Heinz Dürr wurde womöglich immer missverstanden. Er wollte, auch wenn er in den 1990ern mehrere Jahre Chef der Deutschen Bahn AG war, gar nie den Eindruck erwecken, dass ihm der Bahnverkehr besonders am Herzen liege, geschweige denn, dass er viel davon verstehe. In einem Filmausschnitt von 1998 klagt er über die "unendlichen Gleisanlagen" und "ungeheuer vielen Weichen" im Vorfeld des Stuttgarter Hauptbahnhofs, die man "in einer modernen Eisenbahn" gar nicht brauche. Und betont, es gehe darum, "eine politische Dimension" in das Projekt Stuttgart 21 zu bringen: Wenn eine Stadt in ihrem Zentrum auf einmal so viel Platz bekomme, dann sei das "eine ungeheure Chance". 24 Jahre später zu den zurückliegenden Konflikten um Stuttgart 21 befragt, sagt er freimütig: "Das Problem ist, dass das plötzlich ein Bahnhof geworden ist. Mir ging es aber nur darum: Wenn der Sackbahnhof wegkommt, dass dann Stuttgart 120 Hektar Land kriegt im Zentrum. Und das haben die nicht verstanden, da ging es nur noch um den Bahnhof."
Alles nur ein Immobilienprojekt, dieses schon ewige Argument der S-21-Kritiker so explizit von einem Miterfinder des Projekts zu hören, ist natürlich apart.
"Da war ich schon überrascht, wie deutlich er da war", sagt Klaus Gietinger, der Dürr für seinen neuen Dokumentarfilm "Das Trojanische Pferd" interviewt hat. Darin geht es um die Entstehung und Entwicklung von Stuttgart 21 seit Präsentation der Idee 1994. Ein Film über fortgesetzte Täuschungen, Manipulationen, haarsträubende Mängel und die fatale Tendenz, Fehlplanungen mit neuen planerischen Irrwegen zu begegnen – wenig geeignet, Begeisterung für das Projekt zu entfachen.
"Ich bin schon lange Bahnfan"
Bekannt wurde der 1955 in Leutkirch im Allgäu geborene und heute in Saarbrücken lebende Gietinger als Regisseur des Kultfilms "Daheim sterben die Leut" (1985), führte später auch Regie bei ARD-"Tatort"-Folgen oder bei der Kindersendung "Löwenzahn", erwarb sich aber auch Meriten als Historiker sowie Autor historischer Dokumentarspiele und -filme wie der zehnteiligen Reihe "Vom Reich zur Republik" des Bayrischen Rundfunks oder dem "Wie starb Benno Ohnesorg?", 2018 für den Grimme-Preis nominiert. Er verfasste Sachbücher etwa über die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts, über den Kapp-Putsch 1920 und legte zuletzt 2022 zusammen mit Norbert Kozicki ein Lexikon "Freikorps und Faschismus" vor.
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Baza
am 17.11.2022