Aber auch fachlich seien beide Vorschläge ungeeignet, so Lieb. Die Strecke nach Tübingen müsste umfangreich ausgebaut werden, weswegen es mindestens zehn Jahre dauern würde, "bis die Strecke genutzt werden könnte. Böblingen, aber auch Freudenstadt wären abgehängt". Diese Nachteile seien überdies schon beim Filderdialog 2012 identifiziert worden und würden weiterhin gelten. Auch die Strecke über Renningen sei vor Jahren schon untersucht und verworfen worden. Ihre Nachteile: Die Gäubahnzüge müssten in Feuerbach enden, "eine Fahrt zum Hauptbahnhof wäre aus Kapazitätsgründen auf der Fernbahnstrecke von Zuffenhausen zum Hauptbahnhof nur nachts möglich". Und außerdem müsste auf der Linie S6/60 wegen der zusätzlichen Gäubahnzüge der S-Bahn-Fahrplan ausgedünnt werden, so Lieb. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass nicht zuletzt wegen des Mischverkehrs aus S- und Fernbahnen die für S 21 ursprünglich geplante Gäubahnführung zum Flughafen bislang nicht planfestgestellt werden konnte.
Gäubahn-Anrainer vs. Neckartalbahn-Anrainer
Auch die Anrainer-Kommunen der Gäubahn lehnen die Vorschläge bislang kategorisch ab – während wiederum die Anrainer der Oberen Neckartalbahn die Variante via Tübingen begrüßen. In einem offenen Brief an Landesverkehrsminister Hermann äußerten vergangene Woche die Landräte der Region Neckar-Alb und die Oberbürgermeister von Reutlingen, Rottenburg und Tübingen – letzterer ist der Grüne Boris Palmer, früher als so scharfer wie kundiger S-21-Kritiker bekannt – Unterstützung für den Vorschlag Theurers. Die Strecke Horb–Tübingen werde für die Regionalstadtbahn sowieso elektrifiziert, so die Argumentation, und wenn die DB die Strecke noch zusätzlich ausbaue, könne sie für den Fernverkehr genutzt werden. Die Freunde der Tübinger Variante versprechen sich davon einen zusätzlichen Schub für Ausbauplanungen der Neckartalbahn, und vielleicht gehe auch die Elektrifizierung schneller vonstatten.
Ob und wie sich der Lenkungskreis der S-21-Projektpartner, der am 18. Juli tagt, auch mit der Frage von Gäubahn-Kappung und den Alternativrouten befassen wird, ist offen. Der Stuttgarter Gemeinderat hat OB Nopper jedenfalls den Auftrag gegeben, sich im Lenkungskreis gegen eine Stilllegung der Panoramastrecke starkzumachen. Vordringlich soll es in der Sondersitzung aber um den 11,5 Kilometer langen Pfaffensteigtunnel gehen, durch den die Gäubahn irgendwann einmal zum Flughafen geführt werden soll, anstelle der bislang wegen miserabler Planung nicht genehmigungsfähigen Strecke (Planfeststellungsabschnitt 1.3b). So soll der Finanzierungsvertrag zu S 21 geändert werden, um die bislang für die alte 1.3b-Planung vorgesehenen 270 Millionen Euro auf den neuen Tunnel umzuschichten.
Konfliktstoff wird nicht ausgehen
Fertig finanziert ist er damit freilich nicht. Befürworter gehen von einer Milliarde Euro Gesamtkosten aus, Kritiker von fast der dreifachen Summe. Für dieses Geld müsste der Bund einspringen, was eine Aufnahme des Tunnels in den Bundesverkehrswegeplan erfordert. Was wiederum erfordert, dass das Projekt wirtschaftlich sein muss. Und eine günstige Kosten-Nutzen-Rechnung hatte Theurers Vorgänger Steffen Bilger (CDU) 2021 nur mit einigen Tricks zustande gebracht: indem er den Tunnel in ein größeres Gäubahn-Maßnahmen-Paket packte, das auch Fahrzeitersparnisse durch den Wegfall wichtiger Halte wie Singen und Böblingen beinhaltet (Kontext berichtete). Das wiederum schmeckt den Gäubahn-Anrainern überhaupt nicht. Der Konfliktstoff wird also vorerst nicht ausgehen.
Wie man es dreht und wendet: Die einfachste, billigste und verkehrlich sinnvollste Variante ist und bleibt der dauerhafte Erhalt der Panoramastrecke. Landesverkehrsminister Winfried Hermann hat dazu seit Jahren eine klare Haltung: "Angesichts der Klimaveränderung und der nötigen Verkehrswende wirkt es aus der Zeit gefallen, eine innerstädtische Schienenstrecke mit hohem Fahrgastpotenzial stillzulegen", sagte er vergangene Woche. Am heutigen Mittwoch will er eine neue Studie seines Ministeriums zur Panoramabahn vorstellen.
7 Kommentare verfügbar
Stefan Weidle
am 16.07.2022Der gemeine Konservative, der in meinen hiesigen Kulturkreis die mit großem Abstand am Häufigsten…