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Impf! Dich!

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Der militante Anti-Impf-Wahnsinn rechter Corona-Schwurbler nervt ohne Ende. Doch auch der übertriebene, staatstragende Impf-Hype in linksalternativen Blasen fördert etwas zutage, das AntifaschistInnen eigentlich den Magen umdrehen müsste: Blockwart-Mentalität.

Ganz prinzipiell: Impfungen sind eine gute Sache. Ohne sie würden wir heute noch von mittelalterlichen Krankheiten befallen werden, die Millionen Todesopfer fordern würden. Muss halt nicht sein. Jetzt sollen sie uns von diesem verdammten Corona-Virus befreien, das uns seit fast zwei Jahren den letzten Nerv raubt. Und die Impfbereitschaft ist hoch trotz zahlreicher Kritik an Impfstoffen, deren Entwicklung und Wirksamkeit. Fast drei Viertel aller Deutschen über 18 Jahren wollen sich laut einer aktuellen Umfrage impfen lassen, da können auch die durchgeknalltesten Telegram-Psychopaten nichts dran ändern. Trotzdem ist die Debatte über das Thema Impfen zu einer kakophonischen Volksoper mit allen Tönen der menschlichen Extremgefühls-Klaviatur pervertiert.

Bis vor zwei Jahren hat sich jeder, vom abgebrannten Philosophie-Studenten bis hin zur gut situierten Unternehmerin vollkommen selbstverständlich jede Plörre reinhauen lassen, die notwendig war für den horizonterweiternden Sri-Lanka-Trip oder Slum-Watching auf den Philippinen – ohne einen Furz auf irgendwelche statistischen Nachkommastellen potentieller Nebenwirkungen zu geben. Rein mit der Impfe und Abflug. Kaum jemand hat sich bis vor einem Jahr dafür interessiert, welche Impfungen seit der Kindheit im eigenen Impfpass vermerkt wurden. Viele suchen ihn bis heute. Und jetzt: Impfterror auf allen denkbaren Kanälen.

Wer ein Smartphone oder einen PC bedienen kann, hat wahrscheinlich schon mal ein Video von irgendwelchen Durchgeknallten gesehen, die beweisen wollen, dass die Impfung Teil irgendeines perfiden Plans der Regierung oder eines Weltunternehmens sei, die die Menschheit wahlweise unterjochen, ersetzen oder ausrotten will. Da werden sich Metallgegenstände an die Einstichstelle von Impfungen gehalten, um zu zeigen, dass die Stichstelle magnetisch sei. Weil: Alle Gedanken werden jetzt via 5G und injizierten Mikrochips an Bill Gates' Superrechner geschickt. Alles ein riesiger Laborversuch an der Menschheit mit Tötungsabsicht. Prominente Verrückte wie Schlagersänger Michael Wendler oder Vegankoch Attila "Avocadolf" Hildmann werden seit Monaten jeden Tag paranoider und verzweifelter über ihre fantasierte Einsicht in den geplanten "Massenmord" der "Impfdiktatur". Keine Extremvokabel ist ihnen in ihren Chatgruppen zu viel. Gäbe es irgendetwas Finaleres als den Tod – es würde aus ihrer Sicht durch die Impfung und die Coronapolitik verursacht werden.

Nicht nur rechts implodieren Gehirnzellen

Jetzt neu, aber eigentlich alt: In den "Nürnberger Prozessen 2.0" sollen sich "die da oben" für ihre Verbrechen an der Menschheit verantworten. Impfen gehört selbstverständlich dazu. Ganz vorne mit dabei: Verschwörungsanwalt Reiner Fuellmich aus der Querdenken-Gang um Michael Ballweg. Dass sie sich immer wieder über die fiese "Nazi-Keule" gegen sich beschweren, ist mittlerweile zu einem Dauerwitz mutiert. Unter Rechtsextremen ist "Nürnberg 2.0" seit Jahren ein beliebtes Fantasieszenario, in dem PolitikerInnen unter anderem wegen ihrer Verantwortung für die vermeintliche Islamisierung Deutschlands der Prozess gemacht werden soll – nach dem Vorbild der NS-Kriegsverbrecherprozesse. Am besten akzeptiert man, dass sich die Expansion der menschlichen Dummheit relational zum Grad gesellschaftlicher Ausnahmesituationen verhält. Sonst kann man sich eigentlich sofort selbst einweisen.

Während der konspirative Schwurbelwahnsinn und die damit oft einhergehende Wissenschaftsfeindlichkeit vor allem aus dem konservativen und rechten Politspektrum kommt und die AfD dazu beiträgt, die Hysterie ums Impfen hochzujazzen, indem sie in einer "Corona-Resolution" fordert, dass die "alarmierend hohen Nebenwirkungen ernst genommen werden" müssen, implodieren in linksalternativen Blasen ebenfalls Gehirnzellen: Impfen ist das Geilste, was es gibt! "Her mit dem Merkelsaft!", "Was soll ich nur anziehen bei der Impfung?", "Ich habe geweint vor Glück!", "Ja, Sex ist geil, aber seid ihr schon mal auf dem Weg ins Impfzentrum gewesen?" Alter! Das Internet ist voll von Tweets und Posts von Leuten, die ihre Impfpässe mit dem Sticker des Corona-Vakzins so stolz wie ihre verschrumpelten Neugeborenen präsentieren. Andere Impftollen können vor Aufregung kaum schlafen, weil sie morgen endlich ihren erlösenden Schuss bekommen. Die von Antifas skandierte Scherzparole "Wir impfen euch alle!" offenbarte, dass es beim Thema Impfen längst nicht mehr nur ums Impfen, sondern um Politik und die antifaschistische Bekämpfung des politischen Feinds geht. Ist ja kein Geheimnis, dass die Rechte die Coronakrise politisch nutzt, um Angst und Verunsicherung in Wahlstimmen zu verwandeln. Miese Sache.

Rechts also die Anti-Impfs. Links die Impfifa. Ein Triggerwort – und ab geht die Luzie in der Wilden Maus auf dem Volksfest der Gefühle. Klar ist die Fantasie lustig, wie Michael Wendler um sich schlägt, bevor er von durchtrainierten Pflegern fixiert und "Egal"-singend zwangsgeimpft wird. Und Merkelsaft ist einfach ein geiles Wort, sorry. In der Meme-Welt hat aggressive Impfgeilheit tatsächlich viel Unterhaltungswert. Gleichzeitig schleicht sich aber mit der Mischung aus Impfjokes und ernsthafter Fixierung auf dieses eine Thema ein Effekt ein, der weniger lustig ist: Wer jetzt nicht manisch lachend mit Anlauf in die Spritzen hüpft, läuft Gefahr, in Schwurbelgewässern gesehen zu werden.

Lust an der Überwachung

Während die täglich verbreitete Hysterie und terrorartige Paranoia der militanten Anti-Impfs nämlich dazu beigetragen haben, dass selbst weit von irgendwelchen Verschwörungsfantasien entfernte Leute plötzlich Schiss vorm Impfen bekamen, spülte der passiv-aggressive Impf-Hype der Merkelsaft-Jünger etwas zutage, das genauso gruselig ist wie Michael Wendlers Völkermord-Fantasie und Liebesleben: Blockwart-Mentalität. Genau dazu führt der durchaus gut gemeinte Impf-Fanatismus nämlich: Schul- oder Unternehmensleiter, die Listen über ihre Angestellten führen, um im Blick zu haben, wer sich wann mit welchem Impfstoff zum wievielten Mal geimpft – oder eben nicht geimpft hat. Angestellte, die sich moralisch unter Druck gesetzt fühlen und nicht zu den "Asozialen" gehören wollen, weil sie eben noch nicht alles stehen und liegen haben lassen, um einen Impftermin zu ergattern, obwohl ihnen die Firma sogar eine Impfbescheinigung zur Berechtigung einer Corona-Impfung ausgestellt hat.

Die hyperaggressive Impfpropaganda von Staat und fanatischen Impf-Punks, die früher mal Anti-Staat waren, nerven. Woher kommt das dringende Bedürfnis, diese Mehrheitsmeinung (!) wie eine Monstranz vor sich herzutragen, als gäbe es eine goldene Banane im Hausiheft für das staatstragendste Verhalten zu gewinnen? Ist doch okay. Impfen ist cool. Haben doch drei Viertel aller Deutschen gecheckt. Mehr braucht’s nicht, um Corona zum Teufel zu jagen. Trotzdem vergeht kein Tag mehr, an dem nicht irgendein prominenter Arm vor laufender Kamera geimpft wird. Keine Social-Media-App lässt sich mehr öffnen, ohne dass einen irgendwelche moralisierenden Impf-Besoffenen daran erinnern, dass Impfen jetzt ihr neues "Refugees welcome" ist. Als ob ihre Friends-Liste nicht zu mindestens 95 Prozent aus Leuten bestünde, die ebenfalls der Überzeugung sind, dass Flüchtlingen aufnehmen gut ist und impfen höchstwahrscheinlich die Welt rettet. Selbst AfD-Fraktionschef Alexander Gauland ist jetzt geimpft! Verrückte Welt: Wer hätte gedacht, dass Imperative und Staatspropaganda in Deutschland mal wieder so sexy werden würden?


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13 Kommentare verfügbar

  • DW
    am 27.05.2021
    Antworten
    Ich hätte da mal eine Frage: Gibt es objektive, nicht von den Pharmakonzernen bezahlte Studien zur Wirksamkeit aktueller (weil teurer) Impfstoffe? Eher nicht. Dafür viel Konzernkritik. Das wäre dann links. Man muss die halt nur suchen, weil Impfkritik angeblich wissenschaftsfeindlich ist. Ist es…
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