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Demo-Wochenende

Dixi-Klos und Pfefferspray

Demo-Wochenende: Dixi-Klos und Pfefferspray
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Die Polizei steht nach dem vergangenen Wochenende in Stuttgart mehr denn je unter Druck: "QuerdenkerInnen" wurden trotz Demo-Verbot wieder mit Samthandschuhen behandelt, während Linke auf erlaubten Demos gegen Corona-Maßnahmen Knüppel kassieren.

Pamm! Pamm! Pamm! Da sausen sie. Die Schlagstöcke gegen Bäuche und Knie. Gefolgt von Pfefferspray aus den überdimensionierten Flaschen der Polizei, die aussehen wie schwarze Feuerlöscher. Ganz lustig: Nachts, im Schein der Straßenlaternen, sieht Pfefferspray fast ein bisschen aus wie Fanta. Naja. Gejaule wie von geschlagenen Hunden. Gebrüll aus den Helmen gepanzerter Staatsgewalt. Fanta-Fantasie adé. Während zwei Einsatzkräfte vom Sanitätsdienst mit Augenduschen versuchen, das Tränengas aus den Gesichtern der Gepfefferten zu spülen, jagt die Polizei den Rest quer über die B14 ins Heusteigviertel. Wer nicht enden will, wie die Typen aus der ersten Reihe, nimmt die Beine in die Hand und rennt in alle Himmelsrichtungen.

"Was war geschehen?" würde es in einem süßen, einsatzbegleitenden Polizei-Tweet jetzt heißen, bevor die Kuschel-Taskforce der polizeilichen Social-Media-Abteilung eine dramatische Katzenbaby-Rettung schildert, um ihr gesellschaftliches Bild der nahbaren Supergroup zu propagieren. Aber dieses Mal gibt‘s keinen Tweet. Gäbe es sowas wie alternative Pressemitteilungen zu Polizeieinsätzen, sähe sie vielleicht so aus:

"Tatort Stuttgart-Süd, Nähe Marienplatz, vergangenen Freitag. In einer arschkalten Nacht zogen etwa 250 Menschen zwischen 18 und 40 Jahren in einer Spontandemo durch die Straßen, weil sie die verkackte Coronapolitik der Bundesregierung satthaben und sich nicht erneut von 21-5 Uhr zuhause einsperren lassen wollen. Nach 30 Minuten pfeffern und schlagen die Katzenfreunde vorne rein, kesseln etwa 50 Leute zwischen Häuserfassaden, um ihre Personalien aufzunehmen. Selbst die Sanis, die den überschaubaren Nachtzug begleiteten und Gepfefferte versorgten, bekamen Klatsche, Anzeigen und Platzverweise. Wären sie Katzenbabys gewesen, hätten die Kolleginnen und Kollegen sie wahrscheinlich in einer "kuscheligen Polizeimütze" zum Aufwärmen aufs Revier gefahren. Sind sie halt aber leider nicht, lol. Selber schuld."

Immer neue Endstufen des Irrsinns

"Geiler als Tatort", sagt einer, der weg von den Cops über die B14 rennt, um sich in einer Straße in Sicherheit zu bringen, die nicht so einfach vorne und hinten zugekesselt werden kann ("querdenken, weisch!"). Er pumpt wie ein Maienkäfer. Mit einem coolen Spruch witzelt er darüber hinweg, dass das, was sich da gerade abgespielt hat, einfach nur übel war.  Auf Twitter wird es später irgendwo heißen: "Immerhin wissen wir jetzt, dass die Polizei Pfefferspray und Schlagstöcke dabei hat". Galgenhumor. Denn am Tag darauf werden in Stuttgart wieder Ansammlungen von "QuerdenkerInnen" anreisen, die trotz Demoverbot ohne Masken eng an eng in Polonaisen mit der inkongruenten Heiterkeit psychotischer Horrorclowns durch die Innenstadt poltern. Hä? Was? Wenn die bürgerliche Querfront erst morgen antanzt, wer hat dann da gerade Brennfanta in die Schnauze bekommen?

Seit sich mit jeder Woche eine neue Endstufe des Irrsinns zündet, kann man schon mal durcheinander kommen. Auch, weil die Worte "Corona-Maßnahmen" und "Demo" seit einem Jahr komplett von "Querdenken" besetzt sind. Aber Surprise, Surprise: Diese Demo gegen die Coronapolitik, die am vergangenen Freitag unter Polizeigewalt aufgelöst wurde, bestand natürlich aus Leuten aus dem linksalternativen Spektrum. Wenigstens darauf kann man sich heute noch verlassen.

Während die Linkspartei auf Landes- wie auf Bundesebene nämlich übertrieben abkackt bei der Kritik an Ausgangssperren und anderen Alibi-Corona-Maßnahmen der Regierung, nimmt die gesellschaftliche Linke die Bengalos jetzt selbst in die Hand. Das Bündnis "Solidarität und Klassenkampf" etwa will es nicht länger hinnehmen, dass die Coronakrise auf dem Rücken der ArbeiterInnen ausgetragen wird, die in überfüllten Bahnen zur Arbeit fahren müssen und abends zuhause eingesperrt werden. Deshalb gab‘s vor der Spontandemo am Freitag eine Kundgebung, die ab jetzt jeden Freitag auf dem Marienplatz stattfindenden soll. Mit Maske und Abstand. Bereits im Sommer vergangenen Jahres hatten sich Bündnisse und Einrichtungen in Stuttgart organisiert, um "Querdenken" nicht unwidersprochen den öffentlichen Raum zu überlassen. Jetzt gilt‘s jedoch, dezidierte Kritik an der neoliberalen und repressiven Coronapolitik der Bundesregierung auf die Straße zu bringen, die bislang von "Querdenken" und der AfD dominiert ist.

Doch mit dem Riesenaufmarsch der deutschlandweit gut vernetzten "QuerdenkerInnen" am 3. April, inklusive kollektivem Regelverstoß von Tausenden Maskenverweigerern, steht fest: Wer nicht einverstanden ist mit der aktuellen Strategie der Regierung zur Bekämpfung des Corona-Virus – aber nicht bei "Querdenken", sondern bei kleinen, linken Demonstrationen mitläuft, kriegt von der Polizei auf die Nuss. Wenn der Einsatzleiter entscheidet, dass es sich bei DemonstrantInnen um die sogenannte "Mitte der Gesellschaft" handelt, werden sie von der Polizei mit Samthandschuhen angefasst – auch wenn sie vorsätzlich Ordnungswidrigkeiten begeht. Denn das Narrativ und Selbstverständnis der "Mitte", als die friedliche Mehrheit der "ganz normalen Leute" muss aufrechterhalten werden, da es sich dabei um den Teil der Gesellschaft handelt, der jeden beknackten Katzen-Tweet der Polizei abfeiert. Ein Polizist, der dieses bigotte System in Frage stellt, ist ein Polizist gewesen – oder macht alleine Kaffeepause.

Gut und Böse

Wie sagte doch der Einsatzleiter Carsten Höfler im Stuttgarter Gemeinderat, als er vom Aufmarsch der "Querdenker" am Karsamstag erzählte: Wir haben die Demonstration nicht aufgelöst, weil es sich um "völlig friedliche Demonstranten aus der bürgerlichen Mitte" gehandelt habe. Für diese Erkenntnis muss man fast schon dankbar sein, bestätigt Höfler indirekt doch genau das, was bislang in der "bürgerlichen Mitte" als linke Verschwörungstheorie galt: Wenn die "bürgerliche Mitte" Ordnungswidrigkeiten begeht, ist das okay. Linke kriegen Haue. Die Polizei hat damit nicht nur das Gewaltmonopol inne, sondern auch die Deutungshoheit über "gut" und "böse". Dass diese sich wiederum in einem dialektischen Verhältnis mit der "bürgerlichen Mitte" konstituiert, zeigen Fotos und Videos, auf denen PolizistInnen mit den Händen Herzchen fürs "Querdenker"-Familienalbum formen, "Querdenker" mit High-Five abklatschen und fröhlich mit einem rechten, einarmigen Lokalpolitiker schwatzen und lachen, wenn dieser den Landtagsdirektor von Baden-Württemberg eine "antidemokratische Ratte" nennt.

Schaut man sich das Verhältnis zwischen "der Mitte der Gesellschaft" und der Polizei an, wird klar, warum hier reingehauen, während da hofiert wir: "QuerdenkerInnen" und Polizei bedingen und brauchen sich gegenseitig, um sich in ihren Selbstbildern als "die Guten" zu legitimieren. Wer feiert denn "unsere Helden" und lobt ihre Arbeit in Social-Media-Kanälen mit Herzchen-Salven? Wer fordert mehr Überwachung und mehr Polizei? Wer hat Mitleid, wenn die Polizei mal wieder erzählt, dass sie unter vermehrter Gewalt gegen ihre Einsatzkräfte leide, obwohl das keine Statistik hergibt? "Die friedliche Mitte", die "ganz normalen Leute"! Wieso sollte die Polizei diese Leute also pfeffern? So funktioniert Politik. So funktioniert Machterhalt. Und so funktioniert Polizei, wenn sie mit zweierlei Maß auch wieder bei den nächsten Demos in Stuttgart unterwegs ist.

Epilog:

Pamm! Pamm! Pamm! Und da sausen sie wieder. Die Knüppel der Polizei: Klatsche gibt's nur für Leute aus der angemeldeten Demo von "Stuttgart gegen Rechts", während "QuerdenkerInnen" vergangenen Samstag wieder unbekümmert durch die Straßen ziehen dürfen und in der Innenstadt sogar Dixi-Klos hingestellt bekommen. Damit sie sich zwischen Polonaise im Stahlbad der Menschlichkeit und MÄRKÄL-MUSS-WÄG-Chören nicht in die Hosen machen, während die Polizei ruhig und gesittet Personalien aufnimmt und irgendwann auf die Idee kommt, Michael Ballweg das Megafon wegzunehmen.


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13 Kommentare verfügbar

  • Rolf
    am 24.04.2021
    Antworten
    Jede Verständigung mit Rechtsradikalen, Rechtextremen, Neonazis, Querdenkern ist aussichtlos. Darum bleibe ich bei meiner Meinung: Demokraten müssen diese Leute, die ihr eigenes "Volk" verraten, belügen und betrügen bei allen ihren Schandtaten an den Pranger stellen.

    Wer diese Leute gar noch…
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