit zwischen beiden im Vermittlungsausschuss über das Thema CO2-Preis. Andere, die dabei waren, berichten, wie der Bundesfinanzminister vor fast einem Jahr im Kanzleramt ein Kompromisspapier zuerst mit spitzen Finger angepasst und dann zu Boden habe segeln lassen. Professionell sei der Umgang, fasst Kretschmann am Dienstag dennoch eine mögliche Verhandlungsbasis zusammen, verziert mit dem deutlichen Appell, schneller aus der Kohle auszusteigen: "Da beißt nun mal keine Maus den Faden ab."
Die Südwest-FDP guckt nach Rheinland-Pfalz
Özdemir weiß er da ganz und gar an seiner Seite. Auch der frühere Bundesvorsitzende kofferte Scholz nicht nur im Wahlkampf an, vor allem, weil er beim Klimaschutz vollkommen blank da stehe. Sich selber beschreibt der 55-Jährige als optimistischen, einen im "Ländle", wie er sagt, verankerten Modernisierer, der als Mitverhandler von Jamaika 2017 übrigens ganz genau weiß, wie Dreier-Verhandlungen scheitern können. Die FDP habe damals eben die Latte zu hoch gelegt und sei zugleich gerade in der Klimapolitik nicht faktensicher gewesen.
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Max Eifler
am 29.09.2021