Ein unausgesprochenes gesellschaftliches Agreement verbannte Menschenfeindliches an die Stammtische, sorgte dafür, dass die Hosenläden, aus denen rechter Muff kroch, in der Öffentlichkeit zu blieben. Daran hielt man sich weitestgehend, oft zähneknirschend. Bis die Flüchtlinge kamen. Und die AfD in den Bundestag einzog, um aus Angst und Überforderung Hass zu schmieden. Dann waren sie wieder offen, die Hosenläden.
Voll gefährlich: bunte Haare haben und Punk-Platten bestellen
Mit der AfD kam die Mär vom Linksextremismus, der genauso schlimm in Deutschland sei wie Rechtsextremismus – vom Staat aber nicht gleich verfolgt und bestraft würde. Plötzlich sollten Punkbands wie "Feine Sahne Fischfilet" verboten werden. Landtagsabgeordnete versuchten neue Begriffe für linke AktivistInnen zu prägen und verwendeten das Wort "Neofa" ("Neofaschisten") für Antifa. Mit der Unterstellung, dass der Staat und Parteien linke Strukturen unterstützen und finanzieren würde, verlangte die AfD sogar nach einem Untersuchungsausschuss, der ans Licht bringen sollte, wie das Volk von links unterwandert und staatlich finanziert werden würde. Egal ob Fridays for Future, Extinction Rebellion, zivilgesellschaftliche Initiativen oder Jugendzentren: Kein Versuch blieb unterlassen, progressive, emanzipative Lüftchen als Gefahren für Staat und Volk zu diffamieren.
Auch wenn diese Versuche nichts enthüllten, war ein Etappenziel erreicht: Rechtsextreme Gruppen kehrten den geistigen Müll der AfD dankbar auf und verbreiteten ihn munter weiter. So forderte etwa der Verein "Ein Prozent" "weiter zu bohren" im linken Milieu. Andere spielten der AfD eine Liste mit Namen von Kunden eines Duisburger Punk-Versandhandels zu, die sich die "National Sozialistische Hacker-Crew" illegal beschafft hatte. Dass später rauskam, dass es sich um eine Liste von Leuten handelte, die sich bunte Haarfarbe, Band-Shirts und Punk-Platten bestellte, hinderte die AfD nicht an ihrer Mission, beweisen zu wollen, wie tief Deutschland von der roten Gefahr umzingelt ist. Die AfD hat es geschafft, die Angst vor Links zu schüren und missbraucht sie politisch. Während vor der AfD die wenigsten überhaupt wussten, was "Antideutsche" sind, dass sie überhaupt existieren, werden einzelnen unmaßgeblichen Strömungen einer eh völlig zerstrittenen Linken plötzlich zur Staatsbedrohung Nummer Eins erklärt.
Um das Märchen vom linken Terror weiterhin im kollektiven Unterbewusstsein zu betonieren, kommt es dann zu Trick 17: Täter-Opfer-Umkehr. Statt einfach zuzugeben, dass es einem zum Beispiel schlichtweg nicht passt, dass man nicht mehr ungestraft "Neger" sagen und Frauen und andere marginalisierte Gruppen konsensual diskriminieren kann. Statt offen über konkrete Verlust- und Zukunftsängste oder diverse Ismen in jedem von uns zu sprechen, wird eine linke Ideologie herbeifantasiert, die Sprechverbote erteilt und morgen alle enteignet, entrechtet und ins Gulag schickt. So absurd diese Überzeugung erscheint: Sie ist für viele sinnhafter, als sich einmal wirklich mit sich selbst auseinanderzusetzen und sich zu fragen, an genau welcher Stelle des eigenen Lebens diese berüchtigte "linke Ideologie" einen wirklichen Schaden angerichtet hat. Ernsthaft! Wo? Wie? Das interessiert mich.
Es ist schon irgendwie lustig, dass gerade die, die sich von einer linken Ideologie geknechtet fühlen, eine Gesellschaftsordnung verteidigen, die nur so überquillt vor Ideologie. Neoliberaler Ideologie, die Wirtschaft und Kapital fetischisiert und mit der erbarmungslosen Ausbeutung von Mensch und Natur Reichtum für wenige generiert, Rechtssysteme erschafft, die kleine Unternehmen abfucken, aber Weltbanken, Industrie und Großunternehmen legal durch Steuerlöcher schlüpfen lassen, um Milliarden zu scheffeln. Doch die Regeln der Märkte und der Ökonomie sind so sehr natürlich-religiös verinnerlicht, dass gar nicht mehr auffällt, wie krank die ganze Scheiße eigentlich ist. Es ist nicht die "linke Ideologie", die uns krank werden lässt. Die Wahrheit ist, es ist die Unzufriedenheit, die ein Gesellschaftssystem erzeugt, das Menschen zu habgierigen, neidischen Egozentrikern macht, die ständig in der Angst leben, dass andere mehr vom Kuchen bekommen als sie selbst. Dabei wäre genug für alle da.
22 Kommentare verfügbar
Peter Nowak
am 27.05.2021Habe mir erlaubt, Sie hier zu zitieren:
https://www.heise.de/tp/features/Social-Media-Kampagne-erzwingt-weitere-Maskenpflicht-6055000.html
Peter Nowak