Peter Pätzold lässt es an Deutlichkeit nicht mangeln: Die "wahre städtebauliche Chance" liege nicht beim Tiefbahnhof Stuttgart 21, sondern "eindeutig" bei einem modernisierten Kopfbahnhofkonzept. Hier stünde zwar, schreibt der Stuttgarter Grüne, "etwas weniger Fläche" für die Stadtentwicklung zur Verfügung, da oberirdische Gleise im Bereich des geplanten Rosensteinviertels blieben, "aber diese Flächen haben deutlich geringeren Kostendruck und sind ab sofort bebaubar – nicht in einer ungewissen Zukunft." Klare Worte, wie man sie sich von einem grünen Baubürgermeister, der Pätzold seit September 2015 ist, wünscht.
Die Sache ist nur: Als Pätzold dies schrieb, war er noch nicht Bürgermeister, sondern Grünen-Fraktionsvorsitzender im Stuttgarter Gemeinderat und zugleich Mitglied der S-21-kritischen Gruppe "ArchitektInnen für K 21", das Konzept für den Erhalt des Kopfbahnhofs also. Auch die Volksabstimmung zu S 21 stand noch bevor. Besagte Sätze stammen aus seinem Artikel "Stadtentwicklung mit Kopfbahnhof" (<link file:43729 _blank external-link-new-window>hier zum Download), den er 2011 für das "BUND-Jahrbuch 2012 – Ökologisch Bauen und Renovieren" geschrieben hatte. Mittlerweile vertritt Pätzold in dieser Causa einen dezent anderen Standpunkt. Aber dazu später.
Die Frage oberirdischer Gleise wurde kürzlich durch ein neues Kapitel in der langen Liste der S-21-Absurditäten wieder auf die Tagesordnung gebracht: Die aus Richtung Zürich und Singen kommenden Züge der Gäubahn werden in einigen Jahren – konkret: ab einem halben Jahr vor der für Ende 2025 von der Bahn angepeilten Eröffnung des Tiefbahnhofs – für mindestens drei Jahre nicht mehr in den Stuttgarter Hauptbahnhof einfahren können. Stattdessen müssen die Reisenden dann am Bahnhof Vaihingen umsteigen. Denn die neue Gäubahnführung über den Flughafenbahnhof soll laut Bahn frühestens 2028 fertig sein.
Abkopplung absehbar seit 2015
Wer sich schon länger mit S 21 befasst, war über die neuerliche Absurdität wenig verwundert. Dass dies irgendwann so kommen wird, war im Grunde schon 2015 in der Entscheidung der Bahn angelegt, den Planfeststellungsabschnitt (PFA) 1.3 auf den Fildern in zwei Abschnitte zu teilen: in den Teil des neu zu bauenden, unterirdischen Filderbahnhofs, an dem die Züge der Neubaustrecke (NBS) Stuttgart-Ulm halten sollen (1.3a), und in den des bestehenden, auszubauenden Flughafenbahnhofs, über den die Gäubahn ab Vaihingen fortan in den Tiefbahnhof geleitet werden soll (1.3b). Momentan halten hier nur S-Bahnen.
Für die Bahn ist die Aufteilung, in Anbetracht ihrer miserablen Filder-Planung (Kontext berichtete mehrfach, u.a. <link https: www.kontextwochenzeitung.de wirtschaft aufschrei-aus-le-2454.html external-link-new-window>hier und <link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft tabula-rasa-auf-den-fildern-4718.html external-link-new-window>hier), eine durchaus plausible Entscheidung: Abschnitt 1.3a mit dem NBS-Anschluss ist unbedingt zum Betrieb von S 21 erforderlich. Er scheint zudem, trotz – aus Sicht der Projektgegner – ungelöster Brandschutzprobleme, auch leichter zu bauen und ist auch schon planfestgestellt. Abschnitt 1.3b dagegen braucht absehbar länger. Er steckt noch in der Planfeststellungsphase und ist planerisch der noch größere Irrsinn. Denn viele, selbst der S-21-Erfinder Gerhard Heimerl, haben große Zweifel, ob der Gäubahnanschluss über die sogenannte "Antragstrasse" je funktionieren wird. Sie fürchten, dass die Strecke wegen des Mischbetriebs von S-Bahnen und Fernzügen zum Quell immer neuer und schlimmerer Verspätungen werden wird; dass ein Kollaps des S-Bahnnetzes die Folge sein wird, und dass auch <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik mit-dem-dritten-faehrt-man-besser-2777.html external-link-new-window>das 2015 von der Bahn aus dem Hut gezauberte dritte Gleis am Flughafenbahnhof dieses Problem nicht ausreichend entschärfen kann. Doch egal, für eine wie auch immer geartete Lösung kann sich die Bahn ja nun Zeit lassen.
Schon bei der Aufteilung des PFA im Jahr 2015 warnten S-21-Kritiker, dass dies zu einer zeitweisen Abkopplung der Gäubahn führen werde. Einmal mehr eine wahr gewordene Vorhersage. Bei der Gäubahn, die momentan noch <link https: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne gute-aussichten-fuer-die-panoramabahn-4851.html external-link-new-window>über die am Rand des Stuttgarter Talkessels geführte Panoramabahn den Hauptbahnhof anfährt, kommt im Rahmen der S-21-Planungen eine Besonderheit hinzu: Während die übrige, "alte" Bahninfrastruktur rund um den Stuttgarter Kopfbahnhof auch nach Inbetriebnahme von S 21 eine Zeit lang bestehen bleiben soll, bis der Tiefbahnhof sozusagen seine Testphase bestanden hat, ist dies bei der Panoramabahn nicht der Fall. Denn ihre Gleise sind der im Zuge von S 21 leicht geänderten S-Bahn-Führung über die neue Haltestelle Mittnachtstraße im Weg. Eine Rampe, über die die Gäubahnzüge jetzt in den Hauptbahnhof kommen, soll deshalb ein halbes Jahr vor S-21-Eröffnung abgerissen werden.
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F. Fischer
am 08.03.2019