Während ich diese Zeilen tippe, trinke ich eine Tasse Kardamom-Tee (mit Bio-Honig), und das erzähle ich, weil es kein Schwein interessiert. Die Ich-Form unzähliger Kolumnen ist in jüngster Zeit in Verruf geraten, ihre Inflation und Belanglosigkeit werden kritisiert, und so bekomme auch ICH Erste-Person-Singular-Hemmungen. Als ich vor 25 Jahren erste Kolumnen geschrieben habe, wählte ich noch das in Zeitungen oftmals übliche "Wir". Das "Ich" hielt ich für angeberisch. In der Kolumne eines einsamen Spaziergängers allerdings klingt das "Wir", Pluralis Majestatis, besonders blöd: "WIR gingen die Rommelstraße entlang." Als hätte mich ein Hund begleitet, womöglich nicht mal in der ehrbaren Absicht, Erwins Ehrenstrecke vollzukacken, weil die immer noch so heißt.
Das Ich verleitet dazu, des Lesens mächtigen Menschen das schreckliche Zahnweh des Autors, seine Vorliebe für Synchronschwimmen oder sein Bedürfnis nach Kardamom-Tee mit Bio-Honig mitzuteilen. Warnung: Kardamom-Tee mit Bio-Honig während des Tippens auf einer Laptop-Tastatur garantiert keine vernünftigen Texte.
Der Schriftsteller Robert Bloch, der Hitchcock einst die Romanvorlage für seinen Film "Psycho" lieferte, lässt in seinem Thriller "Nacht im Kopf" einen Irrenhaus-Insassen sagen: "Ich hätte das Zeug zum Dichter gehabt." Aber das wäre "eine Verschwendung seines Talents gewesen", denn Schriftsteller "sind kurzlebig – wie das Papier, auf dem ihre Worte stehen, und wie das Erinnerungsvermögen ihrer Leser. Papier ist spröde und zerfällt rasch zu Staub, und die Erinnerungen werden von Würmern gefressen". Im Fall von Online-Produkten mag das heute ein wenig anders ein, aber der Wurm, der alles frisst, heißt immer noch Zeit.
Rein zeitlich war es Zufall, dass ich über das Nürnberger Reichsparteitagsgelände stiefelte, als es Zeit war, mir Gedanken über "Orte der Begegnung" zu machen. Dafür eignet sich keine Kulisse besser als die Massenaufmarschrelikte des Nazi-Größenwahns. Heute spielen dort Rockbands und dass es auch in diesen Kreisen historisches Bewusstsein gibt, sagt uns Keith Richards. Dem "Spiegel" erzählte er mal von den malträtierten Fingern eines Gitarristen: "Zuletzt habe ich mir in Nürnberg was gebrochen. Gilt das als Kriegsverletzung?"
Kultur ohne Publikum nützt nur den Rechten
Der Krieg in der Ukraine, Corona und die explodierenden Lebenshaltungskosten haben das Publikumsverhalten in der sogenannten Kulturszene bedrohlich verändert. Immer öfter bleiben Besucher:innen Veranstaltungen fern. Das Phänomen wurde noch nicht erforscht, sicher ist nur, dass sich als Publikumsmagnet heute das heimische Sofa erweist.
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