Mit diesen Schwierigkeiten steht Baden-Württemberg nicht alleine da. Auch andere Bundesländer haben immer wieder mit erheblichen Problemen insbesondere bei den Betriebsübernahmen zu kämpfen: Als Abellio 2018 das Dieselnetz in Sachsen-Anhalt übernahm, fielen wochenlang ganze Linien aus, weil das Unternehmen nicht genügend Triebfahrzeugführer hatte. Zudem hatte Abellio offensichtlich zu knapp kalkuliert und stellte finanzielle Nachforderungen. Da das Land diese nicht erfüllen wollte, wird der Verkehrsvertrag nun voraussichtlich vorzeitig gekündigt.
Nicht viel besser sieht es im Westen aus: Die Vergabe zweier S-Bahn-Linien im Rhein-Ruhr-Netz an Keolis wurde im September 2019 – nur zweieinhalb Monate vor Betriebsübernahme – wieder zurückgezogen, weil das Unternehmen nicht genug Personal einstellte. Hier musste die DB kurzfristig wieder einspringen. Und die Städtebahn Sachsen ging im Juli 2019 nach Streitigkeiten über die Leasingverträge für die Züge sogar in die Insolvenz, so dass mehrere Regionalbahnlinien über Wochen gar nicht mehr fuhren. Diese Liste ließe sich noch fortsetzen – mit vielen schlechten, aber auch guten Beispielen.
Mehr Wettbewerb sorgt für höhere Kosten
Warum liest man dennoch immer wieder vom Wettbewerb im Schienenpersonennahverkehr als Erfolgsmodell? Dass seit den 1990er-Jahren der Nahverkehr auf der Schiene in vielen Regionen besser geworden ist, ist vor allem auf die gute Finanzierung (über die Regionalisierungsmittel des Bundes) und bessere Linienkonzepte wie den "3-Löwen-Takt" zurückzuführen. Der Wettbewerb zwischen verschiedenen Unternehmen ist hingegen nicht zwingend eine Voraussetzung dafür – und verursacht seinerseits selbst Kosten und nicht zuletzt auch Risiken, weil sich die Länder immer für zehn bis 15 Jahre von Unternehmen abhängig machen, die mehr die eigenen Gewinne als einen guten Nahverkehr im Auge haben. Diese Analyse teilen auch Ökonomen: Wissenschaftler der Uni Weimar haben in einer Studie die Vor- und Nachteile dieses Wettbewerbs berechnet und kommen zu dem Ergebnis, dass es für das Land Thüringen von Vorteil wäre, den Nahverkehr einfach selbst zu betreiben – über eine Landesbahn.
Im Bahn-Fernverkehr gibt es anders als im Nahverkehr keine Ausschreibungen, sondern im Prinzip kann jedes Bahnunternehmen Züge fahren. Aber die Hürde der hohen Investitionen für die Züge sorgt dafür, dass außer einigen "Flixtrains" und den "NightJets" der ÖBB fast nur ICEs und ICs der DB unterwegs sind.
Dennoch gibt es einige, die sich auch im Fernverkehr mehr Wettbewerb wünschen: Die Grünen im Bundestag haben Ende des Jahres ein Positionspapier veröffentlicht, das genau dies propagiert. Sie versprechen trotz der bekannten Probleme im Nahverkehr, dass ein Wettbewerb im Fernverkehr zu besserer Qualität bei gleichzeitig niedrigeren Preisen führen werde – und bekommen dafür Beifall von der CDU. Das Gegenkonzept dazu kommt von der Linksfraktion, die stattdessen für eine integrierte öffentliche Bürgerbahn plädiert und auf die Nachteile des Wettbewerbs und der dafür notwendigen Trennung des Bahnbetriebs vom Schienennetz verweist.
Welches Konzept ist besser? Reale Beispiele
Immerhin kann man die beiden gegensätzlichen Konzepte schon heute ganz real im Betrieb sehen. Der Wettbewerb vieler Betreiberunternehmen auf einem staatlichen Schienennetz ist in Großbritannien, Tschechien und Schweden bereits weitgehend umgesetzt. Und die Erfahrungen dort sind bestenfalls durchwachsen: Die Tickets sind vergleichsweise teuer und werden zwischen den verschiedenen Bahngesellschaften nicht anerkannt. Zudem machen die vielen Parallelstrukturen das System ineffizient: Eine Studie im Auftrag des britischen Staates ergab, dass die britische Bahn um 40 Prozent ineffizienter ist als andere europäische Bahnen und die britischen Steuerzahlenden dadurch deutlich mehr Geld kostet als notwendig. Während jeder Kilometer, den ein Fahrgast mit der Bahn zurücklegt, in Großbritannien Gesamtkosten von umgerechnet 24,3 Eurocent verursacht, kostet er in der Schweiz mit umgerechnet 13,5 Eurocent nur gut halb so viel. Und der Betrieb der Strecken musste in der Corona-Pandemie wieder vom britischen Staat übernommen werden, weil sonst – unter rein wirtschaftlichen Erwägungen – kein Zug mehr gefahren wäre. Das ist in Deutschland nicht anders: Während "Flixtrain" seine Züge in der Pandemie schlichtweg eingestellt hat, fährt die DB als staatlicher Betreiber fast ohne Abstriche weiter.
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Poetzsch, Hayo
am 17.06.2021