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E-Fuels

Schon wieder Etikettenschwindel

E-Fuels: Schon wieder Etikettenschwindel
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Auf Einladung von Porsche jettet Baden-Württembergs grüner Verkehrsminister Winfried Hermann nach Chile, um eine Pilotanlage für synthetische Kraftstoffe einzuweihen. Macht sich ein Spitzengrüner zum Sprachrohr der fossilen Autolobby?

Nach Patagonien verschlägt es niemanden so schnell. Der äußerste Süden von Chile zeigt sich als karge Grassteppe, platt wie eine Flunder, über die ständig stramme Winde fegen. Kurz vor Weihnachten machte sich Winfried Hermann auf. Der baden-württembergische Verkehrsminister reiste aus dem deutschen Süden in die Provinzhauptstadt Punta Arenas, um bei der Inbetriebnahme der weltweit ersten industriellen Anlage mitzufeiern, die aus Wind, Wasser und Luft synthetische Kraftstoffe, sogenannte e-Fuels, produziert.

Warum jettet ein grüner Minister um die halbe Welt zur Eröffnungssause einer Spritfabrik? Was die Steuerzahler 15.000 Euro kostet und dem Klima über zwei Tonnen Treibhausgase beschert?

Neben dem US-Ölmulti Exxon Mobil und dem ebenfalls fossilen chilenischen Staatskonzern ENAP sind auch hiesige Unternehmen an dem Projekt beteiligt. Minister Hermann sei "einer Einladung der Firmen HIF Global, Siemens Energy und Porsche gefolgt", teilt seine Sprecherin auf Anfrage mit. Die Stuttgarter Sportwagenschmiede finanzierte Haru Oni, wie die Anlage heißt, mit 20 Millionen Euro. Der Münchner Technologiekonzern Siemens investierte sogar das Doppelte. Beide Firmen sind an HIF Global beteiligt, doch dazu später mehr.

Das Projekt passe in die Strategie des Landes zur Förderung erneuerbarer Kraftstoffe und der entsprechenden Industrie, heißt es weiter in der Antwort. "Deshalb haben sowohl das Staatsministerium als auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz die Teilnahme an der Reise befürwortet." Minister Hermann habe die Reise auch genutzt, um Gespräche mit chilenischen Regierungsmitgliedern zu führen, erwähnt die Sprecherin noch.

Zuschauen durfte Hermann auch, wie die ersten E-Fuels-Liter von Haru Oni in den Tank eines Porsche 911 flossen. "Die Nutzung von E-Fuels reduziert den CO2-Ausstoß. Mit Blick auf den gesamten Verkehrssektor sollte die industrielle Produktion synthetischer Kraftstoffe weltweit weiter vorangetrieben werden", betonte Barbara Frenkel, Porsche-Vorständin für Beschaffung, die zum Betanken extra aus Zuffenhausen angereist war. Das Potenzial von E-Fuels sei sehr groß, attestierte ihr Kollege. Entwicklungsvorstand Michael Steiner: "Weltweit gibt es heute mehr als 1,3 Milliarden Verbrennerfahrzeuge." Viele davon würden "noch jahrzehntelang auf der Straße unterwegs sein" und E-Fuels böten deren Besitzern eine Perspektive.

Ins allgemeine Jubilieren stimmte vor Ort auch Hermann ein: "Wir sind sehr daran interessiert, klimafreundliche Wasserstoffderivate und -kraftstoffe zu importieren. Die Nachfrage ist enorm – insbesondere in den Bereichen Luftfahrt und Schifffahrt, aber auch für die Dekarbonisierung der bestehenden Fahrzeugflotten", wird er in einer Pressemitteilung von HIF Global zitiert. Die chilenisch-deutsche Energiepartnerschaft, die 2019 ins Leben gerufen wurde, biete ein großes Potenzial für die Zusammenarbeit beim Klimaschutz und die unverzichtbare Transformation der Kraftstoffindustrie. "Wir unterstützen dieses bahnbrechende Projekt nachdrücklich", so Hermann.

Der "klimaneutrale Kraftstoff" ist eine Mogelpackung

Patagonien ist tatsächlich ideal für die E-Fuels-Produktion: Der Wind weht an rund 270 Tagen im Jahr so stark, dass ein Windrad unter Volllast grünen Strom für einen Elektrolyseur liefert, der Wasser (H2O) in Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O) spaltet. Der Wasserstoff wird im nächsten Schritt zu Methanol umgewandelt. Der Clou: Die Synthese verbraucht Kohlendioxid, den Haupttreiber der Erderwärmung. In Haru Oni wird es direkt der Umgebungsluft entzogen. Im nächsten Schritt lässt sich Methanol zu Benzin, Kerosin oder Diesel synthetisieren.

Alles prima also aus Klimasicht? Nein, denn Kunstsprit hat auch Nachteile. Der größte: Das gebundene CO2 wird bei Verbrennung wieder freigesetzt. Wenn beispielsweise der Transport per Containerschiff in die Gesamtbilanz einfließt, fällt diese also wieder negativ aus. Trotzdem hat sich die irreführende Bezeichnung "klimaneutrale Kraftstoffe" durchgesetzt. Anders ist dies, wenn man den auch für E-Fuels nötigen, aus grünem Strom erzeugten Wasserstoff direkt als Energieträger nutzt – dabei entsteht kein CO2, sondern lediglich das Ausgangsprodukt Wasser. Doch Porsche führt keine Wasserstoff-Autos im Sortiment.

Zudem ist die Herstellung von E-Fuels extrem energieaufwändig. Professor Maximilian Fichtner, Leiter der Abteilung Festkörperchemie im Ulmer Helmholtz-Institut, rechnet vor, dass für die Herstellung von einem Liter E-Diesel aus CO2 und Wasserstoff 27 Kilowattstunden Strom nötig sind. Damit fahren große Batterie-Elektroautos mehr als 100 Kilometer weit. Oder: Mit der Energiemenge, die zur Herstellung von sechs bis sieben Liter E-Diesel notwendig sind, um einen Porsche rund 100 Kilometer zu fahren, kommt ein kleineres Elektroauto 1.000 Kilometer weit. Und mit der für 2027 geplanten Menge E-Fuel aus Haru Oni könnte gerade mal ein Prozent des Spritbedarfs in Deutschland gedeckt werden. Fichtners Fazit: Mit E-Fuels Klimaziele erreichen zu wollen, ist bis auf Weiteres illusorisch.

Porsche-Eigentümer verspottete E-Fuels kürzlich noch

Wie der Grüne Hermann setzt auch Porsche-Fahrer und FDP-Chef Christian Lindner auf synthetische Kraftstoffe. Aber aus anderen Motiven: Der Bundesfinanzminister will mit E-Fuels das Verkaufsverbot für Verbrenner-Pkws in der EU ab 2035 aushebeln – was im vergangenen Sommer ausgerechnet beim Porsche-Eigentümer Volkswagen noch auf Spott und Ablehnung stieß. Die Effizienz von E-Fuels sei "extrem schlecht", gab der damalige VW-Chef Herbert Diess in der "Süddeutschen Zeitung" zu Protokoll. Für die Herstellung brauche es viel Strom, was den Kunstsprit verteuere, so Diess. Experten schätzen den Literpreis auf zwei bis vier Euro. "Um ein paar Prozent lässt sich der Prozess vielleicht optimieren, aber die Größenordnungen bleiben: Wenn in 2030 einer für zehn Euro Strom tankt, um 500 Kilometer weit zu kommen, wird der E-Fuel-Fahrer 60 Euro ausgeben müssen."

Im September wurde Diess überraschend gefeuert, und Porsche-Chef Oliver Blume übernahm in Personalunion in Wolfsburg. Blume hatte zuvor Schlagzeilen mit "Porsche Gate" gemacht: Er soll bei einer Betriebsversammlung am 29. Juni vor Mitarbeiter:innen gesagt haben, Porsche habe einen "sehr großen Anteil" daran gehabt, dass eine weitere Nutzung von synthetisch hergestellten E-Fuels für Verbrennungsmotoren "in den Koalitionsvertrag miteingeflossen" sei. "Da sind wir Haupttreiber gewesen, mit ganz engem Kontakt an die Koalitionsparteien. Der Christian Lindner hat mich in den letzten Tagen fast stündlich auf dem Laufenden gehalten", wurde Blume von Medien zitiert (später entschuldigte sich ein Porsche-Sprecher im Namen des Chefs für eine überspitzte Formulierung, eine Einflussnahme soll es nicht gegeben haben).

Unter Blume stieg Porsche in die E-Fuels-Produktion in Chile ein. Zwar wird Haru Oni zunächst nur 130.000 Liter pro Jahr liefern. Und diesen knappen Grünsprit will der Sportwagenbauer anfangs in "Leuchtturmprojekten" verbrauchen, etwa für den Rennsport beim Porsche Mobil 1 Supercup. In zwei Jahren soll der Ertrag dann auf rund 55 Millionen Liter steigen. Ab 2027 sollen es 550 Millionen Liter sein. Dann wird Porsche den E-Fuel wohl auch seinen 911er-Kunden anbieten. Der Antrieb des Klassikers lasse sich nicht auf Elektromotor umstellen, argumentiert der Hersteller.

Derweil importiert Chile massenweise fossiles Benzin

Weil die patagonische Öko-Tankstelle für Porsche-Fahrer wie Lindner unerreichbar ist, wird der E-Fuels-Grundstoff Methanol vom Hafen Punta Arenas rund 14.000 Kilometer quer über den Atlantik nach Europa geschippert. In der Karlsruher Miro-Raffinerie wird er zu Benzin verarbeitet – allerdings weitgehend unter Einsatz fossil erzeugter Energie.

Die große Entfernung zwischen Erzeugung und Verbrauch verhagelt die Klimabilanz zusätzlich, sagt der E-Auto-Experte Sepp Reitberger: "Die zwei Tankschiffe, die die Jahresproduktion von 550 Millionen Litern nach Europa transportieren, könnten auf ihrem Weg etwa 40 Tankern begegnen, die Erdöl nach Chile bringen." Derzeit importiere Chile Erdölprodukte in einer Menge, die rund zehn Milliarden Litern Benzin entspricht. "Es wäre also einfacher, effizienter und umweltfreundlicher, den erzeugten E-Treibstoff aus Haru Oni subventioniert in den chilenischen Markt zu geben – und Porsches in Deutschland weiter mit raffinierten Erdöl aus der Golfregion zu betreiben", sagt Reitberger. Dem Klima sei es schließlich egal, wo das CO2 emittiert wird.

Trotz dieser irren Bilanz: Für seine E-Fuels-Pläne hat Porsche bislang über 100 Millionen US-Dollar investiert. So kaufte sich der Konzern im vergangenen April mit 75 Millionen Dollar zu 11,5 Prozent bei der HIF Global ein, die Haru Oni betreibt. Das Unternehmen, an dem Ölmultis und Investmentfonds beteiligt sind, will weitere E-Fuels-Anlagen in Chile, USA und Australien bauen. Im US-Bundesstaat Texas soll ab 2027 eine Fabrik jährlich 750 Millionen Liter produzieren.

Über HIF Global könnte Porsche zum Großplayer auf dem E-Fuels-Markt werden. Entwicklungschef Steiner sitzt bereits im HIF-Vorstand. Die europäische Dependance in Berlin wird von bestens vernetzten Branchenkennern geführt. Armin Schnettler, einstiger Siemens-Manager und Professor an der RWTH Aachen, fungiert als Präsident. Als CEO wurde Thorsten Herdan verpflichtet, der bis Anfang 2022 die Abteilung II "Energiepolitik – Wärme und Effizienz" im Bundeswirtschaftsministerium führte. Zuvor arbeitete Herdan für den Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA) mit Schwerpunkt Verbrenner-Motoren.

Von der Regierung in die Lobby

Seit Kurzem hat HIF Global zudem politische Drähte in die Porsche-Stadt Stuttgart: Im Oktober heuerte Uwe Lahl als Berater an, der langjährige Amtschef von Landesverkehrsminister Hermann. "Versilbert er damit seine politischen Kontakte?", fragte die "Stuttgarter Zeitung" den Minister. Der wiegelte ab: "Uwe Lahl ist 71 und genießt sein Leben als mehrfacher Großvater. Ihm geht es nicht um Geld, und es ist sicher kein hochbezahlter Beraterjob. Er will etwas für den Klimaschutz tun, daran ist nichts Verwerfliches." Zwischen Lahls Tätigkeit für das Verkehrsministerium und seinem Job bei HIF lägen etwa 15,5 Monate, ergänzt Hermanns Sprecherin.

Unter Leitung des Grünen hat das Verkehrsministerium seine E-Fuels-Aktivitäten ausgebaut, auch zum Nutzen fossiler Konzerne. Anfang 2019 starte am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) das Landesprojekt "rE-Fuels – Kraftstoffe neu denken", in dem zusammen mit der Auto- und Mineralölindustrie deren Herstellung und Anwendungen untersucht werden. Das Projekt ist am KIT-Institut für Kolbenmaschinen (IFKM) angesiedelt, das von Thomas Koch geleitet wird. "Kolben-Koch", wie der Professor von Kritikern genannt wird, kam 2013 von der Daimler AG, wo er die Entwicklung von Diesel-Motoren leitete. Dort erwarb er sich den Ruf des Verbrenner-Papstes, der heute verbissen gegen das Aus der Verbrennertechnologie im Verkehr kämpft. In Interviews verteufelt Koch gern batteriegetriebene Elektroautos – mit hanebüchenen Falschaussagen, wie seine Kritiker ihm vorwerfen. Unter anderem gehört Koch zu den Unterzeichnern des berüchtigten Positionspapiers von Lungenarzt Dieter Köhler, der die Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxid auf Basis einer stümperhaften Milchmädchenrechnung kritisierte.

Hermanns Beamte errechnen derweil, wie hoch der CO2-Preis für den Chile-Trip ihres Chefs ist. Seine Sprecherin versichert gegenüber Kontext: "Der Ausstoß wird kompensiert werden."


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20 Kommentare verfügbar

  • Michael Just
    am 14.01.2023
    Antworten
    Typisches framing für dumme, der Artikel ist stellenweise sogar korrekt und beinhaltet viele Informationen. Es wird jedoch deutlich, wir sehr sich der Autor bemüht seine völlig unlogischen und kritischen Botschaften einzuflechten. Was soll diese Beeinflussung der Leser? Worin liegt das Ziel? Hermann…
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