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"Wir pampern die Konzerne nicht"

"Wir pampern die Konzerne nicht"
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Schlimmer geht's nimmer mit der Bahn. Dachte man. Bis die Privatbahnen Go-Ahead und Abellio kamen und das Chaos vergrößerten. Landesverkehrsminister Winfried Hermann wehrt sich gegen den Vorwurf, ihnen auch noch die Lokführer zu spendieren.

Herr Hermann, jede Menge Zugausfälle und Verspätungen auf den Strecken in Baden-Württemberg, auf denen seit kurzem Go-Ahead und Abellio fahren. Das kann Ihnen nicht gefallen.

Zufrieden sind wir natürlich nicht. Aber man sollte sich kurz ins Gedächtnis rufen, was für ein Chaos wir in den drei Jahren zuvor hatten, als die DB Regio zuständig war. Wir haben uns genauso bei DB Regio regelmäßig beschwert und mit ihnen erarbeitet, wie man die Mängel abstellen kann, wie wir das jetzt auch mit Go-Ahead und Abellio machen.

Das hat bisher wenig geholfen.

Die großen Probleme, die Abellio und Go-Ahead jetzt haben, haben sie nicht, weil sie nicht fähig sind, den Zugbetrieb zu managen, sondern weil die Bahnindustrie, die Firmen Bombardier und Stadler, die neuen Züge nicht rechtzeitig beziehungsweise mit erheblichen Mängeln geliefert haben. Das passiert auch regelmäßig der Deutschen Bahn. Insofern ist die These, Go-Ahead sei ein Betreiber, der es nicht kann, von Vorurteilen getrieben, aber von Fakten nicht gestützt.

2016 berichtete der "Guardian", dass sich Go-Ahead mit dem Energieversorger Centrica um den Titel des meistgehassten Unternehmens in Großbritannien streitet – wegen geringster Kundenzufriedenheit, vielen Verspätungen und Zugausfällen.

Uns war völlig klar, dass es auf jeden Fall Reibungsprobleme geben wird. Bei allen Betreiberwechseln haben wir regelmäßig abgefragt: Wie sieht es aus, habt ihr genügend Lokführer? Wie sieht es mit dem Management aus? Und ich muss sagen, da können wir uns eigentlich nicht beschweren. Go-Ahead hat sehr systematisch die Gesellschaft für Baden-Württemberg aufgebaut und den Betrieb vorbereitet.

Es bleibt das gleiche Unternehmen, das in Großbritannien als "most-hated business" gilt.

Hier arbeitet nicht Go-Ahead Großbritannien, hier wird eine völlig neue Gesellschaft aufgestellt – übrigens mit vielen Leuten, die in Deutschland im Bahn-Management oder mit Bahnbetrieb zu tun hatten –, und die sich vorgenommen hat, deutlich besser zu werden als die Deutsche Bahn.

Sie ärgern sich also nicht manchmal, dass die Nahverkehrsvergabe 2016 an diese beiden Unternehmen ging?

Nein, dafür habe ich mich viel zu sehr über die Schlechtleistung der Deutschen Bahn geärgert. Übrigens hat das nichts, wie Arno Luik in seinem Kontext-Artikel "Farce auf Schienen" behauptet, mit der Rache für Stuttgart 21 zu tun. Sondern mit den Ausschreibungs- und Vergaberegeln.

Das hat Luik auch nicht bestritten.

Bei diesem Verfahren können sich viele Firmen bewerben. Die Bewerber müssen ein paar notwendige Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen zum Beispiel vertraglich zusichern, Lokführer auszubilden, sie müssen unterschreiben, dass sie nach Tariftreuegesetz bezahlen. Die Entscheidung muss dann rechtssicher sein – denn jeder, der verliert, hat das Recht, vor die Vergabekammer zu ziehen. Und wenn diese dann sagt, das Verfahren war nicht sauber, dann muss man wieder von vorne anfangen.

Eine Vergabe an die DB wäre also anfechtbar gewesen, weil sie zwar das günstigste Angebot gemacht, aber bei ihren Unterlagen gestümpert hatte?

Die DB hat spektakulär die größten und sicherlich interessantesten Netze verloren – die sogenannten Stuttgarter Netze – weil sie einen Formfehler begangen hat. Sie musste wegen der Nichteinhaltung von Mindestkriterien vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Dabei ging es um die Kalkulation des Zuschussbedarfs im ersten Jahr nach Inbetriebnahme des Netzes sowie um weitere Kalkulationsschritte im eingereichten Angebot, für die in der Ausschreibung klare und eindeutige Vorgaben galten. Als das bemerkt wurde, stand die Frage im Raum: Was machen wir? Ich habe fünf verschiedene Kanzleien beziehungsweise juristische Expertinnen und Experten bemüht, um die Sache zu beurteilen, weil ich mir auf gar keinen Fall einen Fehler erlauben wollte. Und alle haben gesagt: Der Formfehler ist eindeutig. Vor der Vergabekammer wurde uns damit auch Recht gegeben. Lieb war mir das trotzdem nicht, weil ich wusste, dass diese Entscheidung das Deutungsmuster bedient: Jetzt rächt er sich an der Deutschen Bahn. Aber wenn ich da eingegriffen und mich für die DB entschieden hätte, hätte ich mich übel verzockt.

Wie hat sich der Bahn-Anteil am Zugverkehr im Land dadurch verändert?

Im Jahr 2018 lag der DB-Anteil am gesamten Schienenpersonennahverkehr in Baden-Württemberg bei 72 Prozent. Bis 2022 sinkt dieser Anteil auf 51 Prozent. Interessant ist, dass die DB in Stuttgart zwar verloren, aber auch gewonnen hat. Sie hat aus dem Verfahren in Stuttgart gelernt: Erstens, keine Formfehler mehr zu machen. Und zweitens, das haben mir Bahnleute selber gesagt, habe sie die Konkurrenz herausgefordert und sie sei dadurch tatsächlich besser geworden.

Wo und ab wann merken das auch die Bahnkundinnen und -kunden?

Das merkt die Bahnkundin und der Bahnkunde, wenn die DB die Qualität ihres Nahverkehrsangebotes verbessert – sei es in Form modernerer Züge, besserer Takte oder größerer Pünktlichkeit. Wir als Land haben von dem Verfahren insofern profitiert, als wir mit neuen Zügen deutlich weniger zahlen, wie wir vorher bei der DB mit altem Zugmaterial zahlen mussten. Und deshalb stimmt auch die von Arno Luik geäußerte These nicht, dass ich als Minister Steuergeld verschleudere. Wir haben sogenannte Regionalisierungsmittel optimal eingesetzt und so für "den Steuerzahler" mehr fürs Geld rausgeholt. Der Betrag pro Zugkilometer hat sich gegenüber dem großen Verkehrsvertrag von 2003 fast halbiert. So haben wir dem Land über die Vertragslaufzeiten geschätzt eine Milliarde Euro eingespart, die wir aber nicht als gespartes Geld im Säckel haben, sondern umsetzen in mehr Verkehr.

Mit seinem Vorwurf des Steuergeldverschleuderns hat sich Kollege Luik unter anderem auf den Lokführer-Pool bezogen, zu dem in Ihrer Pressemitteilung vom 8. Juli zu lesen war, dass das Land diese Standby-Lokführer finanziert und sich die Eisenbahnunternehmen an den Kosten "beteiligen". Das Wort "beteiligen" legt nahe, dass diese Unternehmen die Kosten nicht komplett tragen, und dass das Land seine Ausgaben nicht ganz refinanzieren kann durch die Leihgebühren.

Zunächst: Wie kommt man auf die Idee, einen Lokführer-Pool zu machen? Wir haben festgestellt, dass in den letzten Jahren sowohl die DB als auch die neuen Betreiber Schwierigkeiten haben, genügend gutes Personal zu bekommen. Wir haben uns dann entschieden: Wenn der Markt und der Wettbewerb dazu führen, dass die Bahn sowohl beim Personal als auch bei den Fahrzeugen so knapp kalkuliert und sie es sogar in Kauf nimmt, dafür Strafe zahlen zu müssen, dann müssen wir uns überlegen, wie wir die Schwächen dieser marktindizierten Verhaltensweise überwinden können.

Zuständig sind vertraglich gesehen die Eisenbahnunternehmen, aber faktisch werde ich als Verkehrsminister verantwortlich gemacht, und ich fühle mich auch verantwortlich. Deshalb hat mein Haus auch zusammen mit der Agentur für Arbeit ein innovatives Projekt gestartet, in dem wir Flüchtlinge zu Lokführern ausbilden. Außerdem haben wir festgestellt, dass die Betreiber keine Personalreserve haben. Die Deutsche Bahn hatte vor der Privatisierung 1994 im Land verteilt so genannte Sitzbereitschaften, Lokführer, die eingesprungen sind, wenn jemand ausgefallen ist. Das ist alles abgeschafft worden, um die Bahn effizienter und börsengerecht zu machen.

Sie greifen demnach eine alte Bundesbahn-Einrichtung auf?

Im Grunde ist es eine alte Struktur. Ein System, das perfekt funktionieren muss, braucht Redundanzen. Wenn ich die alle abschaffe, ist es nicht mehr robust. Nun gibt es viele verschiedene Netze, und für einen kleinen Betreiber ist es nicht rentabel, Lokführer zu bezahlen, die nicht fahren. Deswegen haben wir gesagt, wir brauchen eine Betreiber-übergeordnete Struktur: In vier Regionen Baden-Württembergs soll es jeweils eine Bereitschaft geben. Den Pool wird aber nicht das Land betreiben, den schreiben wir europaweit aus, hier können sich Firmen als Dienstleister bewerben. Für die Verkehrsunternehmen bedeutet es übrigens keine Ersparnis, wenn sie hier Lokführer ausleihen: Sie zahlen erheblich mehr, als wenn sie selbst Personal vorhalten. Es ist gerade nicht ein Modell, das einlädt, sich zu bedienen, sondern eines, um einen Anreiz zu schaffen, es lieber selber besser zu machen.

Es soll schmerzhaft für die Unternehmen sein?

Es ist auf jeden Fall nicht so, wie Herr Luik unterstellt, dass wir jetzt auch noch die Konzerne pampern. Und ich teile auch nicht die Vorstellung des bösen Kapitals aus Großbritannien im Vergleich zum guten Staatskonzern in Deutschland. Was ist denn der Unterschied? Beides sind Aktiengesellschaften, beide arbeiten renditeorientiert. Und ich muss schauen, dass die öffentliche Hand das Geld gut einsetzt, so dass diese Unternehmen nicht zu viel Rendite, sondern dass sie anständige Arbeit machen. Und beim Lokführer-Pool ist es so, dass er allen Unternehmen zur Verfügung stehen soll und sie anteilig die Kosten tragen.

Wie kalkulieren Sie da?

Ich weiß natürlich nicht genau im Voraus, wie intensiv der Pool genutzt wird. Aber angenommen wir haben im Jahr drei Millionen Euro Kosten für den Pool, er wird aber nur zu einer Million abgerufen – dann habe ich zwar zwei Millionen scheinbar in den Sand gesetzt, aber ich habe eigentlich das erreicht, was ich wollte: dass die Züge pünktlich fahren. Wir geben über 800 Millionen Euro im Jahr dafür aus, dass die Züge fahren. Da muss das Land auch dafür sorgen, dass Schwächen des Wettbewerbsystems kompensiert werden.

Wie hat man sich diesen Pool konkret vorzustellen?

Bei der Bahn früher sind die tatsächlich in einem Raum gesessen, haben wahrscheinlich Karten gespielt oder sich unterhalten, bis ein Anruf kam, dass einer an einen bestimmten Ort muss. Wir haben entschieden, dass die Pools dezentral aufgestellt sein müssen. Wo genau, wird noch festzulegen sein.

Stuttgart-21-Ergänzungsbahnhof: Arbeitsgruppe tagt, Minister schweigt

Für einigen Wirbel hatte gesorgt, als am 16. Juli das Landesverkehrsministerium nicht nur einen Vorstoß für einen unterirdischen Kopfbahnhof als Ergänzung zum kapazitätslimitierten Tiefbahnhof S 21 machte, sondern die Bahn auch noch Gesprächsbereitschaft signalisierte. Gesprochen wird mittlerweile schon: Am 22. Juli tagte eine Arbeitsgruppe zum ersten Mal, zu den laufenden Gesprächen will Minister Winfried Hermann aber "erstmal nichts mehr sagen". Denn man habe sich "darauf verständigt, dass man jetzt der Arbeitsgruppe die Chance gibt, in Ruhe, sachlich, fachlich zu arbeiten, und dass sie nicht gestört wird durch pausenlose Kommentare in der Öffentlichkeit." Nur so viel: Ergebnisse seien für Spätsommer bis Herbst angepeilt, ein Termin aber nicht genau festgelegt, "weil nicht absehbar ist, wieviel Zeit man etwa braucht, um einzelne Fragestellungen zum Beispiel auch durch eine Expertise oder durch ein kleines Gutachten noch einmal aufarbeiten zu lassen". Auf die Frage, ob es bei den Gesprächen auch um die strittige Kapazität des Tiefbahnhofs gehen wird, sagte Hermann immerhin: "Es werden sicherlich alle Fragen noch einmal abgeklopft, aber ich kann nicht heute schon versprechen, in welcher Tiefe dies jeweils passieren wird." (os)

Wie viele Lokführer suchen Sie eigentlich, und wann sollen die ersten einsetzbar sein?

Der erste Pool soll zum 1. Januar 2020 bereitstehen, die anderen Einheiten zum 1. Oktober 2020. Wir haben keine Zahlen festgeschrieben, der Dienstleister für den Pool muss eine bestimmte Leistung erbringen und muss dann selber kalkulieren, mit wie vielen Lokführern er das schafft. Aber es wird jetzt nicht um sehr große Mengen an Lokführern gehen, sondern eher um circa zehn Leute, die dann für eine Region einsetzbar sind.

Nun greift das Land nicht nur mit dem Lokführer-Pool, sondern auch mit seinem Fahrzeugfinanzierungskonzept den Bahnunternehmen unter die Arme – Unternehmen, die wie bei Go-Ahead und Abellio börsennotiert sind und an denen ausländische Staatsbahnen beteiligt sind.

Das ist mir wichtig zu betonen, dass wir durch die Art, wie wir den Schienenpersonennahverkehr organisieren, nicht Konzerne unterstützen. Auch nicht dadurch, dass wir die Züge günstig kaufen. Dazu: Wir haben festgestellt, dass die DB einen Wettbewerbsvorteil dadurch hat, dass sie als großes Staatsunternehmen die günstigsten Konditionen bei den Banken bekommt, und auch bei den Herstellern. Und anstatt einen nur formalen Wettbewerb zu haben, haben wir uns überlegt, wie wir günstige Wettbewerbsbedingungen schaffen können. Und sind zum Ergebnis gekommen, dass es das Intelligenteste ist, wenn das Land Eigentümer der Züge wird. Denn wenn ein Betreiber Fahrzeuge kauft und ein paar Jahre später den Auftrag verliert, was macht er dann mit den Fahrzeugen?

Wie wird dieses Fahrzeugfinanzierungskonzept umgesetzt?

Die Betreiber suchen sich Fahrzeuge aus, ordern diese, das Land wird Eigentümer, und die Betreiber bezahlen im Laufe des Vertrages genau kalkulierte Leasing-Raten, so dass das Land selber keine Kosten hat. Und wir sichern, dass nach Vertragsende die Fahrzeuge von nächsten Betreibern übernommen werden. Wir haben auf diese Art und Weise die günstigsten Konditionen bei den Banken bekommen und auch günstige Konditionen bei den Fahrzeugherstellern. Und davon profitieren alle, wir setzen das Steuergeld viel effizienter ein als davor.

Aber kann das ein langfristiges Modell für die Zukunft sein: Die Länder versuchen, die Probleme auszugleichen, die im Gefolge der Bahnprivatisierung entstanden sind, durch all die im Dienste der Profitmaximierung vorgenommenen Rationalisierungen? Ist damit nicht besonders eindrücklich das Scheitern dieses Privatisierungs- und Wettbewerbsmodells im Schienenverkehr offenbart?

Der Schienenpersonennahverkehr funktioniert dank der Zuständigkeit der Länder, dank Regionalisierungsmitteln und dank des Wettbewerbes besser als der Fern- und Güterverkehr. Der Wettbewerb hat die DB-Monopol-AG gezwungen, besser und effizienter zu werden. Nicht der Wettbewerb hat der DB geschadet, sondern der Kahlschlag für den geplanten Börsengang, schlechtes Management und Politikversagen beim Schienenverkehr über Jahrzehnte. Dass in das Schienensystem erheblich mehr investiert werden muss, damit die Bahn zukunftsfähig wird, wird zunehmend eingesehen.


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3 Kommentare verfügbar

  • A.F.
    am 24.08.2019
    Antworten
    In diesem Interview ist so ziemlich jedes Wort des Herrn Verkehrsministers erstunken und erlogen. Schade dass der Interviewer offensichtlich keinen genauen Einblick in die Materie hat. Bsp:

    "Aber man sollte sich kurz ins Gedächtnis rufen, was für ein Chaos wir in den drei Jahren zuvor hatten,…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 7 Stunden
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