KONTEXT:Wochenzeitung
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Durch S 21 aus dem Takt

Durch S 21 aus dem Takt
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Das Bundesverkehrsministerium hat vergangene Woche ein Konzept für einen "Deutschlandtakt" vorgestellt, der die Bahn in Zukunft attraktiver und pünktlicher machen soll. Als großes Hindernis sieht Matthias Lieb, Landesvorsitzender des VCD, dabei aber den geplanten Tiefbahnhof S 21, denn der ist ein programmierter Engpass.

Die Eidgenossen waren die Pioniere: Die Idee eines systematischen Taktfahrplans im öffentlichen Verkehr auf der Schiene und per Bus, mit aufeinander abgestimmten Anschlüssen an den Knotenpunkten – auch Integraler Taktfahrplan (ITF) genannt – wurde erstmals 1982 in der Schweiz umgesetzt. Zuvor hatte die Deutsche Bundesbahn 1979 im Intercity-Netz unter dem Motto "jede Stunde jede Klasse" zwar auch einen Taktfahrplan eingerichtet, doch die Verknüpfung mit dem Nahverkehr war aufgrund der fehlenden politischen Unterstützung unzureichend.

Bei einem Stundentakt begegnen sich die Züge aus entgegengesetzten Richtungen jeweils zur vollen und halben Stunde. Wenn diese Begegnung im Bahnhof erfolgt, können auch die Anschlusszüge und -Busse darauf ausgerichtet werden und es entsteht ein Knotenpunkt mit optimalen Umsteigezeiten. Doch nicht überall liegen die Bahnhöfe im 30-Minuten-Abstand voneinander entfernt. Dann sind die Züge nicht zur gleichen Zeit im Bahnhof und die Anschlüsse dann nicht optimal. Dies sieht man heute im Stuttgarter Hauptbahnhof: Der ICE nach Mannheim fährt in Minute 51 ab, der ICE von Mannheim nach München kommt in Minute 8 an. Die Nahverkehrszüge kommen ca. in Minute 38 bis 42 an, um Anschluss an den ICE Richtung Norden zu haben. Für Fahrten mit dem ICE nach München besteht eine längere Wartezeit. Wäre die Fahrzeit Mannheim – Stuttgart statt bei 38 Minuten bei 30 Minuten, wäre auch Stuttgart ein optimaler ITF-Knoten.

Schweiz: Erst Fahrplan erstellen, dann Infrastruktur bauen

In der Schweiz wurde deshalb ab 1982 auch die Infrastrukturplanung an einem "optimalen" Fahrplan ausgerichtet. Das bedeutet, dass zuerst ein Zielfahrplan erstellt wurde, der die Fahrzeiten zwischen zwei Knoten bestimmte, um optimale Anschlüsse zu haben. Dann wurden die Ausbaumaßnahmen bestimmt, die notwendig sind, um den Fahrplan umsetzen zu können (Erhöhung der Fahrgeschwindigkeit, gegebenenfalls eine Neubaustrecke oder andere Fahrzeuge). So wurde schrittweise in den letzten Jahren das Schweizer Bahnnetz ausgebaut. Entsprechend sind die Eidgenossen Europameister beim Bahnfahren, die Einwohner legen mit Abstand am meisten Kilometer per Bahn zurück.

In Deutschland hingegen hat man sich in den letzten 30 Jahren die fahrplanorientierte Infrastrukturplanung nicht zu eigen gemacht, sondern hat vielmehr isoliert einzelne Neubaustrecken geplant und gebaut, ohne zuvor die Konsequenzen auf die Fahrpläne zu beachten. Während für einen Taktfahrplan Fahrzeiten von knapp 30 oder 60 Minuten ideal sind, wurden Neubaustrecken mit 33 (Halle – Erfurt), 38 (Mannheim – Stuttgart) oder 65 (Nürnberg – Erfurt laut Bundesverkehrswegeplan) Minuten Fahrzeit zwischen den Knoten gebaut, so dass am Ende absehbar kein optimaler Fahrplan herauskommen konnte.

Die Bahn zum Jagen tragen: die Deutschland-Takt-Initiative ab 2008 

Da trotz milliardenschwerer Investitionen in Hochgeschwindigkeitsstrecken die Fahrgastzahlen im Fernverkehr stagnierten, gründete der VCD zusammen mit weiteren Akteuren im Jahre 2008 die <link https: deutschland-takt.de _blank external-link>"Initiative Deutschland-Takt". Innerhalb von zehn Jahren ist es – nach anfänglicher Ablehnung – gelungen, Bundespolitik und Deutsche Bahn von einer Neuausrichtung der Infrastrukturplanung nach einem Zielfahrplan zu überzeugen. Der Bund beauftragte die Erstellung einer Machbarkeitsstudie.

Kürzlich wurde vom Bundesverkehrsministerium nun dieser Zielfahrplan für das Jahr 2030 vorgestellt, der vorgeben soll, wie die Infrastruktur ausgebaut werden muss, um diesen Fahrplan mit dann deutlich besseren Anschlüssen und kürzeren Reisezeiten fahren zu können.

ITF-Konzepte in Baden-Württemberg

In Baden-Württemberg wurde ein erster ITF schon 1993 mit dem Allgäu-Schwaben-Takt südlich von Ulm eingerichtet und ein Plan für das südliche Baden-Württemberg erstellt. Auch für das nördliche Baden-Württemberg wurde 1994/5 ein Konzept für einen ITF vorgelegt. Mit Investitionskosten von rund einer Milliarde D-Mark in neue ferngesteuerte Stellwerke und neue Fahrzeuge hätte dies umgesetzt werden können. Doch zeitgleich wurde auch Stuttgart 21 vorgestellt, das die Landespolitik als viel bedeutender einstufte und auf dessen Realisierung die politischen Kräfte konzentriert wurden. 

Entsprechend stehen heute noch immer auf vielen Strecken alte Signale, die mühsam per Drahtzug wie vor 100 Jahren von Hand bedient werden müssen. Modernisierungen, beispielsweise für die Neigetechnik, wurden nur abschnittsweise realisiert, ein Stundentakt zwischen Stuttgart und Würzburg, obwohl seit 1995 regelmäßig versprochen, wird jetzt erst im Dezember 2019 umgesetzt. 2007 wurde seitens des Landes auch am Allgäu-Schwaben-Takt gesägt und der Fahrplan, besonders zwischen Aulendorf, Wangen und Memmingen, ausgedünnt.

Deutschland-Takt, Klimaschutz und Stuttgart 21

Mit dem Deutschland-Takt will die Bundesregierung die Fahrgastzahlen auf der Schiene (im Fernverkehr) verdoppeln. Dies ist auch unter dem Druck der Pariser Klimaschutzziele zu sehen, die im Verkehrssektor seit Jahren verfehlt werden und nur durch eine signifikante Steigerung des Anteils des Öffentlichen Verkehrs und eine Reduktion des Autoverkehrs erreicht werden können.

Auch das Land Baden-Württemberg hat ein Klimaschutzszenario für den Verkehr in Baden-Württemberg erarbeiten lassen, das einerseits aufzeigt, dass mit einer Verdoppelung der Fahrgastzahlen nicht nur im Fern-, sondern auch im Nahverkehr bei entsprechend weniger Autoverkehr die Klimaschutzziele erreichbar sind. Andererseits zeigt es auch, auf welchen Abschnitten im Schienennetz dann die bestehende oder heute im Bau befindliche Eisenbahninfrastruktur zu gering dimensioniert ist, um diese zusätzlichen Fahrgäste aufnehmen zu können (siehe Grafik).

Diese massive Überlastung besteht insbesondere rund um Stuttgart. Nach dem Klimaschutzszenario sind sowohl die Zuläufe von Norden (Zuffenhausen) als auch der Fildertunnel und die Filderbahn völlig überlastet. 

Die Überlastung aus Richtung Norden ist dabei besonders augenfällig und auch einleuchtend. Beim Bau der Schnellfahrstrecke Mannheim – Stuttgart hatte man den Abschnitt Zuffenhausen – Stuttgart ausgespart, war doch lange nicht klar, ob die Strecke nach Ulm um Stuttgart herum (etwa über einen Fernbahnhof in Bad Cannstatt) oder durch Stuttgart hindurch geführt werden solle. Doch auch nach der Entscheidung für Stuttgart 21 im Jahr 1994 plante man keine eigenständigen Gleise für den Fernverkehr, so dass für alle ICE, TGV, IC, IRE, RE und RB aus Richtung Mannheim, Heidelberg, Paris, Karlsruhe, Pforzheim, Würzburg und Heilbronn nur ein gemeinsames Gleis zur Fahrt nach Stuttgart zur Verfügung steht.

Mit seinen geplanten acht Gleisen ist Stuttgart 21 dabei ein programmierter Engpaß: Gutachterlich wurde nachgewiesen, dass der neue Tiefbahnhof optimal für nur ein Zulaufgleis von Zuffenhausen her ausgelegt sei. Eine Ausweitung der nördlichen Zufahrt um zusätzliche Gleise würde dann auch weitere Bahnhofsgleise benötigen, die aber im Tiefbahnhof nicht realisierbar sind.

In den Verkehrsplanungen des Bundes werden die erwarteten Fahrgastzuwächse deshalb rechnerisch einfach in zusätzliche Züge während der Nacht verteilt, denn aufgrund fehlender Güterzüge bestehen nachts auf diesen Gleisen noch erhebliche Kapazitätsreserven. Das ist nichts als Schönrechnerei: In den Zeiten des Berufsverkehrs, wo es besonders dringend wäre, sind schon heute die Kapazitäten erschöpft und ist kein weiterer Ausbau vorgesehen. Dies wurde in mehreren Bundestagsanfragen der Grünen dokumentiert.

Wo der geplante Deutschland-Takt schon jetzt hakt

Der jetzige Entwurf des Deutschland-Taktes soll einerseits ein Zielfahrplan für 2030 sein, andererseits werden darin die Maßnahmen des Bundesverkehrswegeplans (BVWP) als gebaut unterstellt – für den Streckenabschnitt Karlsruhe – Basel wird aber tatsächlich erst 2042 die Fertigstellung erwartet. Insofern ist schon fraglich, ob dieser Zielzustand im Jahr 2030 wirklich gefahren werden kann.

Auffällig ist, dass auch in dem neuen Entwurf der Abschnitt Zuffenhausen – Stuttgart Hauptbahnhof nicht ausgebaut werden soll. Vielmehr wird der Fahrplan so gestaltet, wie er durch die Infrastruktur bestimmt wird. So sollen insgesamt stündlich zwölf Züge pro Richtung auf diesem Abschnitt unterwegs sein, davon 6,5 Fernzüge und 5,5 Züge des Nahverkehrs. Damit ist die Vollauslastung gemäß der Definition des BVWPs erreicht. Die Grundsätze einer fahrplanbasierten Planung sind hier nicht erkennbar.

Da der Bund den Fernverkehr vorgibt, bleiben die Resttrassen für den Regionalverkehr übrig. Und so werden zwar zwischen Pforzheim und Stuttgart zwei schnelle und zwei langsame Züge je Stunde geplant, ebenso von Tübingen nach Stuttgart. Doch von Heilbronn nach Stuttgart sollen stündlich nur ein schneller und zwei langsame Züge unterwegs sind. Damit stellt die Eisenbahn auf der Achse Heilbronn - Stuttgart weiterhin keine wirkliche Alternative zur Autobahn dar. Auch hier wäre die Anforderung, schnelle Züge im Halbstundentakt anzubieten. Während von Mannheim und Karlsruhe drei schnelle Züge vorgesehen sind, soll es von Heidelberg nur ein schneller Zug je Stunde (nicht einmal im klaren Stundentakt) sein. Denn mehr Züge passen durch den Flaschenhals Zuffenhausen nicht durch. Für zusätzliche Züge müsste die Strecke um zwei zusätzliche Gleise erweitert werden.

Der Deutschland-Takt des Bundes ist weiterhin nur auf den Fernverkehr ausgerichtet. Auch wenn dort ein 30-Minuten-Takt im Fernverkehr angeboten wird, zieht sich das nicht bis in die Fläche durch. Beispiel Brenzbahn: Heute fährt man über Ulm in 2 Stunden und 30 Minuten nach Mannheim. Im Deutschlandtakt dann immerhin in 2 Stunden und 4 Minuten – hier macht sich die Fahrzeitverkürzung durch die Neubaustrecke Stuttgart – Ulm bemerkbar. Doch obwohl auf der Brenzbahn neben der S-Bahn Donau-Iller noch zwei weitere stündliche Züge fahren, klappen die Anschlüsse nur einmal in der Stunde. Auf der Südbahn sieht es noch schlechter aus. Die ICE-Züge von Mannheim kommen in Ulm zur Minute 14 und 44 an, die schnellen Züge der Südbahn fahren um 11 und 34 ab. Die Fahrzeitverkürzung durch die Schnellfahrstrecke geht mit langen Umsteigezeiten wieder verloren.

Im Kopfbahnhof könnte ein ITF realisiert werden

Das Grundproblem ist, dass der zentrale Knoten in Württemberg, der Stuttgarter Hauptbahnhof, nicht als ITF-Knoten ausgebildet wird. Aufgrund der nur acht Bahnsteiggleise im neuen S-21-Tiefbahnhof können die Züge nur kurz halten. Damit können keine gegenseitigen Anschlüsse zwischen den Zügen hergestellt werden. So kommt der IRE von Karlsruhe zur Minute 32 in Stuttgart an, zur gleichen Zeit fährt der Zug über die Gäubahn nach Freudenstadt ab, vier Minuten früher war schon der Zug nach Tübingen abgefahren.

Würden mehr Bahnsteiggleise zur Verfügung stehen – wie heute bereits im Kopfbahnhof –, könnten solche Anschlüsse sichergestellt und insgesamt kürzere Reisezeiten und damit ein attraktiverer Öffentlicher Verkehr realisiert werden. Da Züge auf Anschlüsse warten können und nicht, wie bei Durchgangsbahnhöfen, anderen früher oder später Platz machen müssen, ist ein Kopfbahnhof in Knotenpunkten generell sogar besser für einen ITF geeignet.

Wie könnte man diese durch die aktuelle S-21-Planung bedingten Hemnisse für einen zukünftigen Deutschlandtakt beheben? Aus Sicht des VCD müsste einerseits der Engpass Zuffenhausen – Stuttgart Hauptbahnhof aufgelöst werden, indem die Strecke um zwei zusätzliche Gleise erweitert wird (bei richtiger Gestaltung ist auch eine Fahrzeitverkürzung möglich). Andererseits müssten zusätzliche Bahnsteigkanten im Stuttgarter Hauptbahnhof geschaffen werden. Am einfachsten ist dies mit einem Erhalt von Teilen des Kopfbahnhofes machbar.


Matthias Lieb, Diplom-Wirtschaftsmathematiker, ist Vorsitzender des Landesverbands Baden-Württemberg des Verkehrsclubs Deutschland (VCD).


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8 Kommentare verfügbar

  • Rudolf Renz
    am 19.10.2018
    Antworten
    Der VCD-Vorsitzende spricht das Geheimnis offen aus:

    Man vermeidet bei S21 ganz bewusst den Ausbau des längst als Nadelöhr bekannten Abschnitts Zuffenhausen-Feuerbach, um der Öffentlichkeit nicht allzu offensichtlich vor Augen zu führen, dass das zu kleine Tunnelbahnhöfle chronisch überlastet sein…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 10 Stunden
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