"Ich habe mir Abellio vor fünf Jahren als Arbeitgeber ausgesucht“, sagt Jürgen Lapp. Bei Bahn-Mitarbeitenden habe das Unternehmen einen guten Ruf. Lapp ist Vorsitzender des Konzernbetriebsrats und der hat Ende August einen offenen Brief an die Landesregierungen der Bundesländer und an die Verkehrsverbünde geschrieben, für die das Unternehmen Eisenbahnlinien betreibt. Denn Abellio Deutschland ist in Schieflage geraten und hat sich seit 30. Juni in ein dreimonatiges Schutzschirmverfahren unter Aufsicht eines Sachwalters begeben. Das bedeutet, bis Ende September muss geklärt sein, wie es weiter geht. Weil die Beschäftigten keine Forschritte im Schutzschirmverfahren sehen, fordern sie nun Landes- und Bundesregierungen auf, eine Lösung für die finanziellen Schwierigkeiten zu finden.
Als Tochter der Nederlandse Spoorwegen ist Abellio für die Auslandsgeschäfte des niederländischen Staatsunternehmens zuständig. Seit 2005 in Nordrhein-Westfalen tätig, kam nach Niedersachsen und Mitteldeutschland zuletzt Baden-Württemberg hinzu, wo das Unternehmen seit zwei Jahren die Linien von Stuttgart nach Tübingen, Karlsruhe, Bruchsal, Heidelberg, Mannheim und Osterburken bedient. Es war ein Paukenschlag, als die Niederländer und das englische Unternehmen Go Ahead 2015 der Deutschen Bahn im europaweiten Wettbewerb um die Stuttgarter Linien zwei der drei Lose abluchsten.
Als allerdings Abellio und Go Ahead 2019 den Betrieb aufnahmen, häuften sich die Probleme. Zugausfälle, Verspätungen, Defekte – und das bei ganz neuen Zügen. Landesverkehrsminister Winfried Hermann hat im Kontext-Gespräch dem Eindruck widersprochen, dies läge an der Unfähigkeit der neuen Betreiber. Die Hersteller der Züge liefern nicht rechtzeitig und in schlechter Qualität, oder sie bevorzugen die Deutsche Bahn als Großkunden.
Deshalb hat das Land eigene Züge angeschafft, welche die Eisenbahnunternehmen über die Landesanstalt Schienenfahrzeuge Baden-Württemberg (SFBW) leasen können. Ebenso ist das Land dabei, einen Personalpool aufzubauen, um den Verkehrsunternehmen bei Bedarf mit Ersatzpersonal unter die Arme greifen zu können. Fünfzehn Geflüchtete haben im vergangenen Dezember bereits ihre Lokführer-Prüfung bestanden.
Besser, aber nicht gut
Insgesamt hat sich die Situation seit der Anfangszeit deutlich verbessert. Züge fallen seltener aus und sind zum Teil pünktlicher als früher bei der Deutschen Bahn. Dennoch hören bei Abellio, insbesondere auf der viel befahrenen Strecke Stuttgart-Tübingen, die Probleme nicht auf. Zwar verkehren mehr Züge. Der schnelle Interregio-Express fährt nun stündlich. Aber die Pünktlichkeit lässt weiterhin zu wünschen übrig. Ein Hauptgrund dafür ist die Dauerbaustelle zwischen Nürtingen und Metzingen.
Immer wieder hat Abellio auch von Unternehmen wie TRI (Train Rental) aus Eckental bei Nürnberg oder GfF (Gesellschaft für Fahrzeugtechnik) aus Crailsheim Züge mieten müssen. Erst im Juni hat Bombardier wieder einmal fünf Züge nicht geliefert. TRI und GfF sind Unternehmen, die sich eigentlich gegründet haben, um historische Eisenbahnwagen zu restaurieren. Aufgrund der Engpässe bei der Lieferung der Neufahrzeuge kommen sie jetzt aber unverhofft noch einmal zu neuen Ehren.
Abellio hat zwei Gründe für das Schutzschirmverfahren angegeben: Personalkosten und Folgekosten bei Ausfällen und Verspätungen. Beides sei bei Abgabe des Angebots – in Baden-Württemberg 2015 – so nicht vorhersehbar gewesen. Mitarbeiter zu finden, ist schwierig. Jahrzehntelang wurde nur reduziert und gespart. Wenn gleichzeitig das Angebot wachsen soll – und das ist in Baden-Württemberg vorgesehen – heißt das: Es muss mehr Personal ausgebildet werden. Und auch wenn das Land nun selbst Lokführer anlernt, bedeutet das für Abellio keine Entlastung, da der Pool für das Land kostenneutral sein soll, also letztlich auch in diesem Fall die Verkehrsunternehmen die Ausgaben schultern müssen.
Wo der Arbeitsmarkt leer gefegt ist, befinden sich die Arbeitnehmer in einer komfortablen Position. Das gehört auch zum Hintergrund des aktuellen Lokführerstreiks, an dem sich die Mitarbeiter von Abellio allerdings nicht beteiligen. Die Gehälter steigen. Ein Lokführer hat vor zehn Jahren ein Anfangsgehalt um die 1800 Euro bekommen, rechnet Lapp vor. Heute sind es eher 3000 – brutto, versteht sich, netto bleiben um die 2000. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist das noch nicht die Oberliga.
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zara
am 08.09.2021