Neulich bat ich einen Saxofonlehrer der Hochschule, mir "ein paar Bläser" als Schrittmacher für einen Demozug zu besorgen. Mir schwebe etwas Motivierend-Lebensbejahendes vor, sagte ich, etwas Lustiges wie bei einer Beerdigung in New Orleans. Und eine Brassband stehe auch für Klassenkampf: Den Mächtigen den Marsch blasen. Ohne Musik kannst du keinen Krieg gewinnen; deine Nummer muss ja nicht immer gleich so groß sein wie die Marseillaise.
Der Zufall wollte es, dass ich am selben Tag auf eine Zeitungsmeldung aus Weil am Rhein stieß, die mein Verhältnis zur Blasmusik fundamental in Frage stellt.
Ich war noch nie in Weil am Rhein. Die Stadt liegt am Rande Baden-Württembergs, im Dreiländereck. 30.000 Einwohner, überwiegend protestantisch. Bei der jüngsten Kommunalwahl 26 Prozent Unabhängige Freie Wähler (UFW), rund 25 Prozent Grüne, 19 Prozent CDU, 17 Prozent SPD, zwölf Prozent FDP. Anscheinend eine Ortschaft mit halbwegs demokratischer Kultur, in der eine "Bläserstraße" auf eine intime Beziehung zur Musik hindeutet.
Misstöne im Gemeindeleben verbreitet in diesem Oktober allerdings eine kulturpolitische Affäre. Wie die "Weiler Zeitung" berichtet, gibt es Streit um den Namen des wichtigsten lokalen Ereignisses: des Internationalen Blasmusikfestivals. Der Kulturamtsleiter Peter Spörrer wolle, berichtet das Blatt, "eine mögliche Umbenennung" des Blas-Events "prüfen". Seine Begründung müsste eigentlich nicht mich, sondern die Landesregierung irritieren. Der Name "Bläserfestival", sagt der Kulturchef, sei wegen seines Umlauts "international nicht verständlich". (So wenig wie Kretschmann, wenn er spricht.) Beim Bläserfestival geht es um das Ä, ausgerechnet den Buchstaben, den die Reklamefritzen des Landes inzwischen überall ins Bewusstsein blasen wollen, wo er nichts zu suchen hat. An die kindische "The Länd"-Kampagne, die internationale (!) Fachkräfte locken soll, hat man sich fast schon gewöhnt. Dennoch spucke ich auf die Straße, wenn ich an diesem Werbetransparent für die Stuttgarter Staatsgalerie vorbeikomme: "The Gällery". Kommt mir die Gälle hoch. Ä wie Fäkalien.
Das hier ist doch keine Schmuddelkolumne!
Aber nicht nur der verdammte Umlaut stört den Kulturchef. Der Begriff "Bläserfestival", sagt er, sei "sexuell konnotiert". Seine Argumentation, das Bläserfestival habe eine schlüpfrige Nebenbedeutung, ging einem UFW-Gemeinderat wenn schon nicht auf den Sack, so doch "auf den Zeiger".
Und jetzt bitte: ganz ruhig, Ball flach. Zwar ist die Schlüpfrigkeit, hat uns der große Wolfgang Neuss gelehrt, ein legitimer Teil des Kabaretts. Aber ich bin kein Kabarettist, nur ein Kolumnist, weshalb ich die Bläser-Konnotation seriös zu behandeln habe. Bar jeder Blasphemie und Anspielungen auf Praktiken von Kirchendienern.
Wer sich an "Bläserfestival" stört, denkt zweifellos an ein Fellatio-Festival, was wegen seiner Alliteration einen besseren Sprachsound hat. Eine Fellatio, die auch als Blow Job bekannte Oraltechnik beim Sex, wurde gerade erst heftig diskutiert: In "Blond", dem Netflix-Film nach Joyce Carol Oates’ Roman über Marilyn Monroe, ist die Schauspielerin in einer Szene bei einem Blow Job zugunsten von John F. Kennedy zu sehen. Wie sehr sie sich dabei vom Präsidenten benutzt und erniedrigt fühlt, erfahren wir aus ihren Gedanken, die während des Akts wie O-Töne eingeblendet werden.
Das – nicht gegenderte – "Bläserfestival" in Weil am Rhein wiederum weist indes nur auf aktive Männer unter sich hin. Ist nämlich jemand einer Frau beim Oralverkehr behilflich, spricht die Wissenschaft vom Cunnilingus, der physiologisch etwas von der Bläsertechnik abweicht.
Überhaupt ist Blasen im Fall von Sex rein handwerklich gesehen keine präzise Beschreibung. Ein jüngerer Kontext-Kollege teilte mir schriftlich mit, dass einst die Sexualberatungs-Instanz Dr. Sommer in der Jugendzeitschrift "Bravo" immer wieder von Mädchen gefragt worden sei, ob man beim Blow Job wahrhaftig in einen Penis hineinpusten müsse.
3 Kommentare verfügbar
BlasPhemiker
am 20.12.2022Gleich die Keule raus und drauf. "Ganz ruhig , Ball flach ". Entspannten Gruß