Auf die Deutsche Bahn ist in schweren Zeiten Verlass. Jedenfalls wird auch diesmal dem notorischen Hang gefrönt, schönzufärben, gesundzubeten und zu den Hintergründen zu schweigen. Nach offizieller Darstellung war für den Totalausfall am Samstag "ein Kurzschluss in einer Oberleitung" verantwortlich, "infolgedessen zahlreiche Anlagenteile der Leit- und Sicherungstechnik, wie beispielsweise Signale, Weichenantriebe und Stellwerkstechnik, beschädigt wurden".
In einschlägigen Foren werden, dokumentiert mit Bildern, dagegen deutlich schwerer wiegende Gründe diskutiert. Im Bereich des Ufa-Palasts in der Rosensteinstraße ist ein Fahrdraht mit 15.000 Volt gerissen, ohne Zug in der Nähe, vermutlich aber – über einen nahen Masten – unter Beschädigung des Niederspannungsnetzes. Jedenfalls sollen die 15.000 Volt auf diese Weise ins Stuttgarter Stellwerk gelangt sein und Teile der mehr als 500 Relais zerstört haben. Bezugnehmend auf DB-Mitarbeiter und einen Ingenieur von SEL-Alcatel gehen Mutmaßungen munter weiter, denn das Stellwerk hat 45 Jahre auf dem Buckel. Ersatzteile sind als Vorrat nicht vorhanden – warum auch, der Tiefbahnhof ist ja in der grauesten aller grauen Theorien seit 2005 in Betrieb. "Und jetzt sucht man wohl fieberhaft in den Kellern und Abstellräumen der über hundert baugleichen Stellwerke der Republik, die es noch gibt", schreibt ein Kenner, "nach Holzkisten mit diesen Teilen."
Verkehrsminister Hermann zweifelt an all den Zufällen
So weit, so schlecht. Selbst wenn doch schneller repariert werden kann, offiziell dauern "die Einschränkungen" bis 14. Juli. Zudem sind Schwachstellen freigelegt, die nach Einschätzung von Verkehrsminister Winfried Hermann aufgeklärt werden müssen. "Das Chaos war gigantisch", sagt der Grüne, "denn der gesamte Bahnkoten war außer Betrieb." Die Erklärungen findet er selbst am dritten Tag danach dürftig. Er hat Zweifel "an der Kette von unwahrscheinlichen Zufällen". Das wiederum kommt den Stuttgarter-21-Gegner:innen gerade recht. "Das Mindeste wäre", sagt Werner Sauerborn, "alle an einen Tisch zu holen und zu verlangen, dass alle Fakten auf den Tisch kommen." Der ganze Hergang sei viel zu gefährlich, um einfach zur Tagesordnung überzugehen.
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Bernd Letta
am 16.07.2022