Dabei gab es vor nur zwei Monaten, am 25. Juli, eine Halbjahresbilanz-Pressekonferenz, auf der derselbe Bahnchef in einer völlig anderen Tonart plauderte. Lutz führte damals aus: "Einige Erfolge konnten wir bereits verbuchen [....] Die Richtung stimmt." Berichtet wurde von neuen "Fahrgastrekorden". Und darüber, dass "wir intensiv [arbeiten], bei Großstörungen im Interesse unserer Kunden robuster und widerstandsfähiger zu werden." Störungen im Bahnbetrieb mit einem "vor uns fahrenden Zug"? Kein "Frischwasser an Bord"? Kein Problem. Lutz: "Mit der Digitalisierung gehen wir neue Wege, indem wir die Bahnstrecken durch den Einsatz von Drohnen optisch analysieren und die Bilder automatisiert auswerten." Gleichzeitig würden "Roboter künftig die Frischwasserversorgung und andere zeitaufwendige Tätigkeiten" übernehmen.
Die Bilanz damals lautete Lutz zufolge, dass "wir für das gesamte Jahr ein Ergebnis auf dem Niveau des Vorjahres erwarten". Schließlich haben 2018 die vier Hauptfeinde der Bahn, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, (noch) nicht zugeschlagen. Lutz: "Sie erinnern sich – das zweite Halbjahr 2017 war aufgrund [...] der Großstürme Xavier und Herwart besonders stark belastet."
Trotz Alarmstimmung keine Erkenntnis zu erwarten
Jetzt also ein "Brandbrief". Und die "Ausgabensperre". Es gibt sogar, so das "Handelsblatt" am 10. September 2018, als Ergebnis der "Krise" einen internen Plan zum "Verkauf oder Teilverkauf von Arriva", der "in London ansässigen Tochter" der Bahn AG, die dort "das Auslandsgeschäft im Personenverkehr bündelt". Auch gibt es, so die "Börsen-Zeitung" am 11. September, eine neue bahninterne Diskussion über den "Ausweg einer Teilprivatisierung" in Form eines "Börsengangs und/oder Einstiegs von Beteiligungsgesellschaften".
Nun spricht alles dafür, dass Lutz auf der angeführten Pressekonferenz zum Ergebnis des ersten Halbjahres 2018 die Öffentlichkeit mit einem rosa eingefärbten Zahlenwerk täuschte. Insofern könnte man sagen, es gebe zwar eine späte Erkenntnis, doch immerhin eine Erkenntnis. Entscheidend ist jedoch, dass die Ursachen für die Krise der Bahn von den Bahn-Oberen weiterhin nicht identifiziert werden. Dass stattdessen eine Konzernpolitik verfolgt wird, die die Krise des Konzerns verschärfen muss.
Dies lässt sich an den drei Beispielen Personalpolitik, Fehlinvestitionen und falsches Sparen bei der Kundschaft illustrieren.
Personalpolitik: ein falscher neuer Finanzchef
Seit einem Vierteljahrhundert wird das Bahnmanagement immer mehr durchsetzt von Spitzenmanagern, die keinerlei Kenntnisse von Eisenbahn haben, und die nicht bereit und in der Lage sind, sich leidenschaftlich für die Schiene zu engagieren. Es fehlt ihnen schlicht eine Corporate Identity - eine Identifikation mit der Eisenbahn. Mehr noch: Es standen mit Heinz Dürr (1990-1997), Hartmut Mehdorn (1999-2009) und Rüdiger Grube (2009-2017) Personen an der Bahnspitze, die eng mit der Konkurrenz, mit der Autoindustrie und mit dem Daimler-Konzern verbandelt waren. Nun kommt die Personalie Alexander Doll hinzu. Dieser soll ab Ende 2018 Finanzchef im Bahnkonzern werden und Richard Lutz in dieser Position ablösen (Lutz ist seit 2017 Finanz- und Bahnchef in einer Person).
Die DB hatte im November 2017 bekannt gegeben, dass Doll in den Vorstand der Holding einzieht und dort "die Geschäftsfelder DB Cargo und DB Schenker verantwortet". Am 10. November 2017 wies Bahnchef Lutz in einem Brief an die "lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" darauf hin, dass Doll in seiner früheren Zeit als Banker "uns als DB bei mehreren Projekten beraten" hat.
Das war verschwurbelt formuliert. Doll war im Zeitraum von 2001 bis 2009 in führenden Positionen bei der Schweizer Bank UBS tätig. In dieser Funktion fädelte er den Aufkauf des US-Logistikers Bax Global durch die Deutsche Bahn ein. Dies war der erste große Einstieg der DB AG im Ausland, der unter dem damals neuen Bahnchef Mehdorn erfolgte. Der Deal erwies sich dann als Fehlschlag: Bax wurde zerschlagen, große Teile des Logistikers wurden mit Verlust wieder verkauft. Und in den Jahren 2005 bis 2008 war Doll, erneut in seiner Funktion bei UBS, engagiert beim geplanten Börsengang der Bahn. Was sich dann ebenfalls – und glücklicherweise! – als Fehlschlag erwies.
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Ruby Tuesday
am 30.09.2018