Dieser Tiefbahnhof wird so gebaut, dass er – und seine Zulauftunnel – im Fall von längeren, massiven Regenfällen planmäßig unter Wasser gesetzt werden. Steigt das Grundwasser dann deutlich, werden die Bahnhofshalle und die Tunnel durch "Notflutöffnungen" geflutet. Damit soll das verhindert werden, was der S-21-Architekt Frei Otto befürchtete – und weswegen er seine Unterstützung für das gesamte Projekt, das von ihm maßgeblich mitentwickelt wurde, widerrief: dass der Tiefbahnhof "aufsteigt wie ein U-Boot".
Einmal unterstellt, ein solches Aufsteigen könnte durch das "planmäßige Fluten" verhindert werden, so wird damit ein Hauptbahnhof mit all seiner Elektronik und all seinen Infrastruktureinrichtungen – mit den ETCS-Signalanlagen und den Tunneln – schwer beschädigt. Dann fällt in Stuttgart und weitgehend auch in der Region der gesamte Zugverkehr für viele Wochen komplett aus. Man plant also jetzt bereits, die damit verbundenen Schäden in Höhe von Hunderten Millionen Euro in Kauf zu nehmen. Vergleichbares gibt es nirgendwo in Europa.
4. Station, Juni 2018: Brandschutzkonzept ist brandgefährlich
Am 7. Juni veröffentlicht das Magazin "Stern" ein Aufsehen erregendes – von Arno Luik geführtes – Interview mit dem Brandschutzexperten Hans-Joachim Keim, einem international renommierten Experten. Er lieferte u.a. Gutachten zur Tunnelkatastrophe von Kaprun, bei der 155 Personen ums Leben kamen.
Keim sagt in dem Interview zum vorliegenden – nicht genehmigten – Brandschutzkonzept der Deutschen Bahn: "Das ist eine Katastrophe mit Ansage. Im Unglücksfall haben Sie die Wahl: Will ich ersticken? Oder zerquetscht werden? Oder verbrennen? [...] Es ist schlicht menschenverachtend, was die da machen." Kiem wörtlich: Es handele sich bei Stuttgart 21 "um ein Staatsverbrechen".
Im Oktober wird diese Aussage dick unterstrichen. Ein ICE gerät in voller Fahrt auf der Strecke Köln – Frankfurt/Main in Brand, zwei Wagen brennen vollkommen aus. Es ist erhebliches Glück, dass alle Fahrgäste evakuiert werden können. Eine Recherche des ARD-Magazins "Report-Mainz" enthüllt: Im vergangenen Jahrzehnt gab es 39 ICE-Brände. Jeder in Stuttgart weiß: Ein Brand eines ICE im Tiefbahnhof oder in einem der 50 Kilometer langen Tunnel unter der Stadt würde mit großer Wahrscheinlichkeit eine Katastrophe darstellen.
5. Station, Juni 2018: Bahn weiß seit 18 Jahren, dass S 21 absolut unwirtschaftlich ist
Am 14. Juni 2018 findet eine neuerliche Anhörung im Deutschen Bundestag statt. Bei den Experten, die den S-21-Bahnhof befürworten (darunter Leger, Bopp, Professor Martin), gibt es niemanden, der offensiv Stuttgart 21 verteidigt. Ihre Auftritte wirken wie lästige Pflichtübungen. Spannend dagegen Thilo Sarrazin. Der Mann, heute vor allem als Rechtspopulist bekannt, war 2000/2001 Netzvorstand bei der Deutschen Bahn AG, damals von Hartmut Mehdorn in dieses Gremium berufen. Sarrazin führte im Detail aus, wie er 2000 von Mehdorn den Auftrag erhielt, alle Infrastrukturprojekte der Bahn nach Wirtschaftlichkeit aufzulisten. Sarrazin wörtlich: "Da fielen dann viele Dinge [Projekte] raus. [...] Und ganz tief unten [auf der Liste] [...] stand das Projekt Stuttgart 21." Dennoch sei er von Mehdorn angewiesen worden, eben dieses Projekt in Auftrag zu geben. Auf seine Nachfrage, warum das "völlig unrentable" Projekt Stuttgart 21 doch gebaut werden müsse, sei ihm, Sarrazin, geantwortet worden: "Dafür gewinnen wir den ganzen Nahverkehrsvertrag für Baden-Württemberg."
Ich verweile an dieser Kreuzweg-Station etwas länger, weil es hier zwei schmerzreiche Erkenntnisse für die S-21-Befürworter gibt. Erstens wird hier belegt, dass die Wiederaufnahme des Monsterprojektes Stuttgart 21 mit einem fetten Batzen Extra-Geld verbunden war. Der Nahverkehrsauftrag wurde mit einer Milliarde Euro überbezahlt, wie inzwischen das baden-württembergische Verkehrsministerium mehrfach bestätigte. Bereits dies macht die Wiederaufnahme des Projektes unrechtmäßig. Zweitens besagt die Sarrazin-Aussage: Der Vorstand der Deutschen Bahn AG wusste immer, dass Stuttgart 21 absolut unwirtschaftlich ist. Die zuvor zitierte Aussage von Lutz im Verkehrsausschuss, wonach man dieses Wissen erst heute habe, ist schlicht die Unwahrheit.
6. Station, September 2018: Deutschlandtakt wird verkündet – doch es soll ihn in Stuttgart nicht geben
Im September verkünden die Bundesregierung, die Deutsche Bahn AG und der Bundesverkehrsminister Scheuer: Demnächst – spätestens 2030 – soll es den "Deutschlandtakt" geben. Ein bundesweit geltendes System von Taktverkehren im Fernverkehr, auch integraler Taktfahrplan genannt – und die nach dem Muster der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB).
2 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 16.09.2019Die F.A.Z. exklusiv, veröffentlicht durch den früheren Volontär der StZ Manfred Schäfers (Wirtschaftskorrespondent), mit dem Artikel "Scheuer gerät wegen…