Das Verwirrspiel ist umfassend. Noch Mitte Juli 2017 – acht Wochen vor der Bundestagswahl – beschwor Ronald Pofalla im S-21-Projektmagazin "Bezug", "dass das Projekt Stuttgart 21 selbst dann im Finanzierungsrahmen von 6,526 Milliarden Euro bleibt, wenn alle bislang identifizierten Risiken eintreten würden." Drei Wochen nach der Bundestagswahl gab derselbe Pofalla dann das bereits erwähnte neue Gutachten in Auftrag – um bereits nach weiteren fünf Wochen den Medien die Zahl "7,6 Milliarden neue Gesamtkosten" zu präsentieren.
Fehlentscheidungen könnten für die Aufsichtsräte teuer werden
Offenkundig steckt in der Entscheidung des Aufsichtsrats der Bahn zu Stuttgart 21, die am 26. Januar 2018 ansteht, Sprengstoff. Am 15. November 2017 wähnte die "Süddeutsche Zeitung" S 21 "Im dunklen Tunnel" und stellte die goldrichtige Frage: "Die Bahn muss berücksichtigen, was wirtschaftlicher ist: Ausstieg oder Weiterbau?". Und am 16. November konnte man in der "SZ" sogar den folgenden Klartext lesen: "Die Aufsichtsräte müssen sich ihre Antworten [in Sachen Ja oder Nein zu den höheren S-21-Kosten, der Verf.] gut überlegen. Denn für Fehlentscheidungen können sie in Regress genommen werden."
Genau darum geht es: Wenn am 26. Januar auf der außerordentlichen Sitzung des Bahn-Aufsichtsrats ein weiteres Mal über eine drastische Steigerung der Projektkosten abgestimmt wird, können diejenigen Aufsichtsräte, die den Kostensteigerungen zustimmen, wegen des Straftatbestands der Untreue angeklagt werden.
Abwegig ist das nicht. Interessant ist in diesem Zusammenhang die im vergangenen November erfolgte Verurteilung der ehemaligen Pforzheimer Oberbürgermeisterin. Vor mehr als einem Jahrzehnt ließ Christel Augenstein die Stadt Pforzheim in sogenannte Swaps "investieren", um das Geld der Kommune zu mehren. Die Stadt verlor am Ende 57 Millionen Euro. Augenstein wurde vom Landgericht Mannheim zu einer Haftstrafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung verurteilt. Das Vergehen: "Schwere Untreue" zum Nachteil der Stadt. Das Gericht akzeptierte nicht die Argumentation des stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Wolfgang Kubicki, zugleich der Verteidiger der Ex-OB, wonach seine Mandantin "übliche Geschäfte getätigt" habe. Augenstein wiederum argumentierte, Pforzheim sei "Opfer von intransparenten Geschäften vertrauenswürdiger Banken" geworden.
Nun sind Swap-Geschäfte tatsächlich eher schwer zu durchschauen. Anders im Fall Stuttgart 21. Dass eine Halbierung der Gleiszahl einen Abbau von Kapazität darstellen könnte, ist transparent. Dass etwas nicht stimmt, wenn der Hauptbahnhof des an Einwohnern mit Stuttgart vergleichbaren Nürnberg 22 Durchfahrgleise aufweist, es im S-21-Bahnhof jedoch nur acht Durchfahrgleise geben soll, sollte ebenfalls einleuchten. Dass mit dem nahezu komplett gestrichenen Fernbahnanschluss des geplanten Flughafenbahnhofes eines der zentralen Argumente wegfällt, mit denen für das Projekt geworben wurde, dürften auch hartnäckigste S-21-Fans realisieren. Und dass eine Steigerung der Projektkosten um gut 70 Prozent über den Betrag von 4,5 Milliarden Euro, den 2011 der damalige Bahnchef Rüdiger Grube als "Sollbruchstelle" bezeichnet hatte, mit "Unwirtschaftlichkeit" gleichzusetzen ist, liegt auf der Hand. Ganz zu schweigen von der Verdopplung der Gesamtkosten, von denen der Bundesrechnungshof im Vergleich zur 2011-er "Sollbruchstelle" ausgeht. Wer jedoch für ein erkennbar unwirtschaftliches Projekt stimmt, <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik ideen-in-der-hinterhand-4778.html external-link-new-window>zu dem es Alternativen gibt, macht sich der Untreue schuldig.
Grubes vergiftetes Abschiedsgeschenk: Milliardenklage
Am 5. Dezember ruhten die S-21-Arbeiten; begangen wurde der Namenstag der Heiligen Barbara. In der Wendekaverne des Fildertunnels segnete Bischof Gebhard Fürst die Mineure und erinnerte an die Geschichte der Schutzpatronin aller Tunnelbauer. Der Legende nach sei diese Heilige im dritten Jahrhundert wegen ihrer Hinwendung zum Christentum in einen Turm eingesperrt worden. Der Bischof: "In der bedrückenden Enge des Turms hat ihr Gott den Weg durch den Fels gewiesen."
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Bruno Neidhart
am 11.01.2018